piwik no script img

Gutachten zum Umgang mit LandWende dringend geboten

Der wissenschaftliche Beirat fordert eine „Renaturierung von Landökosystemen“. Wälder und Feuchtgebiete sollen wiederhergestellt werden.

Im Schwinden begriffen: Naturnaher Laubmischwald in Sachsen-Anhalt Foto: Andreas Vitting/imageBROKER/imago

Berlin taz | Unseren Böden geht es echt dreckig. Das steht nun auch wissenschaftlich fest. Die Äcker und Wiesen bilden die Grundlage für unsere Ernährung und sind Heimstatt für Tier- und Pflanzenarten. Dennoch ist für ein Viertel der Menschheit die Ernährungssicherung gefährdet, die industrielle Landwirtschaft bedroht die natürlichen Lebensgrundlagen, und die Biodiversität erleidet derzeit weltweit ein dramatisches Massenaussterben.

Das neue Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen (WBGU), das diese Gefährdungen auflistet, hält dennoch eine „Landwende“ für möglich und für dringend geboten: „Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, kann Klimaschutz gelingen, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden“, lautet die zentrale Botschaft des Gutachtens.

Das 351-Seiten-Gutachten mit dem Titel „Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration“, das die zehnköpfige Expertengruppe in zweijähriger Arbeit erstellt hat, wurde in der vorigen Woche an die Bundesministerinnen Anja Karliczek (Bildung und Forschung) und Svenja Schulze (Umwelt) übergeben. Unter anderem wird darin die massive „Renaturierung von Landökosystemen“ gefordert – das bedeutet die Wiederherstellung standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften.

Auf diese Weise sollen bis zum Jahr 2030 rund 350 Millionen Hektar ausgelaugte Böden wieder in einen natürlichen Zustand gebracht werden, das entspricht etwa 2 Prozent der Landfläche der Erde. Klimatischer Nebeneffekt: Mehr Bäume saugen mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre.

Einen noch größeren Anteil, nämlich 30 Prozent des gesamten Festlands, will der WBGU als ökologische Schutzgebiete wie Naturparks und Reservate ausgewiesen sehen. Die Landwende spielt sich aber auch auf dem Teller ab, wenn nämlich als weitere Maßnahme die „Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern“ eingefordert wird, insbesondere durch Verringerung des Fleischkonsums. Auch das Bauen mit Holz gilt dem Beirat als „effektive Möglichkeit, langfristig Kohlenstoff zu speichern“.

Der Vorschlag mit der größten politischen Sprengkraft ist die Abkehr von der industriellen Landwirtschaft, die eine „umfassende Ökologisierung“ erleben müsse. Für die EU-Agrarpolitik ist das exakt der zentrale Knackpunkt, um den in diesen Tagen in Brüssel gerungen wird. Was zeigt, die deutschen WBGU-Empfehlungen sind nicht nur auf der Höhe der Zeit, sondern auch für Europa von Relevanz.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Welch langes Papier, schon die Zusammenfassung hat 12 Seiten..... UNd eigentlich wurde das meiste schon in den vergangenen Jahrzehnten geschrieben, aber natürlich nicht von diesem Gremium.

    Neu eingeführt wurde der Begriff des "Trilemmas": Klimaschutz, Biodiversitätserhaltung (!!) und Ernährungssicherung.



    Nun da waren Wissenschaftler vor knapp 20 Jahren schon weiter und identifizierten 3 weitere Ansprüche an die Fläche: Grundwasserneubildung, Erholungsgebiet für Städter uns Verkehrsinfrastruktur.



    Aber wenn das Papier (und auch die Zusammenfassung) dann noch länger geworden wäre, war es vielleicht ganz gut im Trilemma stecken zu bleiben.

    Dann folgende Aussage: " wobei auch Fernwirkung etwa von Stoffkreisläufen oder dem Welthandel mit Agrargütern auf Landnutzungsveränderungen und-degradation einzubeziehen sind."



    Wenn der Autor/die Autorin sagen wollte: der Export von Soja führt zu einem Ausbluten der Amazonasregion und einer Überdüngung der Gegend Vechta-Cloppenburg..... dann wäre ich bei ihnen! Aber was soll dieser zitierte geschwurbelte Halbsatz da oben?????

    Und schliesslich mein Lieblingsthema, ja es wurde erwähnt aber wie.. Nährstoffkreisläufe.



    "Im Sinne der Kreislaufwirtschaft sollte Pflanzenbau und Tierhaltung verbunden werden". Gelinde gesagt ist das wenig ambitioniert weil die Nutztiere schon immer von Pflanzen die auf der Fläche geerntet wurden ernährt wurden.



    "Nährstoffkreisläufe sollen geschlossen werden". Zumindest in der Zusammenfassung kein Wort dazu wie Stadt und Land denn nun verbunden werden sollen. Und nein, ich lese die 350 Seiten nicht...



    Und dann als nächstes: ".... Nährstoffrecycling soll verbessert werden."



    Wie jetzt, wenn ich doch doch vorher schon den Kreislauf geschlossen habe, warum soll dann danach das recycling nur "verbessert" werden?

    Aber natürlich tauchen auch die gängigen dehnbaren Begriffe Bioökonomie, Digitalisierung und Agarökologie auf, ohne die heute kein Papier das Licht der Welt erblickt.#



    Seufz! Knackig ist anders.

  • Schön - dann kann ich meinen Beruf als Ökologe vielleicht auf meine alten Tage doch noch so ausüben, wie es mir zur Zeit meines Studiums vorschwebte. Momentan besteht die Hauptaufgabe der Ökologen darin, den Verbrechen gegen den Ökozid einen hübschen, grünen Anstrich zu verpassen und das Wohlgefühl der Menschen nicht mit düsteren Prognosen zu verletzen.