piwik no script img

Grünen-Politiker zu Arzneimittelmangel„Müssen im Notfallmodus reagieren“

Was tun gegen den Engpass bei Fiebersaft und Co.? Der grüne Gesundheitsexperte Janosch Dahmen stellt eine schnelle Krisenhilfe der Ampel in Aussicht.

Lieferausfälle und gehäufte Krankheiten: In Deutschland fehlen Medikamente Foto: imago/rarrarorro
Tanja Tricarico
Interview von Tanja Tricarico

taz: Herr Dahmen, Fiebersäfte sind in vielen Apotheken nicht mehr verfügbar, andere Medikamente sind ebenso knapp. Eine Krise mit Ansage?

Janosch Dahmen: Aktuell erleben wir im Bereich der Arzneimittelversorgung einen wirklich empfindlichen Engpass. Dieser hat sich nach dem Ausfall wichtiger Lieferungen von Fiebersäften und anderen Antiinfektiva wie Antibiotika in den letzten Wochen abgezeichnet. Hinzu kommt, dass die Gleichzeitigkeit mehrerer Atemwegserkrankungen und der Wegfall von anderen Schutzmaßnahmen zu einer Infektionsdynamik geführt hat, die aktuell über 10 Millionen Menschen in Deutschland hat krank werden lassen – alle überwiegend mit akuten Erkrankungen, die auf die Versorgung mit diesen, zumindest im Bereich der Kinderdosierung knappen Medikamenten angewiesen sind. Und wir erleben nun, dass diese starke Nachfrage einerseits und die hohe Abhängigkeit und Labilität von Lieferketten andererseits uns sehr vulnerabel macht.

Es gibt also mehr Krankheiten. Zugleich ist der Engpass an Medikamenten regional sehr unterschiedlich.

Neben der gestiegenen Nachfrage und der geringeren Liefermenge haben wir auch ein Verteilungsproblem. Es ist – nachdem bekannt wurde, dass es vermutlich Lieferengpässe in der Herbst-/Wintersaison geben wird – bereits im Sommer dazu gekommen, dass regional sowohl vom Großhandel als auch einzelnen Apotheken vermehrt zum Beispiel Ibuprofen-Fiebersäfte und auch Paracetamol-Fieberzäpfchen aufgekauft wurden. In Deutschland erleben wir jetzt, dass es Regionen gibt, wo Apotheken flächendeckend gar nichts mehr liefern können, während es an anderen wenigen Standorten zurzeit noch Reserven gibt. Es wäre deshalb dringend geboten, dass wir jetzt wie immer dann, wenn etwas knapp wird, diese knappen Ressourcen zentral steuern und koordinieren.

Bild: Die Grünen Bundestagsfraktion, S. Kaminski
Im Interview: Janosch Dahmen

41, ist gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestag. Er ist Unfall­chirurg und Notfallmediziner und war Oberarzt für die Ärztliche Leitung des Rettungsdienstes bei der Berliner Feuerwehr.

Kinderärzte fordern, dass sofort staatlich eingeschritten wird, um den derzeitigen Mangel zu beheben. Lässt sich akut ein Verteilungsmodus anschieben?

Wir brauchen ein Krisenmanagement, das jetzt die akute Situation in den Blick nimmt und sicherstellt, dass knappe Medikamente bestmöglich verteilt werden. Wir müssen einerseits kurzfristig nach Möglichkeiten suchen, durch zusätzlichen Ankauf und Nachschub aus dem Ausland die Versorgung zu verbessern. Gleichzeitig müssen wir ermöglichen, dass in den Apotheken lokal Wirkstoffe schnell und unbürokratisch aufbereitet werden können. Dafür brauchen wir entsprechende rechtliche Voraussetzungen, so dass dies bei zurzeit nicht anders verfügbaren Arzneimitteln kurzfristig den Apotheken erlaubt und den Patienten ohne ein neues Rezept ermöglicht werden kann.

Und was plant die Ampel, der sie als Grünen-Politiker angehören?

Wir sind in der Vorbereitung sowohl für umfangreiche Reformen, die in den letzten Jahren liegen geblieben sind, als auch von kurzfristig auf die Krise ausgerichteten Maßnahmen. Der Gesundheitsminister wird schon in den nächsten Tagen konkrete Gesetzgebungsvorschläge und weitere Maßnahmen dazu vorstellen.

Was halten Sie von einer gemeinsamen Kraftanstrengung in der EU zur Medikamentenbeschaffung ähnlich wie zur Beschaffung von Impfstoffen zu Pandemie-Hochzeiten?

Die Solidarität in der Sicherstellung von Gesundheitsversorgung, einschließlich der Sicherstellung von Produktionskapazitäten bei der Versorgung mit wichtigen Arzneimitteln, ist immer auch eine europäische gemeinsame Aufgabe. Anders als bei der rein europäischen Beschaffung von Impfstoffen, ist eine Gleichzeitigkeit von europäischer Abstimmung und spezifischen, auf die Situation in Deutschland ausgerichteten Maßnahmen jedoch in diesem Fall geboten.

Angesichts der Mangellage werden Forderungen laut, die Produktion von Medikamenten verstärkt in Deutschland anzusiedeln. Machbar?

In den vergangenen Jahren haben wir im Bereich patentierter neuer Medikamente eine rasante Preisentwicklung hin zu immer teureren Arzneimittelpreisen erlebt. Gleichzeitig haben wir bei den sehr einfachen Medikamenten, die als Generika ohne ein Patent in der Regel günstig produziert werden, einen immer stärkeren Preisdruck auf die Hersteller erlebt. Es ist kaum mehr wirtschaftlich, auch bei gestiegenen Preisen, diese einfachen Medikamente zu produzieren. Das hat dazu geführt, dass selbst dort, wo es noch Produktionsstätten in Deutschland oder Europa gab, diese immer mehr in andere Länder verlagert wurden. Um diesen Entwicklungen gegenzusteuern, wird die Koalition dazu in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen. Das soll beispielsweise den Krankenkassen erlauben, nicht immer nur die billigsten Medikamente zu bezahlen, sondern künftig auch wirtschaftliche Alternativen mit zu erstatten.

Das heißt, es wird mittelfristig teurer für die Bei­trags­zah­le­r:in­nen?

Wie in anderen Bereichen des Gesundheitswesens, haben wir es auch bei der Arzneimittelversorgung in der Vergangenheit übertrieben mit der Ökonomie. Ich gehe davon aus: Wenn man Medikamente wie die, die uns im Moment fehlen, in Deutschland und Europa produziert, dann wird das mehr kosten als in anderen Teilen der Welt, wo derzeit produziert wird. Da wir ein Interesse daran haben müssen, eine verlässliche Versorgung mit existenziellen Medikamenten auch künftig zu sichern, kommen wir nicht umhin, dass wir über die gesetzliche Krankenversicherung auch höhere Preise im Bereich der Generika im Einzelfall in Kauf nehmen müssen.

Wir haben einen Mangel an Medikamenten, eine verschärfte Situation an den Kliniken, überall fehlt Personal. Müssen wir uns auf ein Gesundheitssystem im Dauerkrisenmodus einstellen?

Wir erleben zurzeit die Gleichzeitigkeit eines jahrelangen Reformstaus, eines erheblichen Fachkräftemangel und das Auftreten mehrerer gleichzeitiger Atemwegserreger. Diese Kombination von Belastungen wird dazu führen, dass unser ohnehin überlastetes Gesundheitswesen in eine weiterhin schwierige Situation gerät. Es bedarf deshalb wichtiger, umfassender Reformen. Dazu gehören die Krankenhausstrukturreform, die Digitalisierung im Gesundheitswesen, aber auch Reformen, um mehr Pflegepersonal zu bekommen. Bis die Reformen wirken, müssen wir in akuten Krisen mit einem Notfallmodus reagieren. Das bedeutet insbesondere, mit den knappen Gütern so zu haushalten, damit wir bestmöglich durch diese schwere Zeit kommen, bis die Reformen zu wirken beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Ich empfehle das Buch "Globalisierung" von Helmut Schmidt - vor über 20 Jahren geschrieben und doch sehr aktuell!

  • Selbst Online-Apotheken haben Paracetamol in Kinderdosierung nicht lieferbar, es muss also schon auch überregional relevant sein.

    Ich frage mich vor Allem, warum gerade in D so ein Notstand entsteht.



    Zum Glück habe ich Familie in der Schweiz, die mir am Samstag Fieberzäpfchen besorgt und jetzt losgeschickt hat! Auch Familie in Österreich hat geschaut und bestätigt, dass es dort Zäpfchen gibt.

    Hilft aber alles nichts, 8 Monate altes Baby musste ohne Zäpfchen durch seinen aktuellen Infekt, Dünnheit sind alle Apotheken dahingehend ausverkauft

    • @Sabrina K.:

      > Ich frage mich vor Allem, warum gerade in D so ein Notstand entsteht.

      Das liegt offenbar daran, dass in D niedrigere Preise gezahlt werden als in anderen Ländern.

      > Fieberzäpfchen

      Scheint so ein begehrtes Medikament zu sein. Ich habe meinen Kindern früher Wadenwickel gemacht, um Fieber zu senken. Hat auch funktioniert.

      Alles Gute für Ihr Baby!

  • In der Tat, die Produktion von Medikamenten (und anderen lebenswichtigen Erzeugnissen) muss ins Land zurückgeholt werden. Auch die Kostenfrage wurde zu Recht angesprochen, denn die Löhne auf chinesisches oder indisches Niveau zu senken, wird, dank der Gewerkschaften, nicht gelingen. Also werden die Beiträge steigen.



    Ich verstehe nur nicht, weshalb dies immer als typisches Problem des Kapitalismus dargestellt wird. Der „Sozialismus in den Farben der DDR“ (E. Honecker) konnte erst recht nicht alle Wünsche erfüllen. Sondern die Staats- und Parteiführung entschied nach ideologischen Maßstäben von oben herab, was dem einen vorzuenthalten war, um es dem anderen zuzuschlagen. Das führte zu der damals allgegenwärtigen Mangelwirtschaft.

  • was noch gar nicht so richtig in die Öffentlichkeit gedrungen ist:

    Die Medikamentenengpässe betreffen nicht nur Standardmedikamente in der Apotheke, sondern auch wichtige Notfallmedikamente für Kliniken und Notarztdienst. Und das zumindest seit über 2 Jahren.

    Beispiele?



    - Tavor i.v. zur Behandlung von epileptischen Anfällen. War während Corona anscheinend überhaupt nicht mehr lieferbar und hat sicher ein Jahr auf unserem Notarzteinsatzfahrzeug gefehlt. Ist erst seit einigen Monaten wieder verfügbar.



    - Bronchospasmin zur Behandlung von obstruktiven Atemwegserkrankungen, wie z.B. Asthma fehlt seit ca. einem Jahr auf unserem Notarzteinsatzfahrzeug, da nicht lieferbar.



    - Metalyse, ein Medikament zur Auflösung von Blutgerinnseln, wie es z.B. zur Behandlung einer fulminanten Lungenembolie benötigt wird und z.B. in bestimmten Situationen bei der Wiederbelebung gegeben wird, ist auch immer wieder nicht lieferbar. Als möglicher Ersatz wird Actilyse verwendet, dass jedoch über eine Stunde kontinuierlich appliziert werden muss und daher die Anwendung im Notarztdienst erschwert. Kürzlich gab es ein Schreiben, dass diesen Herbst beide Medikamente für einige Zeit nicht lieferbar sein werden, da beide vom gleichen Hersteller sind und es zu Umstellungen im Produktionsprozess kommt...



    - An einem Notarztstandort wurden zuletzt abgelaufene Ampullen von Oxytocin (ein Medikament zur Behandlung schwerer Blutungen nach der Entbindung) vorgehalten, da es auch hier Nachschubprobleme gäbe...

    All diese Engpässe treffen also auch den Notarztdienst, wo man doch sehr ungern auf lebensrettende Medikamente verzichten möchte. In den Medien taucht aber nur der Fiebersaft und die aktuelle Krankheitswelle auf. Nicht die Probleme, die es seit 2 Jahren gibt...

  • Den Grünen geht es nicht um Klimaschutz als Priorität 1. Das hätte man wissen müssen, nachdem statt dem Klimapolitiker Habeck die Außenpolitikerin Baerbock nominiert wurde. Und danach, dass sie Außenministerin wurde, nachdem sie es verbockt hat - dafür aber der FDP das Verkehrsministerium überlassen hat. Das- nur zur Erinnerung- die CSU haben wollte wegen den 30 Mrd. Jahresbudget....



    Und nun geht es vor allem darum, "Russland zu ruinieren" wie Frau Baerbock vorgab. LNG macht so überhaupt keinen Sinn im Vergleich zu Pipelinegas als Überbrückungstechnologie

  • "Das bedeutet insbesondere, mit den knappen Gütern so zu haushalten, damit wir bestmöglich durch diese schwere Zeit kommen, bis die Reformen zu wirken beginnen."

    Also Weiterwurstel wie bisher bis Reformen nicht nur gestartet werden sondern zu wirken zu beginnen!

    Das ging bei Corona anders, oder? Warum in diesem Bereich kein Interesse besteht schneller zu sein? Weil die Wirtschaft nicht betroffen wirklich ist. Es geht nur um Kleinkinder und deren Eltern. Ein scheinbar nachrangiger Teil der wirtschaftenden Tätigen.



    Oder sind die Gesundheitspolitiker einfach am Ende ihres Latein - falls sie jemals sprachen?



    Aber haben wir Respekt vor der "schwarzen Null" sie ist wichtiger als ein paar Medikamente die ausser der Reihe per Flugbote besorgt werden müsste, überwiegend für Kinder die sich diese Welt nicht ausgesucht haben.

    Verlasse dich nicht auf Gott oder andere - handle selbst, dann wird Dir geholfen. Bist du zu schwach, hast Du eben verloren. Das Leben ist keine Generalprobe Herr Dahmen, auch wenn der Arbeitsplatz im Parlament noch so schön sein mag.

  • Ich habe über das Wochenende meine Eltern in Polen besucht und wie immer dort verschiedene Medikamente gekauft. Alles war vorrätig und wie immer viel billiger als in Deutschland. Der Apotheker hat mir gesagt, dass er jedes Medikament innerhalb eines Tages angeliefert bekommt. Wieso ist das so?

  • Wadenwickel?