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Hamburger Ausstellung zum Ukraine-Krieg„Die Kunst erzählt die Wahrheit“

In der Ausstellung „Sense of War“ im Frappant setzen sich die Kuratorin Olga Barashykova und ihr Team künstlerisch mit dem Ukraine-Krieg auseinander.

In den Werken haben die Künstlerinnen die Erfahrungen und Geschichten des Krieges verarbeitet Foto: Olga Barashykova
Paul Weinheimer
Interview von Paul Weinheimer

taz: „Sense of War“: Was bedeutet der Titel der Ausstellung, Frau ­Barashykova?

Olga Barashykova: Der Titel benennt das, was uns alle zusammengebracht hat: den Krieg. Diese ­besonderen Gefühle, die im Krieg entstehen, haben etwas Außergewöhnliches. Etwas, das uns so noch nie zuvor passiert ist. Diese unterschiedlichen Gefühle und Zustände versuchen wir, mit der Kunst auszudrücken.

Was für Gefühle begleiten diesen Krieg?

Die Menschen, die geflüchtet sind, nehmen den Krieg natürlich viel persönlicher und intensiver wahr. Wir, die jetzt in Deutschland sind, werden mehr zu Be­trach­te­r*in­nen, aber fühlen natürlich trotzdem weiter mit.

Und die Menschen, die in der Ukraine bleiben?

Auch die Menschen, zu denen der Krieg nach Hause gekommen ist, haben eine unterschiedliche Wahrnehmung und gehen anders damit um. Einige sind dadurch sehr produktiv geworden, andere fühlen sich total leer und geraten in einen Stillstand.

Bild: Olga Barashykova
Im Interview: Olga Barashykova

ist bildende Künstlerin und Kuratorin. Im März 2022 ist sie mit ihrem Sohn aus der Ukraine geflüchtet. Zusammen mit Dagmar Rauwald und Jenni Schurr hat sie die Ausstellung organisiert.

Wie haben sich diese Gefühle seit dem Krieg verändert?

Am Anfang hatten es viele nicht für möglich gehalten, dass so ein Krieg ausbricht. Man wusste überhaupt nicht, was man tun soll. Es war wie eine Leere in der Seele.

Und jetzt?

Mittlerweile sind die Menschen wieder hoffnungsvoller. Gerade durch das Gefühl der Gemeinschaft. Man hält zusammen und tut alles, damit der Sieg näher kommt.

Wie das denn?

Künst­le­r*in­nen tun eine ganze Menge. Teilweise verkaufen sie ihre Bilder und spenden das Geld an das ukrainische Militär, obwohl sie selbst nichts mehr haben. Es gibt mittlerweile viele Kunstwerke, die dafür in digitale „Non Fungible Tokens“ transformiert wurden, ­damit man sie in anderen Ländern verkaufen kann.

Was kann die Kunst im Krieg leisten?

Sehr viel. Aktuell herrschen überall Fake News. Nicht nur hier oder in Russland und den USA, sondern auch in der Ukraine. Hier kann die Kunst erzählen und vermitteln. Die Kunst erzählt die Wahrheit.

„Sense of War“

Vernissage: 13.1, 19-22 Uhr:

Künstlerinnengespräch: 14.1, 16 Uhr, Galerie Frappant, in der ehemaligen Victoria-Kaserne, Zeiseweg 9, Hamburg-Altona.

Öffnungszeiten: Mi-So, 14-19 Uhr, bis zum 22.1

Wurde denn trotz Krieg weiter Kunst gemacht?

In den ersten Monaten stand die Kunst still. Die Menschen waren wie gelähmt. Das ist eine typische Situation für Künstler*innen. Viele meiner Freun­d*in­nen konnten eine lange Zeit gar keine Kunst machen. Mittlerweile gibt es vor allem in Kyiv wieder sehr bedeutende Ausstellungen. Das Thema des Friedens spielt dabei eine große Rolle.

Also geht es in der Kunst, die in der Ukraine entsteht, mehr um den Frieden als um den Krieg?

Nein, es geht nicht nur um Frieden. Ein großes Thema ist zum Beispiel, was mit den Kindern passiert. Viele haben bleibende Behinderungen infolge von Verletzungen, viele sind gestorben. Diese Motive tauchen immer wieder in der Malerei auf. Die Kunst ist durch den Krieg direkter geworden und blutiger.

Wie war es für Sie, in Deutschland anzukommen?

Am Anfang war es wirklich schwer hier. Man kommt in Deutschland an, alle leben ein normales Leben, haben Familien, einen Alltag und ich hatte nichts. Meine Familie ist aktuell noch in Kyiv. Ich konnte auch nicht malen, habe mich innerlich total leer gefühlt. Bei einem meiner ersten Bilder, die ich dann gemalt habe, konnte man eine Ukrainerin sehen, ohne Gesicht und mit ausgebranntem Loch in der Brust, stellvertretend für die Leere, die ich gespürt habe.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Dieses Gefühl, künstlerisch gelähmt zu sein, hat bis zu der ersten Ausstellung im Juni im Mom Art Space im Gängeviertel angehalten. Erst da habe ich wieder angefangen, Kunst zu machen. Dabei ging es vor allem darum, Vergangenes zu verarbeiten und über die Zukunft nachzudenken. Diese Ausstellung war für mich wie eine Wiedergeburt.

Welche Verbindung besteht zwischen den Künst­le­r*in­nen bei „Sense of War“?

Wir haben uns bei einer Ausstellung auf Kampnagel im Mai 2022 kennengelernt. Ziel war es, Menschen, die geflüchtet sind, mit den Kul­tur­ak­teu­r*in­nen aus Hamburg in Kontakt zu bringen. Da haben wir vor allem dialogisch gearbeitet. Aus der Zusammenarbeit ist dann auch diese Ausstellung hervorgegangen.

Was auffällt: Es werden fast nur Künstlerinnen ausgestellt. Wieso?

Das hat den Grund, dass hauptsächlich Frauen geflüchtet sind. Die Männer müssen in der Ukraine bleiben und das Land verteidigen. Deswegen sind sie in der Ausstellung nicht vertreten.

Welche Medien nutzen Sie in der Ausstellung, um sich dem Thema anzunähern?

Es gibt Malereien, Videokunst, Fotografien. Unter anderem auch vom Künstler Dmytro Kozatskyi, ein ukrainischer Fotograf und Soldat. Er hat im Asowschen Bataillon der Nationalgarde der Ukraine gekämpft. Von ihm werden Bilder aus dem Stahlwerk Azovstal in Mariupol gezeigt. Er selbst ist jedoch nicht vor Ort. Es gibt außerdem auch eine Installation von Jenni Schur. Sie sagt, dass sie dabei vor allem „Machtpositionen und Privilegien aufzeigen“ möchte, die man mitdenken muss, wenn es um Krisen dieser Art geht.

Wie sieht die Installation aus?

Sie hat einen venezianischen Spiegel aufgestellt, der umgeben ist von Holzwänden, sodass sich ein Raum ergibt. Von außen sieht man sich selbst, geht man jedoch hinter die Wand, kann man die Menschen draußen beobachten, wird selbst aber nicht gesehen. Es gibt auch ein Telefon in dem Raum, mit dem man draußen anrufen kann, um Kontakt aufzunehmen. Hier wird die Rolle der Be­trach­te­r*in­nen thematisiert: Schaut man nur auf sich, beobachtet man oder nimmt kommunikativ teil? Dabei kommt zum Ausdruck: Welchen Krisen man auf welche Weise Beachtung schenkt, ist eine aktive Entscheidung.

Am Samstag findet ein Künstlerinnengespräch mit Nadiia Mykhailiuk, Mascha Vyshedska und Alisa Sizykh statt. Um was wird es dabei gehen?

Wir werden über die einzelnen Arbeiten der Ausstellung sprechen und welche Gefühle wir damit verbinden. Es soll außerdem um die Zukunft gehen und über das, was man dem Krieg entgegensetzen kann. Es geht darum, wie es die Malerin Dagmar Rauwald ausdrückt, „dialogisch miteinander in Kontakt zu treten“.

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