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HSV wieder in der BundesligaVom gefühlten zum echten Bundesligisten

Nach sieben Jahren kehren die Fußballer des Hamburger SV in die Bundesliga zurück. Mit einem 6:1 schießen sie zugleich den SSV Ulm in die 3. Liga.

Tore binnen Minuten zerlegt: HSV-Fans stürmen den Platz im Volksparkstadion Foto: imago

Es war schon fast Mitternacht, als HSV-Trainer Merlin Polzin sagte: „Der HSV steht jetzt wieder in der ersten Liga, aber der HSV war nie weg.“ Er sagte es sogar zweimal, als wollte er etwas beschwören. Da sprach ein Fan, der mit dem HSV die vergangenen Jahre durchlitten hat und auch genossen – weil er für seinen Klub arbeiten darf, seit einem halben Jahr sogar in leitender Funktion. „Loïc und mir, wie soll's uns gehen?“, holte er wie so oft seinen Co-Trainer Loïc Favé mit ins Rampenlicht. „Zwei Hamburger Jungs, aus Eimsbüttel und Bramfeld, haben sich ihren Traum erfüllt.“

Noch während des Spiels gegen den SSV Ulm war Polzin plötzlich verschwunden. „Ich musste mal auf Toilette“, erklärte er. „Und der Spielstand gab es her.“ Er war rechtzeitig zum überpünktlichen Abpfiff wieder zurück. Da standen schon hunderte Fans an den Eckfahnen und von hinten drängten immer mehr nach. Der Stadionsprecher hatte noch an sie appelliert, auf den Tribünen zu bleiben, aber die Vergeblichkeit seines Tuns erkannt: „Das ist kein Sicherheitshinweis, nur eine Bitte“, sagte er kleinlaut. Binnen Sekunden war das Spielfeld voller in Blau gekleideter Menschen, die den Aufstieg nach sieben Jahren in der zweiten Liga feierten.

Wo sich die Zäune zum Innenraum nicht öffnen ließen, kletterten sie drüber, sprangen mehrere Meter in die Tiefe. 19 schwer Verletzte und einen Menschen in Lebensgefahr, meldete die Feuerwehr in der Nacht.

Die Tore auf dem Platz waren in wenigen Minuten in handliche Stücke zerlegt. Menschen liefen mit Grassoden in der Hand durcheinander. Auf dem bedenklich durchhängenden Dach der HSV-Trainerbank tanzten Spieler mit Fans. Stürmer Robert Glatzel grölte in ein Mikrofon: „Nie mehr zweite Liga“.

Anfängliche Angst

Mit 6:1 hatte der HSV gerade sich selbst und den SSV Ulm aus dieser Liga geballert, in entgegengesetzte Richtungen. Der Ulmer Abstieg ist damit ebenso entschieden wie der Aufstieg des HSV. Und streckenweise sah es wirklich nach einem Zwei-Klassen-Unterschied aus.

Dabei hatte es so angefangen, wie man es in den vergangenen Wochen immer wieder von den Hamburgern gesehen hatte ­– und in jedem der vergangenen sieben Jahre, in denen sie den Aufstieg am Ende knapp verpasst hatten: Die Angst schien ihnen in den Gliedern zu stecken. Den Rückstand nach sieben Minuten glichen sie noch direkt wieder aus. Doch dann gab es Elfmeter für Ulm. Erst nachdem HSV-Keeper Daniel Heuer Fernandes den abgewehrt hatte, gewann sein Team allmählich die Kontrolle. Noch vor der Pause trafen die HSV-Stürmer Ransfor-Yeboah Königsdörffer und Davie Selke. Mit 3:1 schien das Spiel entschieden. Danach wich Tor für Tor die Anspannung auf den Rängen allmählich der Euphorie.

Der Ulmer Trainer Robert Lechleiter sagte später, von der Stimmung im Volksparkstadion sichtlich beeindruckt: „Der HSV spielt wieder dort, wo er eigentlich hingehört, mit dem ganzen Drumherum.“ Und HSV-Stürmer Glatzel brauchte fast dieselben Worte. Doch darin liegt für den Verein eine große Gefahr: Es war genau dieses Gefühl, das den HSV über Jahre daran gehindert hatte, die Realitäten in der zweiten Liga anzunehmen.

Die Größe der Stadt, das wirtschaftliche Potenzial, die Fans, die auch gegen mäßig attraktive Zweitligisten die 57.000 Plätze im prächtigen Stadion fast immer füllten und Stimmung machten wie in der Champions League – all das trug dazu bei, dass der HSV gefühlt ewiger Erstligist blieb. Lediglich die Stadionuhr, die die Bundesligazugehörigkeit anzeigte, wurde nach dem Abstieg abmontiert. Der galt lange als Betriebsunfall, den die Geschichte schon irgendwie korrigieren würde.

Sieben Trainer hat der HSV auf seinem Weg zurück nach oben verschlissen. Über weite Strecken hat er dabei Hurra-Fußball gespielt, der optisch attraktiv aussah, aber am Ende eben nicht erfolgreich war. Die HSV-Offensive würde manchem Erstligisten gut stehen, aber bis heute ist es nicht gelungen, eine Defensive aufzubieten, die konstant höheren Zweitliga-Ansprüchen genügt. Sobald zwei Verteidiger ausfallen, kommen Notlösungen zum Tragen, die sich schon in der zweiten Liga nicht selten gerächt haben. In der ersten würde die HSV-Verteidigung kaum bestehen.

Viel wird nun davon abhängen, ob der HSV seine Rolle als Aufsteiger annimmt. Oder ob er die Zugehörigkeit zum Fußball-Oberhaus wieder für selbstverständlich nimmt.

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5 Kommentare

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  • Solange der HSV und seine Fans die Zugehörigkeit zur ersten Liga für selbstverständlich nehmen, ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie wieder absteigen. „Nie mehr zweite Liga“ muss man spielen - nicht gröhlen. Großmauligkeit, sich einbilden vermeintlich schwächere Mannschaften könne man mit Links schlagen, ist die größte Schwäche des HSV.

    • @e2h:

      Die Anhänger des HSV haben diesen "Schlachtruf" nicht gerade erfunden. Sind also alle anderen, die das vor ihnen gerufen haben (und bei vielen hat es sich ja nicht bewahrheitet) auch "großmäulig"? Das "kleine" Elversberg steht aktuell auf dem Relegationsplatz der zweiten Liga - aber nicht, weil der HSV (und die meisten anderen) sie lediglich "unterschätzt" hätten. Sondern weil sie einfach sehr guten Fußball spielen.

      Nicht jeder muss sich freuen, dass der HSV (endlich) wieder aufgestiegen ist. Ich persönlich denke allerdings, dass das öffentliche "Nachtreten" und Verächtlichmachen anderer gerade in der Situation großer sportlicher Erfolge oder Niederlagen als "Ausdruck von Rivalität" in der Regel mehr über denjenigen aussagt, der sich so äussert, als über diejenigen, über die er sich äussert. Aber das hatten wir ja schon beim Abstieg vor sieben Jahren - und seitdem jährlich bei jedem verpassten Wiederaufstieg. Offensichtlich können manche es eben nicht besser.

  • Ulm war nichts für die Zweite Liga. Der HSV war eine Geldverbrennmaschine, dass es schmerzte. Mit dieser Marke, diesen Geldströmen, diesen zahlreichen Fans, die den frühen 1980ern nachtrauern, hätte man auch ohne Steuerdieb-Kühne längst aufsteigen müssen.



    Der letzte Spieltag wird auf den anderen Plätzen noch interessant.

  • Der Investor Klaus-Michael Kühne hat bis 2023 115 Millionen Euro in den Hamburger SV investiert. Dass sich das Engagement auszahlt, war nur eine Frage der Zeit.

    • @Ludowig:

      Mit einer solchen Summe hätte der FCSP wahrscheinlich die Champions League gewonnen ;)