Europäische Mittelmeermission: In unruhigen Gewässern
Die Operation Irini hat nur symbolische Wirkung beim Kampf gegen Waffenschmuggel. Der Bundestag muss eine Neuausrichtung im Blick haben.
Seit Oktober war das Wetter im südlichen Mittelmeer oft so schlecht, dass die Schiffe der europäischen Mittelmeermission EUNAVFOR Med, genannt Operation Irini, nicht eingesetzt werden konnten. Die Wirkung von Irini bei der Unterbindung des Waffenschmuggels wurde so weiter eingeschränkt. Mit dem Angriffskrieg Russlands und schwindender Kooperationsbereitschaft Moskaus im UN-Sicherheitsrat stellen sich darüber hinaus neue Herausforderungen für die Mission, deren Mandat im Juni im Sicherheitsrat verlängert werden müsste.
Bereits im März letzten Jahres beschloss der Europäische Rat die Verlängerung des europäischen maritimen Einsatzes bis Ende April 2023 – auch mit der Zustimmung der damaligen Bundesregierung. Am Freitag diese Woche wird der Deutsche Bundestag über den Antrag der Ampelkoalition abstimmen, für Irini auch weiterhin deutsches militärisches Personal und Material zur Verfügung zu stellen.
Mit einer Zustimmung ist fest zu rechnen. War die Verlängerung 2021 noch ohne Veränderung des Mandats erfolgt, so begründet die jetzige Regierung ihre Zustimmung auch damit, dass Deutschland sich nicht mehr an der Ausbildung und Ausstattung der libyschen Küstenwache beteiligen soll und es von Deutschland stattdessen auch ein klareres Bekenntnis für die Seenotrettung durch die Mission gäbe.
Diese Begründung erweckt den Anschein einer Neuorientierung. Doch anders als die Vorgängermission Sophia konnte Irini bisher nie – wie eigentlich geplant – die libysche Küstenwache ausbilden, weil sich die libysche Übergangsregierung standhaft geweigert hat, dieses Ausbildungsangebot anzunehmen. In ihren Augen hatte die EU mit der einseitigen maritimen Überwachung des Waffenembargos die Übergangsregierung gegenüber anderen militärischen Akteuren, insbesondere des im Osten herrschenden Generals Chalifa Haftar, in Libyen klar benachteiligt.
Abgesehen davon war die Ausbildungshilfe schon früher zu Recht hochumstritten. Es gibt klare Erkenntnisse darüber, wie völkerrechtswidrig die libysche Küstenwache mit Geflüchteten umgeht und teils selbst in den gefürchteten Menschenhandel verwickelt ist. Auch das Bekenntnis zur Seenotrettung bedeutet keine qualitative Veränderung – das internationale Recht verlangt schon immer, dass Schiffe von Irini bei Seenot eingreifen.
Waffenembargo funktioniert nicht
Doch um die Seenotrettung durch Irini einzuschränken, hatten sich einige Mitgliedsstaaten vor dem Start des Einsatzes 2020 etwas ganz Besonderes überlegt. Alle vier Monate muss Irini durch das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) des Rates der EU einstimmig neu bestätigt werden, andernfalls wäre die Operation umgehend beendet. Grund für diesen Mechanismus sind die Bedenken einiger rechtskonservativer Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten mit Hinblick auf potentielle Migration nach Europa.
Sollte Irini nach Ansicht dieser Staaten zu viele Menschen retten, könnten sie der Mission ein Ende machen. Auch beim Kernmandat, der Abschreckung von Waffenschmuggel auf hoher See, war eine effektive Mandatsumsetzung kaum möglich, da die EU sogenannte Opposed Boardings – das Anbordgehen gegen den Widerstand des Flaggenstaates des zu inspizierenden Schiffs – ablehnt.
Das Expertenpanel des UN-Sanktionskomitees für Libyen kam daher bereits im letzten Jahr zu der Schlussfolgerung: “Das Waffenembargo bleibt völlig unwirksam. Bei den Mitgliedstaaten, die die Konfliktparteien direkt unterstützen, sind die Verstöße umfangreich, eklatant und unter völliger Missachtung der Sanktionsmaßnahmen“. Damals empfahl das Panel, dass der UN-Sicherheitsrat Mitgliedsstaaten ausdrücklich dazu autorisiert, Schiffe auch gegen den Willen des Flaggenstaats zu inspizieren.
Innerhalb der ersten 12 Monate der Operation hat Irini nur acht Durchsuchungen an Bord verdächtiger Schiffe vorgenommen. Bis März 2022 waren es laut ihrer Website 22. Schaut man sich das Ausmaß des Schmuggels an, die das UN-Expertenpanel dokumentiert, muss man von einer rein symbolischen Wirkung der Mission auf den Waffenschmuggel ausgehen. Außerdem kam die größte Anzahl an Waffen laut Sanktionskomitee ohnehin über Land und per Flugzeug nach Libyen.
Neues Konzept für Seenotrettung notwendig
Darüber hinaus stellt sich überhaupt die Frage nach der Zukunft der Operation, wenn Anfang Juni im UN-Sicherheitsrat über die Autorisierung von Irini diskutiert wird. Dabei geht es um die rechtliche Grundlage für die erwähnten Durchsuchungen durch die Mission. Ein russisches Veto scheint möglich, und so könnte die Hauptmandatsaufgabe von Operation Irini entfallen. Dann stellt sich auch umgehend die Frage nach dem Verbleib deutscher Soldat:innen.
Deren Einsatz hängt nämlich unmittelbar an der Mandatierung durch den Sicherheitsrat. Auch bei der anderen (zivilen) EU-Mission EUBAM Libya bestehen Zweifel an ihrer Wirksamkeit – vor allem aufgrund ihres Fokusses auf der Unterstützung libyscher Partner für Grenz- und Migrationsmanagement in der jetzigen instabilen Lage in Libyen. Denn die eskaliert: Seit Januar stehen sich erneut zwei Premierminister von verfeindeten Blöcken gegenüber, und die russische Söldnergruppe Wagner zeigt im Osten größere Präsenz.
Sollte die Bundesregierung nicht jetzt die Weichen stellen für ein anderes Engagement in und für Libyen? Vielleicht eine neue, integrierte EU-Mission für die Stabilisierung, den Friedensprozess und den Wiederaufbau? Braucht die EU überhaupt noch eine fortgesetzte maritime Präsenz wie Irini vor Libyen? Für die Seenotrettung nicht.
Nur ein neues Gesamtkonzept der EU für die Seenotrettung könnte helfen, um das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Ende April 2022 gelten für dieses Jahr bereits mehr als 500 Geflüchtete laut UN als gestorben oder vermisst. Die frühere italienische Seenotrettungsmission Mare Nostrum wäre für die Seenotrettung ein besseres Vorbild.