Gutachten zur AfD Brandenburg: BSW verharmlost AfD-Einstufung
Die AfD in Brandenburg gilt nun offiziell als rechtsextrem. Beim Umgang damit zeigt sich, wie weit die Koalitionspartner SPD und BSW auseinander liegen.

Am Donnerstag hatte Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos, für SPD) das rund 140 Seiten umfassende Gutachten des Landesverfassungsschutzes öffentlich gemacht, das Grundlage ist für die Höherstufung der märkischen AfD vom Verdachtsfall zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung. Das Gutachten selbst war schon seit Montag in der Welt, nachdem es vom rechtspopulistischen Onlinekanal des Bild-Ex-Chefs Julian Reichelt geleakt wurde.
Während führende Sozialdemokrat:innen sich nach der offiziellen Vorstellung in ihrer Haltung bestätigt sehen, ein Verbotsverfahren zu prüfen, wiegelt der Koalitionspartner BSW vehement ab. „Einige der aufgeführten Zitate sind lediglich Ausdruck eines rechtskonservativen Weltbilds. Wir teilen dies ausdrücklich nicht, aber es ist keine verbotene Meinung“, sagte BSW-Fraktionschef Niels-Olaf Lüders.
Überhaupt, so Lüders weiter, machten die Diskussionen über ein AfD-Verbot die rechtsextremistische Partei nur noch stärker: „Behördlich oder rechtlich gegen die AfD vorzugehen, hat der Partei eher genützt.“ Wer den juristischen Weg einschlage, verkenne zudem „oft die realen Probleme in der Gesellschaft, für die nicht selten die AfD ein Ventil ist“, erklärte der Politiker der Wagenknecht-Partei, der allerdings – in Thüringen etwa – ohnehin ein bedenklicher Kuschelkurs zur AfD attestiert wird.
SPD fordert härtere Gangart
In dem Gutachten heißt es, es seien in der AfD eklatante Verstöße gegen Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip „in erheblichem Maß festzustellen“. Diese hätten „gerade in der jüngeren Vergangenheit erwiesenermaßen zugenommen“. Kontakte zu rechtsextremen Vorfeldorganisationen seien seit 2020 „gepflegt, aufrechterhalten und sukzessive intensiviert“ worden.
Anders als BSW-Mann Lüders sieht Erik Stohn, der stellvertretende SPD-Fraktionschef im Landtag, in der Einstufung der AfD dann auch ein drastisches Alarmsignal für die Demokratie. „Wir nehmen den Bericht als Auftrag, alle Schutzmechanismen unseres Rechtsstaats zu nutzen – auch ein Parteiverbot muss geprüft werden“, sagte Stohn nach der Vorstellung des sogenannten Einstufungsvermerks.
Auch Regierungschef Woidke wurde mit Blick auf ein Verbotsverfahren am Freitag deutlich. „Wenn der Verdacht besteht, dass eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung beseitigen will, ergibt sich sogar eine Pflicht zum Handeln“, sagte er dem Handelsblatt. „Aber klar ist auch: Das wird ein dorniger Weg – politisch wie juristisch.“ Es sei richtig, jetzt Vorbereitungen zu treffen mit einer Arbeitsgruppe.
BSW für Abschaffung des Verfassungstreue-Checks
Neben der Anstrengung eines Verbotsverfahrens am Bundesverfassungsgericht spricht sich die SPD auch für eine Weiterentwicklung des Brandenburger Verfassungsstreue-Checks aus. Aber auch an dieser Stelle liegen Welten zwischen den Koalitionspartnern. Das BSW forderte 2024 in ihrem Wahlprogramm sogar „eine Abschaffung des sogenannten Verfassungstreue-Checks“.
Im vergangenen Jahr hatte der Landtag beschlossen, dass es vor dem Amtseid für angehende Beamt:innen eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz geben muss, um zu prüfen, ob die Kandidat:innen mit Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufgefallen sind. Das BSW sieht darin einen Eingriff in Grundrechte.
Auch ansonsten machte die Wagenknecht-Partei schon vor der Landtagswahl im September 2024 deutlich, was sie vom Verfassungsschutz hält, nämlich: nicht viel. „Um die Bürger vor Bespitzelung und Manipulation zu schützen, setzen wir uns für eine Begrenzung der Befugnisse des Verfassungsschutzes ein“, hieß es damals im Programm.
Regierungskrise im Frühjahr
Zur Wahrheit gehört, dass es sich auch die ehemalige SPD-Innenministerin Katrin Lange zur Aufgabe gemacht hatte, die Befugnisse ihres eigenen Dienstes zu begrenzen. Im Frühjahr feuerte die Genossin vom rechten Parteiflügel kurzerhand den damaligen Chef des Brandenburger Verfassungsschutzes wegen des seinerzeit bereits erstellten, aber erst jetzt veröffentlichten AfD-Einstufungsvermerks.
Lange beklagte, nicht ausreichend über die Hochstufung der Partei informiert worden zu sein. Von der im Zusammenhang mit der Neubewertung der AfD auch von ihren eigenen Parteikolleg:innen geforderten Prüfung eines Verbotsverfahrens wollte sie nichts wissen. Die Jusos forderten Langes Rücktritt, der Rückhalt für die Vertraute von Ministerpräsident Woidke wurde zusehends geringer. Im Juni nahm sie schließlich von selbst ihren Hut.
Langes Nachfolger René Wilke sagte zur Verbotsdebatte am Donnerstagabend im RBB, dass jetzt erst einmal eine Phase sei, in der die AfD in Brandenburg überlegen könnte, „mal zur Besinnung zu kommen und einen anderen Weg einzuschlagen, das geht ja auch.“
Außer Frage steht: Das Bundesland hat ein veritables Problem mit der extremen Rechten. In der jüngsten Brandenburg-Umfrage liegt die AfD mit 32 Prozent vor allen anderen Parteien und noch mal 3 Punkte über ihrem Ergebnis bei der Landtagswahl im September vergangenen Jahres. Die SPD, die sich damals noch mit 31 Prozent vor die Rechtsextremen schieben konnte, rutscht in der Ende Juni veröffentlichten Umfrage ab auf 23 Prozent.
Erst weit dahinter folgt die CDU mit 14 Prozent – bei der Wahl kam sie nur auf rund 12 Prozent – und das BSW, das von 13,5 auf 9 Prozent runterknallt. Die 2024 aus dem Landtag geflogenen Linken kämen inzwischen ebenfalls wieder auf 9 Prozent, auch die nicht mehr im Parlament vertretenen Grünen würden mit 5 Prozent die nötige Hürde für einen Wiedereinzug schaffen.
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