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Hamburger Anti-Gender-VolksinitiativeCDU als nützliche Idioten

Jan Kahlcke
Kommentar von Jan Kahlcke

Der Volksinitiative gegen das Gendern geht es um ein antifeministisches Rollback. Die Sprache ist dafür nur ein Vehikel. Und die CDU spielt mit.

Findet eigene Sprachspielereien besser als jene, die sie als oktroyiert empfindet: Sabine Mertens Foto: Marcus Brandt/dpa

G anz kurz geriet die Hamburger CDU tatsächlich ins Schwanken. Gerade hatte die Partei mit der Volksinitiative „Schluss mit dem Gendern in Verwaltung und Bildung“ so eine schöne Wahlkampfbegleitmusik gefunden und angekündigt, beim Sammeln der Unterschriften zu helfen – da sagte die Initiatorin Sabine Mertens bei der Anmeldung der Initiative, worum es ihr eigentlich geht.

Beim Gendern handele es sich um „PR-Maßnahmen der LGBTQ-Bewegung“, so die Kunsttherapeutin, pardon: der Kunsttherapeut Mertens, so bezeichnet sie sich nämlich selbst. Und solcherlei PR kann sie nicht gutheißen, denn es sei nun mal eine Tatsache, „dass sich normalerweise Männer und Frauen zum jeweils anderen Geschlecht hingezogen fühlen“, zitiert das Hamburger Abendblatt sie. Alles andere wäre demnach also anormal. Mit aus Sicht von Mertens fatalen Folgen: „Wenn wir nun alle schwul, lesbisch und trans werden sollen, dann ist die Evolution zu Ende.“

Das war sogar für die Hamburger CDU ein bisschen doll, die immerhin ihre besten Zeiten unter einem schwulen Bürgermeister hatte – mit einem Senat, in dem mehr Schwule saßen als Frauen. „Der Diskriminierung von Homosexuellen stellen wir uns klar entgegen“, sagte Fraktionschef Dennis Thering. „Die Aussage von Frau Mertens ist daher inakzeptabel.“ Das Problem: Die Initiative ist bislang eine One-Woman-Show. Praktisch niemand anderes tritt öffentlich auf. Therings Worte klangen deswegen wie eine Absage.

Doch die Aussicht auf ein potenziell zugkräftiges Thema, das bis in den Bürgerschaftswahlkampf 2025 reichen könnte, war zu verlockend. Die CDU distanzierte sich erneut von Mertens’ homophoben Äußerungen, rief ihre Mitglieder aber dennoch auf, Unterschriften für die Initiative zu sammeln und in Social Media dafür zu werben. Deswegen kann die Volksinitiative die ebenfalls eilfertig angebotene Unterstützung der AfD mit einem Lächeln zurückweisen.

Der frauenfeindliche Gehalt ist in der Hamburger CDU gar nicht weiter aufgefallen

Der frauenfeindliche Gehalt sowohl von Mertens’ Worten wie von den Zielen der Initiative ist in der Hamburger CDU gar nicht weiter aufgefallen. Kein Wunder in dem traditionellen Männerhaufen, der in seiner Bürgerschaftsfraktion immer noch mit gerade mal 25 Prozent Frauen auskommt.

Wenn Mertens befürchtet, weil „alle“ queer werden „sollten“, stünde uns das Ende der Evolution bevor, offenbart sie nicht nur ein arg eindimensional biologistisches Verständnis von Evolution, in dem die Weiterentwicklung von Gesellschaft gar nicht vorkommt. Sie reduziert damit implizit auch Frauen auf die Rolle von Zuchtstuten und Gebärmaschinen, die in erster Linie für Arterhalt und -entwicklung zuständig sind.

Auch jenseits der Entgleisungen ihrer Gründerin sind die Ziele der Initiative misogyn. Wenn Mertens tatsächlich glaubt, Menschen würden schwul, lesbisch oder trans, nur weil Behörden sie in ihrer Kommunikation mit ansprechen (dürfen) – was ist dann erst mit der beruflichen Gleichstellung? Wie sollen denn Mädchen auf die Idee kommen, Ärztin, Architektin oder Astronautin zu werden, wenn schon die Sprache dafür keine Form findet? Mertens, die sich im Stern selbst „Wirtschaftswunderkind“ nennt, träumt von der Welt der 50er Jahre, als der Arzt noch Herr Doktor war und Frau Doktor viel häufiger seine Frau als eine promovierte Medizinerin.

Antifeministin seit den 70ern

Gleichstellung ist für Sabine Mertens Teufelszeug, schon seit sie in den 70ern an der Uni die zweite Frauenbewegung erleiden musste. Seit 2020 zieht sie im islamophoben Blog „Achse des Guten“ über „Gender Mainstreaming“ her – ebenso wie über Parité-Gesetze und Frauenquoten für Parlamente und Fraktionen. Übrigens auch, wenn die CDU sie ventiliert.

Mertens und ihrer Initiative geht es um ein gesamtgesellschaftliches, antifeministisches Rollback. Der Kampf um den Erhalt der – vermeintlich statischen – Sprache ist nur ein Vehikel dafür. Und die Hamburger CDU gibt dazu bestenfalls die nützlichen Idioten.

Die Partei setzt aus taktischen Erwägungen auf eine Kampagne, die nicht zum gesellschaftspolitisch eher liberal verorteten designierten Spitzenkandidaten Dennis Thering passt, sondern zu den beiden schrillen Twitter-Krawallbrüdern Christoph Ploß und Christoph de Vries. Doch die sitzen hoch und trocken im Bundestag und würden den Teufel tun, sich im Bürgerschaftswahlkampf eine blutige Nase zu holen. Auch weil sie wissen: Es mag verbreitetes Unbehagen am Gendersternchen geben, aber gleich CDU wählen würden die Leute deswegen nicht.

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Jan Kahlcke
Redaktionsleiter
Jan Kahlcke, war von 1999 bis 2003 erst Volontär und dann Redakteur bei der taz bremen, danach freier Journalist. 2006 kehrte er als Redaktionsleiter zur taz nord in Hamburg zurück
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11 Kommentare

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  • Man darf sich nichts vormachen: Es gibt die geschlechterneutrale Sprache schon lange und man kann sehr schön geschlechterneutral formulieren.

    Liebe Genossinnen und Genossen



    Liebe Kollegeninnen und Kollegen



    Sehr geehrte Damen und Herren ...

    Alle Bergleute



    Alle Autofahrerinnen und Autofahrer ...

    ...

    Alles andere ist in Sprache gegossener Geschlechterkampf und dem muss MANN sich selbstverständlich widersetzen.

  • Ich wähle grün.



    Ich genieße die erfolgreiche Emanzipation der Frauen.



    Schwulsein ist für mich etwas Normales.

    Aber ich gendere nicht. Warum?

    Erstens halte ich die Vorstellung, ein Plural wie "die Amerikaner" deute auf ein maskulines Privileg hin, für reine Einbildung. Ich bin "eine Person", aber der weibliche Artikel macht mich, den Mann, nicht weiblich, oder? Jeder versteht automatisch, dass "die Amerikaner" die männlichen wie die weiblichen umfasst, und wenn ich speziell die Männer meine, MUSS ich sagen: "die männlichen Amerikaner" oder "die amerikanischen Männer".

    Zweitens: Sagen Sie sich diese Sätze mal laut vor: "1933 haben die Nationalsozialist/innen die Macht in Deutschland erobert. 12 Jahre lang wurden wir von Faschist/innen regiert. Das erwies sich vor allem für die Jüd/innen als Katastrophe. Die deutschen Faschist/innen haben dann die Pol/innen, Russ/innen und Französ/innen u. a. überfallen ... am Ende konnten uns gottseidank die Russ/innen und Amerikaner/innen besiegen." Haben Sie das jetzt laut gelesen? Möchten Sie so reden?

    Kaum über 10% der Deutschen befürworten das Gendern, etwa 80% lehnen es ab. Ich auch. Ganz ohne Misogynie oder Homophobie. Ich halte es für eine linke Spinnerei.

    Es ist politisch schlau von den Konservativen, das zum Thema zu machen.

    • @Leo Brux:

      Die Intention war sicher gut, doch leider sind die Feministen falsch abgebogen und haben sich mittlerweile völlig verrannt. Statt wie im Englischen die weiblichen Formen abzuschaffen und so die männlich-generischen Formen als inklusive zu erobern, schafft man zusätzliche neue Formen, die nicht sonderlich inklusiv klingen (eher wie die weiblichen, nur unbeholfen ausgesprochen) und insbesonders in Mehrfachkombination unschöne Komplexität erzeugen, sodass als weitere Formen substantivierte Partizipien herhalten müssen, die teilweise nur mäßig gut funktionieren (etwa "die Lesenden" statt "die Leser").

      Neben den neuen Formen werden von Gender-Fans für Personen mit (vermeintlich) bekanntem Geschlecht trotzdem die alten Formen verwendet -- eine Praxis, die eigentlich recht offensichtlich problematisch ist. Ein sehr schöner Artikel dazu von Nele Pollatschek: www.tagesspiegel.d...immer-4192660.html

    • @Leo Brux:

      Manchmal lohnt es sich, in die Vergangenheit zu schauen. Ein Teil davon ist heute besonders präsent: Die ersten Frauen, die sich in Männerdomänen durchsetzten, mussten sich dagegen wehren, in der männlichen Form angesprochen zu werden, etwa als Arzt oder Chemiker. Die erste deutsche Ministerin soll im Kabinett mit den Worten begrüßt worden sein, in diesem Kreis sei sie auch ein Herr. Das war den Frauen durchaus nicht angenehm, da ihnen damit vermittelt wurde, für die Ausübung ihrer neuen Tätigkeit würden sie sich ihrer Identität als Frau entledigen. Was ein Mann nicht musste, um seinen Beruf auszuüben.

      Daher war ein früher Schritt des Genderns, Frauen mit der weiblichen Form ihrer Berufs- oder Amtsbezeichnung anzusprechen. Der männliche Widerstand dagegen war mindestens genauso heftig wie jetzt.

      Ein Folgeschritt war etwa das /innen in Berufsbezeichnungen bei Stellenausschreibungen, um klar zu machen, dass sich auch Frauen als Maler oder Apotheker bewerben können. Und da wird es interessant bezüglich des generischen Maskulinums: Das war nämlich nicht allen klar, die sprachliche Form führte - Überraschung - zu bestimmten Vorstellungen, nämlich dass hier männliche Apotheker und Maler gesucht werden. Während Frauen eher als Krankenschwestern gesucht waren.

      So ringen bis heute Nicht-Männer darum, als nicht-männliche Personen korrekt und mit Respekt angesprochen zu werden - und eben auch solche, die sich weder als Männer noch als Frauen sehen. Und um sprachliche Formen, die alle Menschen ermutigen, zu tun, was sie tun möchten und zu glauben, dass sie es können.

      Hier zum Beispiel kann man das nachlesen: de.diversitymine.e...hmung-von-berufen/

    • @Leo Brux:

      Interessant wie sie die veränderte Sprach- und Denkpraxis auf vergangene Ereignisse anwenden (ohne Ironie). So praraphrasieren Sie:

      "1933 haben die Nationalsozialist/innen die Macht in Deutschland erobert. 12 Jahre lang wurden wir von Faschist/innen regiert. Das erwies sich vor allem für die Jüd/innen als Katastrophe"..

      ...natürlich paßt das nicht. Aber eben das ist doch der springende Punkt: hätten die Menschen damals so gesprochen und gedacht, wäre ein anderes Menschenbild die Folge gewesen. Und so behaupte ich: das Verbrechen der Nazis gar nicht erst möglich gewesen..

      • @Wunderwelt:

        Ich muss zugeben, ich habe mich nie wirklich mit gendern beschäftigt. Aber ihr Text mit: Nationalsozialist/innen, Faschist/innen macht mit mir etwas. Tatsächlich denke ich bei Faschisten und Nationalisten nur an Männer. Aber durch das Gendern wird mir erst bewusst, es gibt auch Frauen, die Nazis und Faschisten sind und durch das gendern wird es mir erst richtig bewusst.

    • @Leo Brux:

      Ichhabe das mal laut gelesen, wo liegt beidem Text das Problem?

      • @Jutta Kodrzynski:

        Also, Frauen haben das alles gemacht? Das hab ich nicht gewusst. Danke für die Info.

        Beim Hören hört man nur den weiblichen Plural.

        Drum redet ja auch niemand in Deutschland so. Wer gendert beim Reden?

  • Nee klar, es gibt auch sonst keine Probleme..

    Noch besser kann man seine Bedeutungslosigkeit wohl kaum unterstreichen wie jetzt die CDU..HH.

  • Der demografische Wandel verschleiert den Niedergang der Mitläuferparteien.



    Die Wähler von SPD und CDU sind im Schnitt wesentlich älter als die Gesellschaft

  • Mertens ist Mitglied des Vereins Deutscher Sprache e.V. von Walter Krämer, der sie in 2022 bei einer Klage unterstützte, weil man in einem ihrer Artikel aus "Zeichner" -> "zeichnende Person" gemacht hatte.