Grünen-Politiker Habeck über Merkel: „Angst vor grüner Mehrheit“
Schleswig-Holsteins Umweltminister kritisiert, dass Ceta, das Freihandelsabkommen zwischen EU und Kanada, „durchgedrückt“ werden soll.
Vor allem bei der SPD sorgte die Ankündigung aus Brüssel, das EU-Abkommen mit Kanada ohne nationale Parlamente durchzusetzen, für Empörung. Allerdings geht es nicht nur um den Bundestag, sondern auch um den Bundesrat.
taz: Herr Habeck, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sagt, das umstrittene Freihandelsabkommen Ceta sei Handelspolitik und eine „EU-only“-Sache. Was halten Sie daran für falsch?
Robert Habeck: Das wäre eine Entscheidung ohne Bürgernähe. Wir haben ja noch keine Vereinigten Staaten von Europa, sondern in jedem EU-Mitgliedstaat eigene demokratische Diskussionen. Die EU ist nach dem Brexit-Votum ohnehin schon in der Krise. Ceta durchzudrücken ist falsch.
Juncker beruft sich auf eine juristische Analyse und das gute Recht der EU.
ist Schriftsteller und Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume in Schleswig-Holstein. Außerdem sitzt der 46-Jährige als Vize-Ministerpräsident im Bundesrat.
Das ist keine juristische, sondern eine politische Frage.
Kanzlerin Angela Merkel will immerhin den Bundestag um eine, so sagte sie, „Meinungsbildung“ bitten. Den Bundesrat erwähnt sie nicht. Was heißt das?
Sie hat Angst vor der grünen Mehrheit im Bundesrat.
Wäre die grüne Ablehnung denn sicher? Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich noch nicht festgelegt.
Einige Landesregierungen bilden sich noch abschließend ihre Meinung. Ich selbst halte den Ceta-Vertrag, so wie er ist, für nicht zustimmungsfähig.
Was ist so schlimm an Ceta?
Globaler Handel und Internationalität sind wichtig. Aber gerade deshalb müssen wir doch aufpassen: Die erkämpften Rechte der Bürger, der Schutz der Verbraucher, der Arbeitnehmer, der Umwelt dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden. Das ist aber bei Ceta und beim TTIP-Abkommen mit den USA die Gefahr. Sie degradieren demokratische Errungenschaften zu Handelshemmnissen.
Haben Sie einen Hebel, damit der Bundesrat doch noch gehört wird?
Der Bundesrat kann sich nicht selbst helfen. Formal können die Regierungen der Mitgliedstaaten Ceta zu einem Abkommen erklären, bei dem die nationalen Parlamente in jedem Fall beteiligt werden müssen, also Frau Merkel und ihre Kollegen. Doch das müssten sie einstimmig machen.
Und: Italien hat sich dem bereits entgegengestellt. Die EU würde womöglich auch nur mehr geschwächt, wenn sie Ceta nicht durchbringen könnte. Oder?
Das Gegenteil stimmt. Die Verfahren jetzt zeigen doch, dass die europäischen Institutionen nicht dem genügen, was wir als lebendige moderne Demokratie haben wollen. Der Reformbedarf wird also noch einmal mehr deutlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen