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Grundsatzbeschluss des BVerfGKarlsruhe erschwert Observationen

Es genügt nicht, dass eine Zielperson Straftaten begehen will, es muss Indizien für eine „konkretisierte Gefahr“ geben, so die Verfassungsrichter.

Werden Überwachungsfotos gemacht gelten strengere Regeln Foto: imago

BERLIN taz | Nordrhein-Westfalen muss in seinem Polizeigesetz die Regeln zur längerfristigen Observation nachbessern. Die Voraussetzungen hierfür seien zu niedrig, entschied das Bundesverfassungsgericht, wenn bei der Beobachtung auch Fotos angefertigt werden. Der NRW-Landtag hat für die Nachbesserung Zeit bis Ende 2025.

In den Polizeigesetzen der Länder sind die Befugnisse der Polizei zur Abwehr künftiger Gefahren geregelt. Die Befugnisse zur Aufklärung bereits verübter Straftaten sind in der Strafprozessordnung, einem Bundesgesetz, enthalten. Das NRW-Polizeigesetz erlaubt der Polizei unter anderem, eine Person längerfristig zu beobachten. Damit ist eine Observation von mehr als 48 Stunden am Stück oder von mehr als zwei Tagen gemeint.

Im konkreten Fall ging es um einen rechtsradikalen Skinhead, der schon zwei Mal wegen Gewalttaten verurteilt wurde, einmal wegen Totschlags, beim zweiten Mal wegen gefährlicher Körperverletzung. Ab der zweiten Haftentlassung im Juli 2015 führte die Polizei eine längerfristige Observation durch, um den Wohnsitz des Skinheads herauszufinden. So sollten weitere Körperverletzungen verhindert werden.

Tatsächlich ergab die Observation, dass der Mann durch eine Freundin vom Gefängnis abgeholt wurde und dass er dann auch bei ihr einzog. Nach dem Ende der Observation unterrichtete die Polizei die Frau, dass auch von ihr Fotos gemacht worden seien. Das hielt die Frau für rechtswidrig und klagte durch die Instanzen.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ging davon aus, dass die Frau nicht eigenständig überwacht wurde, sondern nur von der Überwachung des Mannes mitbetroffen war. Es legte den Fall 2019 dem Bundesverfassungsgericht vor. Die Karlsruher Rich­te­r:in­nen sollten klären, ob die Rechtsgrundlage für die Überwachung des Mannes verfassungskonform ist.

„Schwerer Eingriff“

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Präsident Stephan Harbarth beanstandete nun die Regeln für die längerfristige Observation im NRW-Polizeigesetz. Verbunden mit der Befugnis, Fotos anzufertigen, liege ein „schwerer Eingriff“ in die informationelle Selbstbestimmung der jeweiligen Zielpersonen vor. Dieser Eingriff sei im Gesetz unverhältnismäßig und zu unbestimmt geregelt, weil es schon genüge, dass Zielpersonen bestimmte Straftaten „begehen wollen“.

Die Karlsruher Rich­te­r:in­nen verlangen als „Eingriffsschwelle“ stattdessen, dass bereits eine „konkrete Gefahr“ oder zumindest eine „konkretisierte Gefahr“ vorliegt. Von einer konkretisierten Gefahr spricht das Verfassungsgericht, wenn Tatsachen den Schluss auf ein wenigstens seiner Art nach zeitlich absehbares Geschehen zulassen und Personen beteiligt sein werden, über deren Identität zumindest so viel bekannt ist, dass die Überwachungsmaßnahme gezielt gegen sie eingesetzt und weitgehend auf sie beschränkt werden kann.

Der Düsseldorfer Landtag hat nun Zeit bis zum 31. Dezember 2025, eine Neuregelung zu schaffen. Auch bis dahin sind aber längerfristige Observationen mit Foto-Aufnahmen möglich, wenn eine konkrete oder konkretisierte Gefahr vorliegt.

Schon 2021 hatte der Landtag für Observationen einen Richtervorbehalt eingeführt. Sonst hätte das Bundesverfassungsgericht wohl auch dies gefordert.

Die Anforderungen an das NRW-Polizeigesetz gelten auch für die Polizeigesetze der anderen Bundesländer. Wie viele Länder nun nachbessern müssen, ist noch nicht bekannt. (Az.: 1 BvL 3/22)

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9 Kommentare

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  • Nach dem Urteil, demzufolge Ausländer im Ausland nicht einfach vom BND überwacht werden dürfen, hier das nächste absolut realitätsferne Urteil. Wie oft wurde denn erst durch die Observierung die konkrete Gefahr einer Straftat erkannt und diese dann verhindert?

  • Als aussenstehender nicht Deutscher kann ich über Deutschland leider nur noch den Kopf schütteln. Wie kann man nur so derart oft einfach entgegen jeglicher logische Vernunft genau das Gegenteil machen, von den was der gesunde Menschenverstand wäre. Es kommt mir vor, als ob Behörden und Parteien einen geheimen Wettbewerb führen, wer die meisten "unschlauen" Entscheidungen trifft. Zum Glück habt Ihr den US Geheimdienst, der Euch meistens den A***** rettet.

  • Deutschland erschwert es Polizei und Geheimdiensten, Attentate und Straftaten im Vorfeld aufzudecken und man ist so stolz auf die Wahrung der " informationellen Selbstbestimmung" und den Datenschutz.

    Und gleichzeitig sind es fast immer Warnungen ausländischer Geheimdienste, die zur Ergreifung von Terroristen und Verhinderung von Terrorangriffen sorgen.

    Deutschland lagert die schmutzige Arbeit einfach aus an die USA & Co. Das ist einfach nur verlogen. Und man macht sich abhängig von den Launen von Leuten wie Trump.

  • Anders ausgedrückt, so jemand wie der Attentäter von Magdeburg darf nicht observiert werden, bloß weil er über Jahre andere Taten angedroht hat.

    • @fly:

      Ach was! ©️ Loriot

      Aber uns aller Nancy Fraency vande Görg Ffm



      Wird zum xxlten Male in die Tischkante beißen & für sojet wie gedankenfreien wie ehna nen



      🖊️ Plätzchen frei haben! Gelle

      unterm—— servíce special



      Fallsse noch was vor haben - kl. Tipp -



      Mit Jura - gar was mit Öff. Recht. - solltens es erst gar nicht versuchen - is ja bei der Perle auch ersichtlich daneben gegangen. Newahr



      Normal

      kurz - Mit Harry Rowohlt gesprochen -



      Sagen was man denkt. Aber verher was gedacht haben.



      - always at your servíce

    • @fly:

      Wann wurden in Deutschland AfD-Fans und / oder Islamkritiker beobachtet?

      Auch Alice Weidel wird wohl nicht beobachtet, nur weil sie extrem rechts ist und ständig Remigration, dem Kampfbegriff der Neuen Rechten für Vertreibung und Deportation, von sehr vielen Menschen fordert.

    • @fly:

      An das Attentat in Magdeburg dachte ich auch sofort und gehe davon aus, dass der mutmaßliche Täter, auch wenn er noch mehr aufgefallen wäre, nicht observiert hätte werden dürfen, da keine Indizien für eine „konkretisierte Gefahr“ vorlagen. Selbst die Anmietung der Mordwaffe hätte, vermute ich nur, nicht ausgereicht, da er das Auto ja auch privat hätte nützen können wollen.

      Die Bundesverfassungsrichter und andere Juristen haben sicherlich recht, aber mir stellt sich die Frage, ob unsere Gesetzgebung noch in diese Zeit und zu den veränderten Rahmenbedingungen passt.

    • @fly:

      Richtig. Und unproblematisch. das wäre ja auch überhaupt nicht nötig gewesen, wenn man nicht über Jahre alles ignoriert hätte. Ist ja nicht so, als ob der Täter irgendwas im Geheimen geplant hätte. Hier ist also kein Argument pro Überwachung zu finden.

      • @Markus Weber:

        Ich finde Ihren Kommentar interessant, da ich die Entscheidung des BVG anders interpretiere.

        Wo sahen Sie im Verhalten/den Äußerungen des mutmaßlichen Magdeburger Attentäters die vom BVG verlangte „konkretisierte Gefahr“?

        Seine Äußerungen/Stellungnahmen in den sozialen Medien sind anscheinend nichts Besonders in diesem Milieu. Drohungen gegen die Ärztekammer sind vermutlich seltener als Drohungen gegen das Finanzamt und andere Institutionen, aber meiner Einschätzung nach auch kein Hinweis auf einen Anschlag. Ein Auto mieten tun die meisten Bürger hin und wieder mal, ebenso wie sich sozial unangepasst verhalten.

        Was vielleicht möglich gewesen wäre, den Hinweis des saudi-arabischen Geheimdienstes als "konkretisierte Gefahr" zu verstehen, wobei ich mir aber auch nicht sicher bin, ob dieses Vertrauen "gerichtsfest" gewesen wäre.

        Vielleicht erfahren wir von ein paar Juristen, was als "konkretisierte Gefahr" den Vorgaben es BVG entsprechen würde.