Hajo Schumacher über Geschlechterrollen: „Wir sind keine Gegenteile“

Schlüpfrige Sprüche gehören für den Journalisten Hajo Schumacher der Vergangenheit an. Denn eine Beziehungskrise machte ihn zum Feministen.

Zwei Lampen stellen eine Frau und einen Mann dar. Ihre Geschlechtsmerkmale leuchten

„Für toxisch halte ich die Polarisierung der Geschlechter: stark, schwach“, sagt Hajo Schumacher Foto: Michael Prewett/Unsplash

taz: Herr Schumacher, bisher kennen wir Sie als politischen Journalisten und Kolumnen schreibenden Marathonläufer. In Ihrem Buch „Männerspagat“ wollen Sie nun Frieden zwischen den Geschlechtern stiften und „Feministinnen lieben lernen“. Sind Sie plötzlich Feminist geworden?

Hajo Schumacher: Nach Erscheinen des Buches sagte ein nicht ganz unbekannter Fernsehmoderator: „Mann, Schumacher, jetzt hast du auch kapituliert vor den Weibern.“ Als befänden wir uns im Krieg. Ich würde so sagen: Mein Verständnis für einen gemäßigten liberalen Feminismus ist sehr viel größer geworden, auch wenn’s etwas gedauert hat. Wer heute noch witzelt, weil jemand „Studierende“ sagt, ist eher peinlich.

Was war der Auslöser für Ihre Bekehrung?

Eine veritable Beziehungskrise. Meine Frau und ich stellten fest, dass wir unbewusst die klassischen Rollen unserer Eltern nachspielten, nachdem die Kinder da waren. Ich kam abends erschöpft nach Hause, und Mutti lag auf dem Sofa. Ich fühlte mich über-, sie sich unterfordert, bei beiden wuchs Unmut.

Eine Situation, die vielen bekannt sein dürfte.

Wir haben uns gefragt: Warum machen wir das so, und wie können wir es ändern? Das führte dazu, dass meine Frau mit Mitte 40 noch mal zu studieren begonnen hat. Und ich habe beruflich radikal reduziert. Sie hat erfahren, dass die „Selbstverwirklichung“ da draußen auch nicht die reine Freude ist; ich verzweifelte an Mittelohrentzündungen und vergessenen Turnbeuteln. Ein paar Minuten Rollentausch und Perspektivwechsel schaffen mehr Verständnis als jahrelange Streitereien.

Viele Männer wollen beruflich nicht kürzertreten, sie wollen aufsteigen.

Wollte ich auch mal. Mit Mitte 30 wurde ich ja Co-Chefredakteur der Max: Mission Millionenauflage, 80-Stunden-Woche, alles total wichtig. Nach zwei Jahren war ich gescheitert und stand beim Arbeitsamt auf der Matte. Der Bekanntenkreis reduzierte sich erheblich, und ich hatte Zeit, über meine wahren Antriebe zu sinnieren. Erste Erkenntnis: Dieses Chefdings war nicht meins. Meine Frau sagte: Komm bloß nicht mit dem nächsten Führungsjob an. Wenn man den eigenen Helden- und Karrierefimmel infrage stellt, wankt plötzlich auch das Rollenbild, weil nicht mehr viel übrig bleibt vom klassischen männlichen Selbst.

geboren 1964, ist Politikjournalist, Autor, passionierter Läufer und lebt mit seiner Familie in Berlin. Im Herbst letzten Jahres ist sein Buch „Männerspagat – Wie wir mit Offenheit, Respekt und Leidenschaft die alten Rollen überwinden“ im Eichborn Verlag erschienen.

Weil man nicht mehr der Größte und Stärkste sein muss?

Und weil ich kapiert habe, dass das „Gedöns“, wie Gerhard Schröder mal sagte, für mich extrem wichtig ist. Work-Life-Fun-Gender-Balance bedeutet für mich nicht Luxus, sondern gelingendes Leben.

In dem Wort Gedöns steckt ja die gesamte gesellschaftliche Abwertung der Weiblichkeit. Das sind die Schwachen, wir sind die Starken.

Das hat meine Babyboomergeneration so in den Knochen. Abwerten bedeutete für mich zugleich das unerwachsene Aufwerten einer unsicheren Männerseele. Zu Chefzeiten habe ich manchmal schlüpfrige Sprüche gemacht. Bis mir eine ältere Kollegin nett, aber klar sagte, wie so etwas, vor allem in einer Hierar­chie, auf jüngere Kolleginnen und auch Kollegen wirkt. Inzwischen weiß ich: Solche Witze sind Teil alltäglicher Erfahrungen mit Übergriffigkeiten, die viel mit Machtdemonstration zu tun haben.

Sie haben die Selbstaufwertung des Mannes durch Leistung im Buch „Heldenfimmel“ genannt. Ihren eigenen Heldenfimmel haben Sie dann aufs Laufen verlagert?

Ja, der Heldenfimmel für Arme. Man braucht nur den Willen, sich drei Stunden allein im Wald zu quälen, und schon ist man ein ganzer Kerl. Wer das nicht schafft, kann immer noch Experte werden und sich in Gin-Tastings oder Fußball fliehen: „Der hat Ahnung“, lautet das größte Männerkompliment. Die Übersetzung: Der treibt einer immensen Aufwand, um sich nicht mit seinen seelischen Schmerzen zu befassen.

Sie haben es mit dem Laufexpertentum ziemlich weit getrieben. Als „Achim Achilles“ haben Sie Bestseller geschrieben, eine große Social-Media-Figur geschaffen …

… und steckte gleich wieder in der Leistungsfalle. Deswegen hechele ich heute nicht mehr hinter Bestzeiten her. Ich laufe noch, aber die Pulsuhr habe ich vor drei Jahren weggeworfen. Die Pulsuhr ist das, was das Laufen vermännlicht: Leistung messen und aus Zahlen Selbstwert ableiten.

Sich davon zu verabschieden, stelle ich mir nicht ganz leicht vor.

Weil plötzlich die Ablenkung durch Nebensächlichkeiten fehlt und die Sinnfrage auftaucht: Wofür der Quatsch? Ich fand heraus, dass es mir beim Laufen gar nicht um Gesundheit ging, sondern um Anerkennung von anderen. Ein klassisches Leben im Außen, um eigene oder andere Erwartungen zu erfüllen.

Bleibt die Frage, wie man Anerkennung bekommt, ohne 42 Kilometer zu laufen.

Die Killerfrage stammt vom Philosophen Frithjof Bergmann: Was will ich wirklich wirklich? Konsumkrempel jedenfalls nicht. Unsere Beziehung ist wieder in Gang gekommen über die wunderbare alte Kulturtechnik des Miteinander-Redens, um Bedürfnisse zu ermitteln. Es hat eine Weile gedauert, bis ich sagen konnte: Wie gern würde ich in deinem Arm liegen und deinem Herzschlag lauschen. Passt leider nicht zum einsamen Helden. Es hat mich Überwindung gekostet, diese Bedürfnisse nicht totzudröhnen mit Netflix, Rotwein oder Marathon, sondern sie zuzulassen, ohne mich sofort weicheiig zu fühlen.

Unser Beruf fördert das Schwächezeigen ja auch nicht gerade, oder?

Ich habe viele Politikerpor­träts geschrieben, und die galten als gut, wenn beißender Sarkasmus drin war. Irgendwann schaut man mit diesem ätzenden Blick auch auf sich selbst. Ich brauchte ein regelrechtes Medien-Detox, um diesen inneren Meckerer in Schach zu halten und Frieden zu finden auch mit anderen Männern.

„Zu Chefzeiten habe ich manchmal schlüpfrige Sprüche gemacht. Bis mir eine ältere Kollegin nett, aber klar sagte, wie so etwas, vor allem in einer Hierar­chie, auf jüngere Kolleginnen und auch Kollegen wirkt“

Wieso gerade mit Männern?

Ich bin mit dem Bild vom Pavianfelsen sozialisiert worden. Der Lauteste und Gerissenste sitzt oben, zeigt allen seinen roten Arsch und verjagt jeden, der auch nach oben will – Mannsein als permanenter Rangkampf. Man kommt in einen Raum und checkt zuerst die anderen Kerle: Wen kann ich vergessen – Fußvolk –, und wen hasse ich sofort, weil ich das Gefühl habe, er steht über mir? Trump total. Sofort geht das Gepose los, meist im Expertenmodus: Meine Zweikreislaufkaffeemaschine ist besser als deine. Erst wenn ich den Felsen verlasse, kann ich andere Männer als – Achtung, Pathos – Brüder wahrnehmen. Betrachte ich aber Männer nicht mehr als Rivalen, verlieren Frauen automatisch diesen Beutestatus.

Wie war es denn vor diesem Frieden mit den Frauen?

Eher islamistisch: Heilige oder Hure. Was in Partnerschaften oft zu dieser tiefen Hassliebe führt mit ihren Piksereien.

Es ging um „Fuckability“. Genau das, was Frauen Männern immer vorwerfen?

Ist Frauen total fremd, diese Kategorisierung, schon klar. Für toxisch halte ich die Polarisierung der Geschlechter: stark, schwach, hart, weich. Wir sind aber keine Gegenteile, sondern Variationen der Gattung Mensch. Wenn wir die männlichen und weiblichen Anteile wie einen Schieberegler betrachten, der nie dauerhaft einrastet, würden wir die Realität eher treffen. Der Kampfmodus verschwände. Es tut mir leid, dass das jetzt klingt wie Dr. Hirschhausens kleine Lebensberatung.

Auf jeden Fall ungewöhnliche Äußerungen für einen politischen Journalisten.

Aber womöglich hilfreich, um in der Berichterstattung diese binäre Logik von gewinnen/verlieren zu überwinden, die nur den extremen Schreihälsen nützt. Wir berichten ausdauernd, wer für oder gegen welches Gesetz ist, aber viel zu selten, warum. Wenn aber die Zwischentöne wegfallen, wird das zentrale Instrument der liberalen Demokratie, der Kompromiss, nachhaltig diskreditiert.

Eine etwas unübersichtliche Situation: Der Politikjournalist Hajo Schumacher wird zum Lebensberatungshippie – und auf der anderen Seite wünscht sich die Hälfte der CDU noch immer den Macker Merz mit Privatflugzeug.

Nee, ich glaube, der Gegensatz in der Union ist ein anderer. Auf der einen Seite steht mit Merz ein eindimensionaler Steueroptimierer, der zwanzig Jahre lang offenbar jegliches innere Wachstum verweigert hat. Auf der anderen Seite gibt es zwei interessante Hybride, nämlich den erzkonservativen Schwulen Spahn, der das Berghain nicht für einen Alpengasthof hält, sowie eine knallharte Machtmutter aus der saarländischen Provinz, die, hoffentlich, den Trumps, Seehofers und Orbáns charmant den Stinkefinger zeigen wird. Wenn selbst führende Konservative vielfältiger werden, ist die liberale Demokratie nicht verloren.

Die Zahl der liberalen Demokratien nimmt gerade deutlich ab.

Ja, wir erleben eine epische Schlacht zwischen toxischer Ego-Logik und kollektiver Nachhaltigkeitsintelligenz. Da müssen wir durch, nicht Männer gegen Frauen, sondern die Guten gemeinsam gegen den Rest.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.