Hambacher Wald im Winter: Weihnachtlich glänzet der Forst

Auch im Hambacher Wald ist der Winter eine Zeit der Besinnlichkeit – und des Bodenfrosts. Die BesetzerInnen isolieren ihre Häuser, trauern und hoffen.

Dämmerung über dem Hambacher Forst

Gemütliche Stimmung – die gibt es an Weihnachten auch im Hambacher Wald Foto: imago/Manngold

Hambacher Forst taz | Es sägt und ratscht, klimpert und hämmert im Krähennest. Das neue Baumhausdorf im östlichen Teil des Hambacher Forstes hat noch keinen Winter überstehen müssen. Nun werden die Häuser isoliert. Der Bodenfrost kommt bestimmt. Am Waldboden unter und zwischen den Baumhäusern lagert das Material, liegen, lehnen und klemmen Paletten, Bretter, Säcke, hier und da auch Fenster. „Ein Baumhaus ist schon isoliert, an den anderen beiden sind wir dran“, sagt ein Besetzer, der sich Zange nennt. Gefroren hat er bisher aber noch nicht. „Wir haben super Schlafsäcke. Ich schlaf in zweien übereinander und bin echt am Schwitzen teilweise.“

Seit das Krähennest im Oktober entstanden ist, war RWE bereits zweimal für Räumungsarbeiten vor Ort. „Die sind hier mit Radlader und Harvester reingefahren, um ‚waldfremde Gegenstände‘ zu entfernen“, sagt Zange. „Alles zersägt und zerhauen und hingeworfen. Teilweise haben sie Tische mit Kettensägen zerlegt, und die Polizei stand daneben. Aber wir bauen immer wieder neu auf und haben das auch weiterhin vor.“ Es solle noch mehr Wohnraum entstehen, sagt Zange. „Für Leute, die einfach vorbeikommen und mithelfen wollen.“

Außerhalb des Krähennestes knacken Äste im Wind, die Vögel zwitschern. Kurz vor Weihnachten ist der Wald wieder Wald, nicht nur Gefahrengebiet. Monate der Unruhe liegen zurück: Im Herbst fand hier einer der größten Polizeieinsätze in der Geschichte von Nordrhein-Westfalen (NRW) statt. Tausende PolizistInnen verbrachten Wochen damit, AktivistInnen von den Bäumen zu holen. Zehntausende DemonstrantInnen protestierten. Angestellte einer Sicherheitsfirma rissen im Auftrag von RWE geräumte Baumhäuser und Plattformen ab. Der Einsatz dürfte eine zweistellige Millionensumme aus der Steuerkasse gekostet haben. Die Rechtsgrundlage war mangelnder Brandschutz der Baumhäuser – angeblich bestehe dadurch für die BewohnerInnen Lebensgefahr.

Manche Baumhäuser lagen in über 20 Metern Höhe. Dirk Weinspach, Aachener Polizeipräsident und Leiter des Einsatzes, hatte gewarnt, der vom NRW-Bauministerium angeordnete Einsatz bringe wegen dieser Höhen alle Beteiligten in Lebensgefahr. Am siebten Tag nach Beginn der Räumung stürzte tatsächlich ein Mensch in den Tod. Der 27-jährige Steffen Meyn brach während laufender Polizeimaßnahmen durch eine Brücke im Baumhausdorf Beechtown und verstarb im Wald.

Von der Gedenkstätte sieht man den Braunkohlebagger

In der Woche vor Weihnachten haben sich etwa dreißig Menschen um die Gedenkstätte für Meyn versammelt. Drei Monate ist der Absturz her. Unter den Rotbuchen, die einst Beechtown trugen, sind die Äste zu einem halben Zelt zusammengesteckt, verziert mit Laternen, Grabkerzen, Fotos, Andenken. „Möge deine Seele für immer in einem wunderschönen Wald leben“ steht auf einem Bild. Die KünstlerInnen Saxana und Helge Hommes haben eine Installation vorbereitet: ein Gemälde des Kunststudenten Meyn, wie er in einer Baumkrone sitzt, umgeben von Licht.

Die Gedenkstätte ist nicht die erste. Als der NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) fünf Tage nach Meyns Tod die Fortsetzung der Räumung anordnete, hatte man bereits den ersten Gedenkort umgesetzt. Bei der Beseitigung „waldfremder“ Gegenstände Anfang November schließlich zerstörten RWE-Mitarbeiter die Gedenkstätte komplett. RWE sprach von einem bedauerlichen Versehen. Der Verbleib der Andenken von BesucherInnen sowie von Fotos, Meyns Helm oder Brille ist bis heute nicht geklärt.

Saxana Hommes war oben in Beechtown, als Meyn stürzte. Seit sie wieder in Leipzig ist, hat die Malerin darüber nachgedacht, wie sie die Situation verarbeiten könne. Jetzt kettet sie das Bild, an dem sie anderthalb Monate gemalt hat, in Kopfhöhe an einen Baum. Auch einige BesetzerInnen helfen. „Es ist fest installiert, also nicht einfach abzumachen“, sagt ihr Partner Helge Hommes. „Falls einer auf die idiotische Idee kommt …“ Von der Gedenkstätte aus sieht man den Braunkohlebagger durch die Bäume. RWE hat ihn an den Waldrand gefahren und direkt vor Beechtown geparkt.

Auch Beate, die nicht will, dass ihr Nachname in der Zeitung steht, ist zur Gedenkstätte gekommen. Mit 68 Jahren ist sie eine der ältesten UnterstützerInnen der Besetzung. Einige nennen sie die „Mutter von Hambach“. An diesem Heiligabend lädt Beate zur Weihnachtsfeier im Rundhaus auf der besetzten Wiese ein. „Der Sinn ist, dass die Aktivisten sich an Heiligabend nicht alleine fühlen“, sagt sie. „Ich denke, dieses Mal wird es emotionaler sein. Das Jahr war mit sehr viel Unruhe verbunden. Wir haben Steffen verloren. Das sind tüchtige Einschläge. An Heiligabend wird unsere Erinnerung daran hängen.“

Möhren-Ingwer-Kürbis-Suppe und Nudelsalat

Bereits 50 Menschen haben sich zur Feier angemeldet. Um das Essen für alle vorzubereiten, hat Beate nur einen Tag eingeplant: BesetzerInnen kommen zu ihr nach Hause und helfen. „Es wird Möhren-Ingwer-Kürbis-Suppe und Nudelsalat geben, außerdem Glühwein, Stollen, und wir haben Plätzchen gebacken“, sagt Beate.

Im Rundhaus wollten sie eine Pyramide aufstellen „mit vielen Kerzen, Leuchtern und Sternen drum herum. Und dann diese Ruhe im Wald: Es ist wunderwunderschön und festlich.“ Auch ein Weihnachtsmann soll durch den Wald gehen. „Den spielt ein Aktivist. Er kommt dann mit der Glocke und verteilt Obst an alle.“

Das Abendprogramm werde der Situation entsprechen, aber auch der Tradition, sagt Beate. „Wir singen Weihnachtslieder und lesen die Weihnachtsgeschichte, aber auch kritische Texte. Wir wollen uns besinnen, aber auch in die Welt schauen: Wie geht es weiter mit dem Wald?“

Ein weiteres Thema wird wohl die Flüchtlingspolitik: „Das wird alles vorkommen. Ich bin ja eine Linke durch und durch, Gesundheit und Weltfrieden liegen mir am Herzen.“ Dieses Weihnachten wird das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ 200 Jahre alt. „Das wollen wir zusammen singen und interpretieren“, erzählt Beate. Einige würden vielleicht mit Instrumenten vorbeischauen. „Ansonsten summen wir.“

Baumbesetzer Zange

„Wir sind zusammen, und das ist das Einzige, was zählt.“

Die Menschen, die den Hambacher Forst besetzen oder die Besetzung unterstützen, haben verschiedene Meinungen über Weihnachten. Weihnachtslieder singen täten einige nur Beate zuliebe, sagt ein Besetzer, der schon länger dabei ist. Eine Besetzerin, die sich Alaska nennt, sagt, sie halte nichts davon, sich gegenseitig „Geschenke um die Ohren zu schmeißen“ – und von Weihnachten hält sie auch nicht sonderlich viel. „Aber ich werde meine Abneigung nicht zur Schau tragen. Ich mache mit. Es geht ja darum, dass wir alle zusammenkommen.“ Zange aus dem Krähennest sieht es ähnlich: „Wir sind zusammen, und das ist das Einzige, was zählt.“

Im kommenden Jahr stehen gewichtige Entscheidungen für den Hambacher Forst an: Das Verwaltungsgericht Köln hat angekündigt, bis Ende März zu beschließen, ob die letzten rund 200 Hektar gerodet werden dürfen. Und: Die Kohlekommission will einen Plan zum Braunkohle-Ausstieg vorlegen – eventuell mit Auswirkungen auf die geplante Ausweitung des Tagebaus. Außerdem könnte die Wiese, auf der die AktivistInnen Weihnachten feiern, geräumt werden, weil für die selbstgebauten Lehmhäuser keine Genehmigungen vorliegen.

An Heiligabend wollen sich alle gegenseitig stärken, um mit Kraft ins neue Jahr zu gehen, sagt Beate. „Es ist eben Christi Geburt. Irgendwie hängt ja alles mit dem Thema ‚Erschaffung der Welt‘ zusammen: Auch dieser Wald ist Teil der Schöpfung.“ Am Ende der Gedenkfeier umkränzen die Anwesenden das Bild von Steffen Meyn mit Ästen, sodass sie wie Sonnenstrahlen vom Rahmen ausgehen. Dann kehren sie die Rücken zum Bagger – und wünschen zum Abschied ein frohes Fest.

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