Häusliche Gewalt: Frauenhäusern platzt der Kragen

In Niedersachsen protestieren Frauenhäuser und Beratungsstellen: Ihre Finanzierung bleibt prekär – dabei steigt der Bedarf.

Eine Frau hält einen lila Regenschirm und ein Protestplakat mit der Aufschrift "Lasst uns nicht im Regen stehen"

Mehr als 100 Frauen protestierten vor dem Landtag Foto: Moritz Frankenberg/dpa

HANNOVER taz | Bei den Frauenhäusern und Beratungsstellen in Niedersachsen brodelt es. Das wurde am Donnerstag bei einer Protestaktion vor dem Landtag deutlich. Unter dem Motto „Lasst uns nicht im Regen stehen“ versammelten sich Be­ra­te­r*in­nen und Un­ter­stüt­ze­r*in­nen auf dem Hannah-Arendt-Platz.

In diesen Tagen geschehen zwei Dinge, die ihre Arbeit betreffen: Zum einen ist das Sozialministerium dabei, die Finanzierungsrichtlinie zu überarbeiten, zum anderen stehen die Haushaltsberatungen an.

In beiden Diskussionen fühlen sich die Prak­ti­ke­r*in­nen gegängelt und über den Tisch gezogen – und das, obwohl in den vergangenen Monaten immer wieder berichtet wurde, wie die Pandemie zu einem Anstieg häuslicher- und sexualisierter Gewalt gegen Frauen und Kinder beigetragen hat.

Die Ausgangslage ist kompliziert. Das liegt daran, dass sich seit Jahrzehnten Bund, Land und Kommunen die Verantwortung hin und her schieben und die Finanzierung an jedem Ort anders aussieht.

Und nicht nur das: „Eines unserer zentralen Probleme ist, dass dies sowohl beim Land als auch bei den Kommunen immer noch als freiwillige Leistung gilt“, erläutert Marion Lenz, Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der Gleichstellungsbeauftragten. „Dadurch sind wir ständig von Kürzungen bedroht.“ Spätestens seit der Unterzeichnung der Istanbul-Konvention müsse das eine staatliche Pflichtaufgabe sein.

Sollen die Frauen nach 3 Monaten vor die Tür gesetzt werden?

Eigentlich, sagt Lenz, sei es ja schon bezeichnend, dass man hier nun auch wieder mit der Sozialministerin spreche und nicht mit der Justizministerin. Sonst gehöre der Schutz von Gewaltopfern ja eigentlich in ihr Ressort, aber häusliche Gewalt werde eben immer noch als privates, bestenfalls soziales Problem begriffen – anders als „richtige“ Kriminalität.

Vor allem ein Passus, der den Aufenthalt im Frauenhaus auf drei Monate begrenzen soll, hat für viel Unruhe gesorgt

Es geht den Frauen hier aber nicht nur um Grundsatzkritik. Der Gesamtetat für diesen Bereich hat sich seit 2017 nicht wesentlich geändert. Und während Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) darauf verweist, dass sie immerhin Kürzungsbegehren abgewehrt hat und den Etat gehalten hat, verweisen die betroffenen Prak­ti­ke­r*in­nen darauf, dass dies de facto eben auf Kürzungen hinausläuft.

Die Kostensteigerungen bei Lohn, Bau und Lebenshaltungskosten werden nämlich so nicht aufgefangen. Gleichzeitig sei jedoch nicht nur der Bedarf gestiegen, sondern auch die Anzahl der Plätze, weil Kommunen dafür Fördermittel vom Bund beantragen konnten.

Auch bei den Details der überarbeiteten Richtlinie gibt es aus Sicht der Be­ra­te­r*in­nen einiges zu beanstanden: So sieht das Papier beispielsweise eine Begrenzung des Frauenhausaufenthalts auf drei Monate vor.

In dieser Zeit, argumentieren die Frauenhäuser, könne man vielleicht ein paar Anträge ausfüllen und den Lebensunterhalt absichern, aber eine neue Wohnung zu finden, werde in Ballungsräumen schon schwierig. Von einer soliden psychosozialen Betreuung und Stabilisierung der Frauen und ihrer häufig traumatisierten Kinder könne da gar keine Rede sein.

Das Sozialministerium argumentiert, es handele sich lediglich um eine Soll-Bestimmung, letztlich entscheide das Frauenhaus. Niemand werde vor die Tür gesetzt und auch finanziell habe eine Überschreitung keine Konsequenzen. Warum diese Bestimmung dann überhaupt sein müsse, fragen die Ak­ti­vis­t*in­nen misstrauisch. Nun ja, man habe eben signalisieren wollen, dass Frauenhäuser eine Einrichtung zur Akutversorgung und keine Dauerlösung sein sollen, lautet die Antwort.

Hoffen auf den großen Wurf

Einige argwöhnen, dass diese Regelungen vor allem die autonomen Frauenhäuser treffen soll. Dort ist die Verweildauer oft länger, weil das dem Konzept von Selbstbestimmtheit entspricht. Mit dem angestrebten Personalschlüssel von einer Vollzeitkraft für acht Frauen haben aber auch andere ein Problem, denn häufig haben diese Frauen ja auch noch mehrere Kinder, die ebenfalls betreut werden müssen.

Der Entwurf der Richtlinie gehe jetzt erst in die Beratungen, versucht Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) ihre Kri­ti­ke­r*in­nen zu beschwichtigen. Auch die Interessenverbände hätten da etwas zu sagen.

Im Übrigen setze sie große Hoffnungen auf die nächsthöhere Ebene. Bund und Länder haben sich im Frühjahr darauf geeinigt, dass es ein eigenes Gesetz geben soll, in dem der Rechtsanspruch auf einen Frauenhausplatz festgelegt wird und mit dem dann auch die Finanzierung neu geregelt werden müsste. Das muss die kommende Bundesregierung dann allerdings erst einmal umsetzen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.