Gutachten zum Klimaschutz: Die neuen Klimaweisen
Sie sind eine Art Öko-Gegengewicht zu den „Wirtschaftsweisen“: Was die neue Plattform Klimaschutz von der Bundesregierung fordert.
So steht es im ersten Jahresgutachten der „Wissenschaftsplattform“, das am Freitag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Laut Titel „Auf dem Weg zur Klimaneutralität“ geben die ForscherInnen Anstöße, wie die Regierung ihr Ziel, bis 2045 die Treibhausgase rechnerisch auf null zu bringen, am besten und effektivsten vorantreiben sollte.
Auf der „Wissenschaftsplattform“ sind VertreterInnen von Forschungsinstituten aus der Naturwissenschaft, den Sozial-, Rechts-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften vertreten, um der Regierung Ratschläge für den Weg zur „Grünen Null“ zu geben. Koordiniert wird die Arbeit vom Klimaministerium, inhaltlich sind die ExpertInnen eigenständig.
Neben dem „Expertenrat“ der Bundesregierung, der laut Klimaschutzgesetz immer im Frühjahr begutachtet, ob die CO2-Minderungsziele eingehalten wurden, soll die „Wissenschaftsplattform“ so etwas wie ein Öko-Gegengewicht zu den „Wirtschaftsweisen“ werden.
Die Baustellen der Klimawende
Das erste Jahresgutachten ist ein Rundblick über die dringenden Baustellen der Klimawende, ein „holistischer Gesamtblick“, wie Ottmar Edenhofer es formuliert. Der Ökonom vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK und dem Thinktank MCC ist einer der beiden Vorsitzenden.
Die ExpertInnen mahnen dazu, die deutsche Politik eng mit dem EU-Paket „Fit for 55“ zu verbinden, aber eigene Gesetze auch schon früher zu erlassen. Die Regierung solle zudem auf einen klimagerechten Umbau der EU-Agrarpolitik drängen, den Rahmen für ein nachhaltiges Finanzsystem schaffen, die nötige Infrastruktur für den grünen Wasserstoff aufbauen helfen und die Digitalisierung für den Klimaschutz vorantreiben.
Auch brauche es „transparente Kriterien“, um verschiedene Politikinstrumente zu durchleuchten, ob sie effektiv und effizient für den Klimaschutz arbeiteten: Führen die Maßnahmen zur CO2-Senkung, geht es auch billiger, sind sie rechtlich und politisch durchsetzbar und mehrheitsfähig?
„Klimaneutralitäts-Stresstest“
Das Gutachten fordert bei Bau und Abriss von Infrastruktur einen „Klimaneutralitäts-Stresstest“: Staatliche Projekte müssten darauf überprüft werden, ob sie dem Ziel Klimaneutralität hilfreich sind – oder es blockieren: Eine Generalüberprüfung etwa des Bundesverkehrswegeplans würde so eine Menge Debatten über Straßenbau auslösen.
„Die Ob-Frage zum Klimaschutz ist geklärt“, sagt Edenhofer zur taz. Es herrsche weitgehend Einigkeit, dass der Ausbau der Erneuerbaren verdreifacht werden, die Planung dafür schneller gehen müsse, dass grüner Wasserstoff in großen Mengen nötig sei und die Zukunft der Mobilität in E-Autos und nicht in synthetischen Verbrennungsmotoren liege. „Aber“, so Edenhofer, „in den Wie-Fragen gibt es viel zu diskutieren“.
Etwa, wie viel grünen Strom Deutschland importieren solle, wie grün der Wasserstoff am Anfang sein müsse oder wie genau es mit dem CO2-Preis weitergehe. Das Papier spricht sich deutlich für einen nationalen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude aus, der auch EU-weit kommen solle.
Auch andere „heiße“ Eisen packt das Gutachten an: So müsse es eine deutsche Strategie zum Umgang mit „negativen Emissionen“ geben, mit denen CO2 in natürlichen oder technischen Senken (Wäldern oder mit CCS verpresst) gebunden werde.
Flexible Sektorziele
Der technische Fortschritt solle grundsätzlich durch „Technologieoffenheit“ befeuert werden – aber manchmal sei es eben auch gut mit der Debatte. Zum Beispiel dann, wenn vorhandene grüne Technik sofort eingesetzt werden müsse und ein „Abweichen vom Prinzip der Technologieoffenheit in der Realität notwendig sein kann“. Das kann man so lesen, als machten sich die ExpertInnen dafür stark, in der Mobilität auf E-Autos zu setzen und nicht auf den synthetischen Verbrenner.
Schließlich empfehlen die BeraterInnen, die Regierung solle im Klimaschutzgesetz „die Sektorziele flexibilisieren“ – wenn also etwa Verkehr und Gebäude die Vorgaben nicht schaffen, sollten andere dafür mehr machen. Das würde die strikte Vorgabe nach Jahren und Sektoren auflösen und ist ein Vorschlag, für den die Grünen im Koalitionsvertrag noch viel Kritik ernteten. Der Vorwurf damals: „Aufgabe der Klimaziele“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut