Die Bilanz zum Bergfest fällt durch- wachsen aus

Halbzeit: Was hat Rot-Rot-Grün in der ersten Hälfte der Legislaturperiode von den Zielen im Koalitionsvertrag in den Bereichen Digitales, Inklusion, Klima, Bildung, Soziales, Sicherheit, Verkehr, Wohnen, Arbeit und Kultur umgesetzt? Und was nicht? Eine Bestandsaufnahme

Digitales

Foto: Christian Jungeblodt

Berlin ist digitaler Spitzenreiter: Damit überraschte pünktlich zur R2G-Halbzeit eine Studie des Fraunhofer-Instituts. Denn etwa 60 Prozent der BerlinerInnen verlagern die Kommunikation mit den Behörden ins Internet, wodurch die Koalition ihrem erklärten Ziel, „Verwaltungsprozesse zu digitalisieren“, näher kommt. Auch ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im IT-Bereich seit 2017 um 20 Prozent gestiegen.

Laut Studie verfügt die Hauptstadt zudem über gut ausgebautes, schnelles Internet, das bald noch einmal an Tempo zulegen könnte. Seit 2018 stattet die Telekom im Auftrag der Senatswirtschaftsverwaltung das Stadtgefüge mit zusätzlichen Antennen für den neuen Mobilfunkstandard 5G aus – noch vor Bekanntgabe, an wen die Bundesnetzagentur die Lizenz vergibt. Das dürfte weitere Zukunftstechnologie-Unternehmen hierher locken, insofern sie Arbeitsräume finden: Der Plan von R2G, die Gewerbeflächen für „Zukunftsorte“ und „Inkubatoren“ auszuweiten, geht bei einem Leerstand von unter 2 Prozent aktuell nicht auf.

Dennoch kann der Senat einen Erfolg für das angestrebte „Innovationsnetzwerk“ der vollautomatisierten Industrie 4.0 verbuchen: Siemens kommt nach Spandau zurück. Das Unternehmen investiert 600 Millionen, um in Siemensstadt einen Innovationscampus entstehen zu lassen. Jedoch darf nicht auf neue Arbeitsplätze gehofft werden. In einem kürzlich dazu anberaumten Bürgerdialog erklärte ein Konzernsprecher, dass vorerst nur der Erhalt bestehender Beschäftigungsverhältnisse im Fokus stehe.

Von der digitalen Zukunftsmusik kommt in den Berliner Schulen nur wenig an. Viele Bildungsstätten sind nicht mal ans Breitband angeschlossen. Falls doch, müssen sich im Schnitt 5,5 SchülerInnen einen Computer teilen. Und in der Freizeit können sich die SchülerInnen und alle anderen BerlinerInnen auch nur bedingt ins kostenlose Internet einwählen. Das im Koalitionsvertrag vorgesehene „berlinweite Angebot an öffentlichen WLAN-Zugängen“ entspricht derzeit einem Teppich aus vielen Flicken, der aber kontinuierlich engmaschiger wird. Katharina Schmidt

Inklusion

Foto: imago

Den Koalitionsvertrag durchackern ist kein Spaß, aber beim Thema Inklusion lässt sich doch ein gewisser Ehrgeiz entwickeln: Mehr als ein Dutzend konkreter Vorhaben sind formuliert, in die mindestens sieben der zehn Senatsverwaltungen inhaltlich involviert sein sollten. „Die inklusive Gesellschaft ist die Leitidee der Politik der Koalition“ heißt es auf Seite 94.

Zur Erinnerung: Eine Gesellschaft ist dann inklusiv, wenn sämtliche Lebensbereiche so gestaltet sind, dass sie allen Menschen gleichberechtigt zugänglich sind. Bund und Länder sind gemäß UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. In Berlin gibt es mehr als 625.000 Menschen mit anerkannter Behinderung. Tendenz steigend – wir werden alle älter.

Weil Inklusion alle Lebensbereiche und damit auch alle Verwaltungen betrifft, soll eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe ein Konzept zur Umsetzung der behindertenpolitischen Leitlinien entwickeln. Diese tagte allerdings in den Jahren 2017 und 2018 gerade zweimal. Die Verwaltungen arbeiteten nicht zu, nicht alle brächten sich gleichermaßen ein, und manche schickten Menschen ohne Entscheidungskompetenz in die Arbeitsgruppe, klagten die Behindertenbeauftragten von Land und Bezirken in einem offenen Brief Ende 2018. Die „Leitidee“ Inklusion – sie liegt in der Koalition offenbar nicht obenauf.

Bei der Abfrage weiterer Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag ergibt sich noch ein anderes Problem: Verantwortungsdiffusion. Wenn quasi alle zuständig sind, fühlt sich keiner verantwortlich.

Dafür zwei Beispiele: Die Entwicklung eines Konzepts zur Mobilitätssicherung von Menschen mit Behinderung obliegt doch sicher der Verkehrsverwaltung. Die verweist „zuständigkeitshalber“ aber auf die Integrationsverwaltung, die prompt zurückverweist. Befragt zum geplanten Aufbau einer Datenbank für barrierefreie medizinische Angebote fühlt sich wiederum die Gesundheitsverwaltung nicht zuständig und verweist auf die Landesbehindertenbeauftragte Christine Braunert-Rümenapf. „Das passiert leider immer wieder“, klagt diese. Dabei habe sie als Stabsstelle weder entsprechende Kompetenzen noch Ressourcen.

In anderen Bereichen hat sich mehr bewegt: Landeswahlgesetz, Landespflegegesetz und Schulgesetz wurden zugunsten von Menschen mit Behinderung novelliert, Fördergelder für den Umbau zu barrierefreien Taxis bereitgestellt, der barrierefreie ÖPNV ist zumindest in Sicht.

Aber ein inklusiver Geist weht beileibe nicht durch die Regierung. Das liege auch an der fehlenden Sichtbarkeit des Themas, sagt die Landesbehindertenbeauftragte. „Ein Problem, über das nicht berichtet wird, ist kein Problem.“ Diese Ansage geht dann wohl an uns. Manuela Heim

Klima

Foto: picture alliance

Symbolisch hat R2G gepunktet: Im Mai 2017 beschickte Vattenfall das Heizkraftwerk Klingenberg letztmalig mit dem Klimakiller Braunkohle. Die Schornsteine (Foto) am Spreeufer gegenüber dem Plänterwald produzieren zwar im Winter weiter dicke Dampfwolken, befeuert wird das Kraftwerk aber inzwischen mit Erdgas, das eine bessere CO2-Bilanz hat.

Um das noch unter Rot-Schwarz aufgestellte Ziel der Klimaneutralität 2050 zu erreichen, müssen die Kohlendioxid-Emissionen im Land gegenüber 1990 um 85 Prozent reduziert werden. Das ist ambitioniert und kann nur funktionieren, wenn die Steinkohle­verbrennung so bald wie möglich endet, mit der Strom und Fernwärme produziert werden.

Für die KlimaschützerInnen vom Bündnis Kohleausstieg steht fest: „Spätestens im Jahr 2025 muss der letzte Steinkohle-Kraftwerksblock vom Netz genommen werden.“ Aber so schnell wird es nicht gehen, zumal nicht der Senat die Kohleschaufel schwingt, sondern der Vattenfall-Konzern. Mit dem zusammen hat die Landesregierung eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, wie Berlin bis 2030 steinkohlefrei werden kann. Noch in der ersten Hälfte dieses Jahres soll die Studie vorliegen. Ihr Entstehen wird von einem „Begleitkreis“ beobachtet, in dem Politik, Umweltverbände und Industrie vertreten sind. Dort stritt man sich letztens um die Frage, ob im Gegenzug zum Kohleausstieg die Müllverbrennung ausgeweitet werden solle. De facto wird jetzt schon im BSR-Kraftwerk Ruhleben mehr Abfall „thermisch verwertet“ als genehmigt. Grüne wie der Abgeordnete Georg Kössler wehren sich dagegen, dass die ebenfalls von Rot-Rot-Grün beschlossene „Zero Waste“-Strategie zugunsten des Klimaschutzes aufgeweicht wird.

Darüber hinaus wurde im Rahmen des Berliner Energie- und Klimaschutzprogramms 2030 (BEK) viel in Bewegung gesetzt – über Erfolge lässt sich noch wenig sagen. Unter anderem wird an einem „Masterplan Solar City“ zur Bestückung der Berliner Dachflächen mit Photovoltaik oder Solarthermie gearbeitet. Auch eine Strategie zur energetischen Sanierung aller öffentlichen Gebäude ist in der Mache.

Immer noch nicht richtig abgehoben hat das Stadtwerk, obwohl es bezahlbaren und kommunalen Ökostrom anbietet. Sowieso gut fürs Klima ist die kürzlich erfolgte Vergabe des Stromnetzes an die landeseigene BerlinEnergie, die die Energiewende beim Netzausbau aktiv vorantreiben will. Claudius Prößer

Bildung

Foto: Thomas Trutschel/photothek

Das Ressort von Senatorin Sandra Scheeres (SPD) ist wahrlich kein Ponyhof: Mangel an Kitaplätzen, LehrerInnen, ErzieherInnen und zu wenige (intakte) Schulgebäuden obendrein – das sind lange gewachsene Probleme. Dennoch, wenn Eltern keinen Kitaplatz finden oder ihrem Kind in der Schule die Decke auf den Kopf fällt, werden sie unwillig: In einer Forsa-Umfrage zu den Beliebtheitswerten der Senatsmitglieder rangierte Scheeres zuletzt auf dem letzten Platz.

Tatsächlich fällt ihre Halbzeitbilanz durchwachsen aus; Scheeres größtes Problem: Bildungspolitik ist ein schwerer Tanker, das Umsteuern dauert. Es dauert, bis die neuen Schulen fertig sind – selbst wenn man die Bauzeiten mit vereinfachten Planverfahren und standardisierten Fertigbauten halbiert hat. Und auch wenn die Unis ihre Studienplatzkapazitäten, wie im Koalitionsvertrag versprochen, „massiv erhöht“ haben auf plus 50 Prozent Studierende im Lehramtsmaster. Bis die fertig studiert haben, dauert es eben.

Hinzu kommt, dass Scheeres zwar oft die richtigen Schräubchen dreht, aber eben nicht immer das ganz große Rad. Beispiel Quereinsteig: Die Betreuung der in den vergangenen zwei Jahren massenhaft eingestellten QuereinsteigerInnen in Kita und Schule, sie hat sich verbessert. Es gibt jetzt einen einwöchigen Crashkurs vor Jobbeginn, und ein Patenprogramm in den ersten Schulwochen. Die Kitas haben mehr Anleitungsstunden für die SeiteneinsteigerInnen bekommen.

Doch lösen mehr Betreuung und auch eine umstrittene Brennpunktzulage – 300 Euro Gehaltsbonus für die Arbeit an Schulen in schwieriger Lage –, kein grundsätzliches Problem. Schulen in benachteiligten Kiezen haben überproportional viele, nicht voll ausgebildete PädagogInnen. Die mögen jeder für sich großartig sein, müssen aber selbst ihren Beruf erst noch erlernen – und dabei vom Start weg mit einer herausfordenden Schülerschaft umgehen. „Jede Schule soll Ausbildungsschule werden“, hatte Scheeres im Januar appelliert, doch bei dem Appell ist es vorerst geblieben.

Leistungsfähiger sollen Schulen werden, auch das stand im Koalitionsvertrag. Die Abschlüsse sollen besser werden. Tatsächlich gab es zuletzt aber wieder mehr SchülerInnen ganz ohne Abschluss.

Als Reaktion hatte Scheeres im Januar eine „Qualitätsoffensive“ angekündigt: mehr Deutsch- und Mathestunden, mehr Leistungskontrollen. Das ist richtig, aber wenn die Ressourcen insgesamt nicht stimmen, dreht man damit eben nur wieder am Schräubchen: In den Schulhorten hat sich der ErzieherInnen-Schlüssel nicht verbessert. Es gibt zwar mehr Schulsozialarbeit, aber eben auch mehr verhaltensauffällige und überhaupt mehr Kinder. Die Bedingungen, unter denen die zusätzlichen Deutschstunden stattfinden, ändern sich nicht.

Anna Klöpper

Soziales

Foto: Karsten Thielker

Hier hat sich R2G viel Gutes vorgenommen – und einiges auch umgesetzt. Anfang 2018 wurden zum Beispiel die Mietkostenzuschüsse angehoben. Folge: Weniger Menschen müssen umziehen, weil ihre Wohnung zu teuer ist fürs Jobcenter oder Sozialamt, oder müssen einen Teil der Miete mit ihrem Regelsatz selbst bezahlen.

Weniger erfolgreich ist die Koalition, Wohnungslosen zu einer Wohnung zu verhelfen, etwa Flüchtlingen. Die Vermittlungszahlen des Landesamts für Flüchtlinge sind 2018 gegenüber 2017 gesunken. Und obwohl der Senat wie angekündigt veranlasst hat, dass auch Flüchtlinge einen WBS bekommen können, hapert es an deren Ausstellung, sagt der Flüchtlingsrat.

Auch der Neubau von Modularen Unterkünften für Flüchtlinge (MUF) geht nicht so schnell wie geplant – wegen Streitereien um Grundstücke, Baupfusch etc. Dafür sollen die Containerdörfer, die R2G erst gar nicht wollte, länger als die vorgesehenen drei Jahre stehen bleiben. Und: Schneller als geplant sollen MUF und Containerdörfer (Foto) allen Wohnungssuchenden mit wenig Geld offen stehen. Positiv auch: Zur Halbzeit von R2G gibt es mehr Wohnraum für Flüchtlingsfrauen – für sie und ihre Kinder wurden zwei Heime eingerichtet, ein Drittes ist fast nur mit Frauen und Kindern belegt.

Noch nicht Realität ist der im Koa­litionsvertrag versprochene „Heim-TÜV“, der die Qualität von Heimen – für Flüchtlinge und Obdachlose – sichern soll. Seit Juni 2018 läuft ein „Pilotprojekt Beschwerdemanagement“, 2020 soll es flächendeckend losgehen.

Doch um die Qualität aller Heime zu sichern, braucht man einen Überblick, wo es überhaupt welche Plätze gibt. Den hat Berlin bei den Obdachlosen bis heute nicht, weil das die Bezirke machen. Die Koalition hat sich daher die „gesamtstädtische Steuerung der Unterbringung von Wohnungslosen (GStU)“ vorgenommen. Damit sollen dann – irgendwann – alle bedürftigen Menschen in „qualitätsgeprüfte und bedarfsgerechte Unterbringungen“ vermittelt werden, so die Sozialverwaltung. Weil man aber jetzt schon weiß, dass es zu wenig Heimplätze gibt, soll zugelegt werden. Ziel sind u. a. 100 Notschlafplätze für Familien (aktuell gibt es 30), und 50 Notplätze für Frauen (aktuell 40). Die Käl­te­hilfe wurde schon ausgebaut auf 1.200 Plätze in diesem Winter.

Weitere Maßnahmen wurden auf zwei Strategiekonferenzen beschlossen, aber größtenteils noch nicht umgesetzt. Dazu gehört eine Zählung der Obdachlosen und mehr Mitarbeiter in den bezirklichen Wohnhilfen.

Susanne Memarnia

Sicherheit

Ursprünglich hatte es geheißen, der oder die unabhängige Polizeibeauftragte werde 2019 die Arbeit aufnehmen. Inzwischen ist klar: Vor 2020 wird das nichts. Und selbst das ist ungewiss, wenn sich Rot-Rot-Grün in der Innenpolitik weiter so beharkt wie bisher.

Dass Berlin eine unabhängige Beschwerdestelle für Polizeiangelegenheiten bekommt, war Grünen und Linken ein Herzensanliegen, als sie 2016 den Koalitionsvertrag schlossen. Manche Kröte der SPD haben sie dafür geschluckt. Womit Grüne und Linke nicht gerechnet haben, ist, dass die Sozialdemokraten die Umsetzung ihres Lieblingsprojekts einmal blockieren könnten, nach dem Motto: Erst nickt ihr ab, dass wir das Polizeirecht (Asog) verschärfen, dann bekommt ihr euren Beauftragten.

Ihre Pläne hat die SPD bereits in einen Gesetzesentwurf gekleidet. Konkret geht es um Dinge wie die Einführung der elektronischen Fußfessel für Gefährder, den finalen Rettungsschuss für die Polizei, die Telefonüberwachung zur Gefahrenabwehr mittels des Einsatzes stiller SMS und sogenannter Imsi-Catcher. Im Koalitionsvertrag steht davon kein Wort.

Grüne und Linke haben signalisiert, dass sie das nicht mittragen. Die SPD verweist zur Begründung auf den islamistischen Anschlag auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016. Wegen andauernder Terrorgefahr benötige die Polizei erweiterte Befugnisse. Auch eine Videoüberwachung an ausgewählten kriminalitätsbelasteten Orten will Innensenator Andreas Geisel (SPD) einführen.

In keinem anderen Ressort blockiert sich die Koalition so wie in der Innenpolitik. Liberalisierung des Versammlungsgesetzes? Entkriminalisierung von Vermummung? Nichts von den Vorzeigeprojekten von Linken und Grünen kommt voran. Stattdessen wird gepockert und gezockt. Bei der Senatssitzung am 5. März 2019 verweigerte Geisel seine Zustimmung zu der von Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) eingebrachten Bundesratsini­tiative zur Entkriminalisierung des Schwarzfahrens. Eigentlich war sich die Koalition in der Frage längst einig. Geisel wolle noch Gespräche auf Bundesratsebene abwarten, hieß es plötzlich. Inoffiziell verlautete, die SPD halte sich so lange zurück, bis Grüne und Linke der Asog-Änderung zugestimmt hätten.

Trotzdem ist in der Innenpolitik natürlich einiges passiert: Der Polizeipräsident wurde durch eine Polizeipräsidentin ersetzt, die Ausstattung der Polizeikräfte verbessert, die Polizeiakademie verzeichnet pro Jahr 1.200 Neuzugänge, 2021 sollen 18.000 Vollzugsstellen besetzt sein. Mobile Wachen wurden eingerichtet, die Streifentätigkeit an Kriminalitätsschwerpunkten verstärkt, und Straftaten sind zurückgegangen. Ein bürgerrechtsfreundliches Projekt indes fehlt. Plutonia Plarre

Verkehr

Foto: imago

Der Verkehr ist ein grünes Kernthema unter R2G – auch wenn die Ökopartei mit Regine Günther als der zuständigen Senatorin eine Parteilose ins Amt gehievt hat. Ob die Klimaexpertin die Richtige für die lokale Verkehrswende ist, war in der Partei umstritten, neuen Auftrieb bekamen die KritikerInnen, als Günther Ende 2018 ihren schwer erkrankten Staatssekretär Jens-Holger Kirchner entließ. Am Ende musste der Regierende Bürgermeister deeskalieren, indem er Kirchner einen Job in der Senatskanzlei zusicherte.

Wie auch immer: Mobilität ist ein Megathema dieser Tage, und der Erfolg von R2G auf diesem Feld wird keineswegs nur am Ausbau der Rad-Infrastruktur gemessen werden. Auch die Erneuerung des Öffentlichen Nahverkehrs (ÖPNV) wird entscheidend sein, denn die Koalition hat – möglicherweise etwas spät – realisiert, dass die Sparerei der Wowereit-Ära letztlich ihr auf die Füße fällt: Seit Langem schon kämpft die BVG vor allem unter Tage mit marodem Gerät und mit hohen Krankenständen und wachsender Unzufriedenheit in der gesamten Belegschaft.

Gut für Rot-Rot-Grün, dass die Steuereinnahmen sprudeln. So konnten Günther und ihre Kollegin Ramona Pop als BVG-Aufsichtsrats­chefin jüngst den neuen Nahverkehrsplan vorstellen, der mit einer riesigen Geldspritze verbunden ist: bis 2035 bewegt der Berliner ÖPNV einen Betrag von 28,1 Milliarden Euro, im Schnitt fast 700 Millionen Euro mehr pro Jahr. Viel davon fließt in den massiven Ausbau bzw. die Erneuerung der Fuhrparks von Tram, U-und S-Bahn sowie die komplette Elektrifizierung der Busflotte. Schon bis 2021 sollen drei neue Tram-Linien­abschnitte in Betrieb gehen.

Auch die bessere Verzahnung von Berlin und Brandenburg treibt R2G im Rahmen des Projekts i2030 voran. Dabei geht es u. a. um den zweigleisigen Ausbau von S-Bahnstrecken, aber auch die Reaktivierung gänzlich verödeter Trassen. Zu sehen und spüren ist von all dem bislang freilich noch nichts. Und dass ausgerechnet jetzt die zur DDR-Zeit erbauten Brücken schlapp machen, ist noch so ein unverschuldetes, aber schwieriges Erbe.

Immerhin im Geldbeutel merken manche bereits eine Veränderung: Schon 2017 senkte die Koalition den Preis für das Sozialticket von 36 auf 27,50 Euro und erweiterte den Personenkreis, der Anspruch darauf hat. Und schon ab Herbst 2019 wird sich der Ticketkauf für alle SchülerInnen erübrigen, sie fahren dann kostenlos. Claudius Prößer

Wohnen

Foto: Karsten Thielker

Vielleicht kommt es Katrin Lompscher zupass, dass ihre Verwaltung nicht mehr Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen heißt, wie es in seligen SPD-Zeiten der Fall war, als noch gestandene Bausenatoren die Kräne tanzen und manchmal auch die Distanz zu Investoren aller Couleur vermissen ließen.

Seit die Linken-Politikerin Lompscher das Ressort übernommen hat, heißt es Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen – kurz: SenSW –, und genau so agiert die Senatorin auch. In der Stadtentwicklung hat sie freilich auch starke Konkurrenten.

Zwar hat Lompscher mit der Stadtwerkstatt Mitte die Rekonstruktion der Berliner Altstadt zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche endgültig auf den Sankt Nimmerleinstag verbannt. An symbolisch aufgeladenen Orten wie dem Haus der Statistik oder dem Dragonerareal, wo die Bezirke das Sagen haben, ist aber eher Senatskollege Kollatz vom Finanzressort präsent. Und vom „An sich ziehen“, was sie kraft ihres Amtes könnte, hält sie nicht viel, wie sie gerade erst wieder bekundete. So lässt Lompscher etwa die Hängepartie am Pankower Tor laufen, wo sich der Bezirk an den Grünen die Zähne ausbeißt, die dort in bester alter Investitionsverhinderungsmanier bremsen, in der Hoffnung, der Investor schmeißt hin.

Umso engagierter ist Lompscher beim Wohnen. Die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften hat sie auf Mieterfreundlichkeit getrimmt wie noch keiner ihrer Vorgänger. Dass ihr die SPD vorwirft, zu sehr auf die „Bestandsmieter“ zu schauen, ist insofern seltsam, als es Michael Müller war, der diesen Kurs einst begonnen hatte. Aber der Vorwurf hat natürlich mit dem geänderten Namen der Verwaltung zu tun. Auch ohne ihn soll Lompscher nämlich Bausenatorin sein, mindestens aber die 30.000 landeseigenen Wohnungen bauen, die R2G im Koalitionsvertrag versprochen hat. Dass sie eher bei 24.000 oder 25.000 landen wird, wird ihr als Makel noch lange anhaften – gerade das Bauen ist eine mögliche Sollbruchstelle bei Rot-Rot-Grün.

Dabei nimmt Lompscher an anderer Stelle durchaus eine Vermittlerrolle ein. Während die SPD nur den landeseigenen Gesellschaften vertraut und die Grünen auch ihre Baugruppenklientel bedienen muss, sucht die Linke den Mittelweg und findet ihn bei den „gemeinwohlorientierten“ Akteuren. Gemeint sind dabei auch Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat, die dauerhaft Wohnungen der Marktspekulation entziehen.

Die Halbzeit-Bilanz von Rot-Rot-Grün: ein Blick ins Innenleben der Berliner der Verwaltung

gesellschaft 26–27

Fazit: Dass die SPD das Bauressort verloren hat, hat den Berlinerinnen und Berlinern nicht geschadet. Im Gegenteil. Uwe Rada

Arbeit

Foto: picture alliance

Rot-Rot-Grün hatte angekündigt, sich für „gute Arbeit“ einsetzen und prekäre Jobs verdrängen zu wollen. Auf die private Wirtschaft hat der Senat wenig Einfluss. Wohl aber auf die Vergabe öffentlicher Aufträge: Das Gesetz dazu wird derzeit überarbeitet, es soll vor allem bürokratische Hürden abbauen. Firmen, die öffentliche Aufträge annehmen, sollen in Zukunft einen Mindestlohn von 11,30 Euro zahlen, so der Vorschlag von Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn liegt seit Januar bei 9,19 Euro. Ob es bei 11,30 Euro bleibt, muss man sehen. Das Vergabegesetz geht jetzt durch die Instanzen, soll aber noch in diesem Jahr verabschiedet werden.

Im Koalitionsvertrag hat sich Rot-Rot-Grün vorgenommen, Langzeiterwerbslose in Arbeit zu bringen. Mit dem vor allem von Michael Müller angeschobenen Modellprojekt eines „Solidarischen Grundeinkommens“ sollen ab Juli 1.000 BerlinerInnen, die mindestens ein Jahr, aber nicht länger als drei Jahre arbeitslos sind, einen öffentlich geförderten Job bekommen. Die Arbeit soll dem Gemeinwohl dienen und etwa bei einem sozialen Träger oder einer Wohnungsbaugesellschaft angesiedelt sein. Eine sicherlich gute, relativ teure Initiative, angesichts der 111.000 erwerbsfähigen Langzeitarbeitslosen in Berlin allerdings auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Antje Lang-Lehndorf

Kultur

Foto: Christian Mang

Der Start von Klaus Lederer vor zweieinhalb Jahren war eher holprig, denn sofort bekam er den Streit um die Volksbühne an den Hals. Doch spätestens, als Berlins beliebtester Politiker im Kulturausschuss Anfang September 2017 den Doppelhaushalt 2018/19 vorstellen durfte, scheint oft ziemlich gute Laune zu herrschen in der Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Dank unverhofft hoher Steuereinnahmen und einer beträchtlichen Aufstockung des Hauptstadtkulturfonds hat der Linken-Politiker seit einem Jahr einen wahren Goldregen auszuschütten. Zahlreiche Berliner Kreative, Kulturinstitutionen und Projekte, die in den letzten Jahren oft prekär unterwegs waren, geht es seit 2018 deutlich besser.

Lederer hat ein unverkennbares Faible für kulturelle Bildung: Die Musikschulen bekommen 20 Prozent feste Mitarbeiter, der Topf für die bezirkliche Kulturarbeit wurde verdoppelt, es gibt einen Bibliotheksentwicklungsplan. Und trotzdem ist es die wachsende, teurer werdende Stadt, die er vor allem im Blick hat. So wurde ein großer Teil der neuen Gelder wie im Koalitionsvertrag angekündigt dazu verwandt, zumindest dort so­zia­le Mindeststandards zu erreichen und nach Tarif zu bezahlen, wo das Land fördert. Ein wichtiger Schritt, denn schließlich weiß jeder, dass die Angst vor steigenden Mieten und Verdrängung nicht gerade die Kreativität fördert.

Gleichzeitig dreht sich vieles darum, bezahlbaren Raum zu erhalten und neu zu schaffen: Da sind zum einen die Kulturimmobilien, die Lederer gerettet hat: Das Radialsystem V, das Atelierhaus in der Prenzlauer Promenade, das Theater O. N. sind in trockenen Tüchern. Auch ist beschlossen, die Alte Münze, die alte Hochschule für Schauspielkunst und die Universal Hall zu entwickeln.

Hinzu kommen die 2.000 neuen Ateliers, die laut Koalitionsvertrag bis 2021 entstehen sollen. „Ein ambitioniertes Projekt“, heißt es aus der Pressestelle des Senats, besonders in Anbetracht der aktuell nur „1.000 geförderten Arbeits- bzw. Arbeits- und Wohnräume für Künstlerinnen und Künstler“. Genaue Zahlen gibt es zwar noch keine, aber man lässt verlauten, es befinde sich in der aktuellen Planung und Umsetzung „eine dreistellige Zahl weiterer Arbeitsräume“. Außerdem habe man mit den Städtischen Wohnungsbaugesellschaften und der Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) einige Neubauprojekte angeschoben. Man sei also durchaus „auf einem guten Weg“. Susanne Messmer