Gutachten Sachverständigenrat Migration: Tragende Rolle im Gesundheitswesen
Das deutsche Gesundheitswesen braucht Menschen mit Migrationsgeschichte. Schon heute sei dort jede*r sechste im Ausland geboren, zeigen Expert*innen auf.
Unterbesetzte Stationen, nicht einsatzbereite Intensivbetten: Nicht zuletzt die Coronapandemie hat gezeigt, wie massiv das Gesundheitswesen vom Fachkräftemangel betroffen ist – aber auch, welche Rolle Zugewanderte und Menschen mit Migrationshintergrund dort spielen. Schon heute, betont das SVR-Gutachten, sei jede*r sechste Erwerbstätige in Gesundheits- und Pflegeberufen im Ausland geboren, fast ein Viertel hat einen Migrationshintergrund. Anders als in anderen systemrelevanten Branchen betrifft das nicht in erster Linie prekäre Jobs: Auch unter den Ärzt*innen sei mehr als ein Viertel entweder selbst zugewandert oder das Kind von Zugewanderten. 14 Prozent seien Ausländer*innen, vor allem aus Syrien und Rumänien.
Der Fachkräftemangel in Deutschland ist groß, nicht zuletzt wegen des demografischen Wandels. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass Deutschland jährlich etwa 400.000 Zuwander*innen braucht, um den sich verschlimmernden Fachkräftemangel abzubremsen.
Mehr Auszubildende aus dem Ausland
Unter anderem im Lichte dessen hatte die Große Koalition im Jahr 2019 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz verabschiedet. Expert*innen warnten aber schon damals, dass dieses nicht ausreiche. Gesundheitsberufe gehören zu den reglementierten Berufen – Fachkräfte müssen nachweisen, dass ihre Qualifikation deutschen Standards entspricht. Das sei auch wichtig, betont der stellvertretende SVR-Vorsitzende Daniel Thym. „Es geht um den Schutz von Patientinnen und Patienten“. Trotzdem sei es wichtig, Prozesse zur Anerkennung von Qualifikationen zu beschleunigen und zu vereinfachen und eventuell nötige Nachqualifizierungen schnell zu ermöglichen, betont der SVR.
Auch plädieren die Expert*innen dafür, mehr Auszubildende aus dem Ausland zu rekrutieren. So würde man zum einen die bürokratischen Anerkennungsverfahren und Nachqualifizierungen umgehen und zum anderen dem sogenannten Brain-Drain aus den Herkunftsländern vorbeugen: der Abwanderung von auch dort dringend gebrauchtem medizinischen Personal.
In einem Punkt geht der Sachverständigenrat über sein eigentliches Arbeitsfeld hinaus: Es sei „unabdingbar, die Arbeitsbedingungen im Gesundheitssektor und besonders in der Pflege grundlegend zu verbessern“, schreiben die Expert*innen. Nur so ließen sich Fachkräfte langfristig halten – und durch Zuwanderung allein sei das Problem ohnehin nicht zu lösen. Auch solle der Blick nicht nur auf ausländische Fachkräfte gerichtet werden, sondern auch auf das „Potenzial von bereits Zugewanderten“, die für Gesundheits- und Pflegeberufe gewonnen werden könnten.
Kinder von Migrant*innen fallen durchs Raster
Der SVR hat sich Migrant*innen und Menschen mit Migrationshintergrund nicht nur als Beschäftigte im Gesundheitsbereich angeschaut, sondern auch als Patient*innen. Auch dieses Thema war während der Pandemie in den Mittelpunkt gerückt, als es hieß, Migrant*innen hätten ein höheres Risiko, sich zu infizieren oder schwere Verläufe zu erleiden.
Die Expert*innen halten fest: „In Deutschland mangelt es an qualitativ hochwertigen und aussagekräftigen Daten“, um verlässliche Aussagen zur gesundheitlichen Situation dieser Gruppen zu machen. Entweder werde in Untersuchungen nur zwischen Deutschen und Ausländer*innen unterschieden oder gar nicht. Eingebürgerte oder mit deutscher Staatsangehörigkeit geborene Kinder von Migrant*innen fielen so durchs Raster, auch gehe es um sehr heterogene Gruppen, die auch entsprechend untersucht werden müssten.
An und für sich sei Migrationsgeschichte kein bestimmender Faktor für die Gesundheit eines Menschen, so die Sachverständigen. Doch noch immer falle das Merkmal „Migrationshintergrund“ statistisch mit einer „ungünstigen sozioökonomischen Lage“ zusammen – und diese ist maßgeblich für den Gesundheitszustand. So lauteten auch viele Erklärungen in der Coronapandemie, dass Menschen mit Migrationsbiografie häufiger als andere in prekären Jobs arbeiten, die nicht ins Homeoffice verlegt werden können. Deshalb seien sie auf den öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind und in könnten den direkten Kontakt zu anderen Menschen nicht vermeiden. „Auch Sprachbarrieren und Diskriminierung können den Zugang zum Gesundheitssystem behindern“, heißt es im Gutachten.
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