Gymnasiale Oberstufe in Berlin: Noten werden wieder wichtiger
Berlins Bildungssenatorin erntet viel Kritik für die neuen Auswahlkriterien fürs Gymnasium. Denn künftig entscheidet darüber die Note der Hauptfächer.
Eins ist schon jetzt klar: Das Probejahr am Gymnasium wird mit der Neufassung komplett abgeschafft. Denn daran wären in der Vergangenheit 7 Prozent der Schüler*innen gescheitert, was letztlich zu Enttäuschungen geführt habe. Stattdessen sollen nun die Noten in Deutsch, Mathe und erster Fremdsprache darüber entscheiden, wer auf dem Gymnasium weiterlernen darf. Mit diesem Plan stößt die Bildungssenatorin allerdings gerade auf breite Kritik.
Es sei eine „Rolle rückwärts“, sagte Tom Erdmann von der GEW dazu am Donnerstag in einer Anhörung des Bildungsausschusses. Wenn Leistungen in Kunst, Sport, den Naturwissenschaften oder Gesellschaftswissenschaften nicht mehr gelten, dann würden „Schüler*innen nicht mehr mit allen ihren Kompetenzen gesehen. Der Zugang zum Gymnasium wird wieder stärker vom Elternhaus abhängig“, sagte er. Das sei ein „Konjunkturprogramm für Nachhilfe-Institute“.
In der Vergangenheit waren die Noten von allen Fächern in die sogenannte Förderprognose eingeflossen, dabei waren die drei Hauptfächer doppelt gewichtet worden. Die Förderprognose entscheidet darüber, ob Kinder eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen.
Neuer Leistungsdruck
Auch Norman Heise vom Landeselternausschuss sagte, das habe Auswirkungen auf den Leistungsdruck und sei der falsche Ansatz. Die Verwaltung solle diese Regelung besser um ein Jahr verschieben. Wichtig sei, die Integrierten Sekundarschulen (ISS) zu stärken. Da an einigen Schulen der Lehrer*innenmangel besonders hoch sei, seien diese strukturell benachteiligt. „Weil der Senat nicht mehr steuert, wie die Lehrer*innen verteilt werden, ist an einigen Schulen ein Aufstieg möglicherweise gar nicht möglich“, sagte Heise. Er wies außerdem darauf hin, dass die Plätze für Gymnasien oder ISS in der Stadt sehr ungleich verteilt seien.
Schulnoten würden nicht nach objektiven Kriterien vergeben. Sie seien daher aus rechtlicher Sicht nicht dafür geeignet, den Zugang zu den Gymnasien zu regeln, sagte Rechtsanwältin Cornelia Liedke im Bildungsausschuss.
Arndt Niemöller hingegen, der Vorsitzende der Vereinigung der Oberstudiendirektoren, unterstützt die Pläne der Bildungssenatorin. Mathe, Deutsch und die erste Fremdsprache – das seien Basiskompetenzen, pflichtete er ihr bei. Sie seien zentral, und eine Grundlage für gute Leistungen auch in anderen Fächern. Manche Schüler*innen seien an den Gymnasien überfordert und hätten dort nicht angemessen gefördert werden können. Schüler*innen könnten auch an den ISS ein Abitur machen – an Gymnasien hätten sie einfach ein Jahr weniger Zeit. „Das spart Lehrer*innen, die dafür woanders eingesetzt werden können“, sagte er.
„Erst vor wenigen Tagen hat ihre Staatssekretärin Christina Henke (CDU) in einer Rede gesagt, Demokratiekompetenz sei wichtig – und sie umfasse mehr als Lernen“, sagte Louis Krüger, bildungspolitscher Sprecher der Grünenfraktion. „Wie passt das nun zu dem Fokus auf Mathe und Deutsch?“ Seine Parteikollegin Marianne Burkert-Eulitz äußerte die Befürchtung, dass Kindern nun schon in der Grundschule „auf das Gymnasium hin trainiert“ awürden. Sie stellten die Frage, ob es das Ziel sei, weniger Kinder an den Gymnasien zu haben, um diese zu entlasten. Franziska Brychcy, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, meinte, die Regelung führe zu „deutlich mehr Leistungsdruck“.
Probeunterricht wie in Brandenburg
Kinder, die den erforderlichen Notenschnitt für das Gymnasium nicht erreichen, aber trotzdem auf diese Schulform wechseln wollen, sollen an einem Probeunterricht teilnehmen. Dieser werde nach dem Vorbild von Brandenburg ausgestaltet, ließ die Senatorin wissen.
Die Senatorin verteidigte ihre Pläne. Ihr gehe es darum, die Kompetenzen der Schüler*innen in den Blick zu nehmen und sie anhand dessen zu fördern. „Der Übergang auf das Gymnasium funktioniert in vielen Bundesländern so“, stellte sie klar. Die Fächer bildeten die Grundlage für Erfolg in anderen Bereichen. „Und wir erheben die Noten ja nicht punktuell, sondern es gehen die Ergebnisse aus zwei Halbjahren in die Förderprognose ein.“ Auch dass die Nachhilfe ankurbeln werde, wollte sie nicht gelten lassen. „Das tut den Grundschulen unrecht, weil in Berlin sehr viele schon Ganztagsschulen sind“, sagte Günther-Wünsch. „Dort fördern wir die Kinder, das findet alles dort statt“, betonte sie.
Das Schulgesetz soll neben dem Übergang aufs Gymnasium auch 11. Pflichtschuljahr einführen, mit dem sich der Ausschuss in einer kommenden Sitzung beschäftigen wird. Außerdem sollen Kinder mit dem Kitachancenjahr sprachlich besser gefördert werden, es soll ein eigenes Landesinstitut für die Lehrer*innenausbildung entstehen und Religionsunterricht soll wieder gestärkt werden.
Die Senatorin verteidigte auch ihre Pläne, den Profilunterricht II vorerst auszusetzen und Referendar*innen zu 10 statt bisher 7 Unterrichtsstunden pro Woche zu verpflichten. „Der Grund für diese Entscheidung ist der jahrzehntelange Lehrermangel“, sagte sie. „Da wäre jede Entscheidung schmerzvoll und würde auf Widersprüche stoßen.“ Trotz des breiten Protests dagegen habe sie nicht vor, dies zurückzunehmen.
„Im Bundesvergleich lagen wir bei den Unterrichtsstunden für Referendare bisher deutlich drunter“, sagte sie. „Die Senatorin stürzt die Schulen in ein Chaos, ohne sich bisher Gedanken über die Auswirkungen gemacht zu haben“, sagte Grünen-Politiker Krüger. „Und das wenige Wochen vor den Sommerferien – das finde ich fatal.“
Das Bündnis Schule in Not ruft für Sonnabend zu einer Demo dagegen auf. Losgehen soll es um 11 Uhr am Dorothea-Schlegel-Platz (direkt an der S-Bahn Friedrichstraße), die Abschlusskundgebung ist für 12.15 Uhr am Roten Rathaus geplant.
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