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Grünen-Politiker Al-Wazir"Wir brauchen keine Revision"

Der deutsch-jemenitische Grüne Tarek Al-Wazir ist Spitzendkandidat in Hessen. Ein Gespräch über Afghanistan, die große Abrechung mit Fischer und Roland Koch

Al-Wazir rät, vergangene Fehler zuzugeben, aber die große Abrechnung mit Fischer zu unterlassen. Bild: dpa

taz: Herr Al-Wazir, wären Sie gerne Minister?

Tarek Al-Wazir: Dazu muss man eine Wahl gewinnen. Man kann das Fell eines Bären nicht verteilen, solange er noch brummt. Und Roland Koch brummt noch ganz schön laut - auch wenn er, wie Edmund Stoiber sagen würde, ein Schadbär ist.

ROT-GRÜNES ERBE

Tarek Al-Wazir, 36, zählt zu den Nachwuchshoffnungen der Grünen. Er macht als Vorsitzender der hessischen Landtagsfraktion den früheren Job von Joschka Fischer. Außerdem ist er im Bundesparteirat, Spitzenkandidat in Hessen und neuerdings auch Landesvorsitzender. Damit hat er es geschafft, die bei den Grünen übliche Trennung von Amt und Mandat zu überwinden. Seine Partei streitet sich derzeit um das Erbe von Rot-Grün. Ein Sonderparteitag empfahl der Bundestagsfraktion, einer Verlängerung der Afghanistan-Mandate nicht zuzustimmen. Vor der Abstimmung am Freitag haben dennoch 15 Abgeordnete erklärt, dass sie mit Ja stimmen werden. Sieben wollen Nein sagen, 26 sich enthalten.

Zieren Sie sich nicht so! Bedeutet "Al-Wazir" übersetzt nicht Minister?

Das ist ein Familienname und keine Berufsbezeichnung. Im Jemen ist meine Familie einflussreich, und momentan sind die Al-Wazirs in der Regierung mit dem Verkehrsminister vertreten; ich glaube, ein Großcousin meines Vaters. Aber in Deutschland ist die Herkunft zum Glück nicht ganz so wichtig. Und ich habe mich entschieden, in Deutschland zu leben.

Aber nach der Landtagswahl in Hessen Ende Januar wollen die Grünen schon mitregieren?

Natürlich. Nach neun Jahren Opposition haben wir die Nase voll von Koch und Co. Wir waren mal ein Pionierland. Zwei Beispiele: Heute drehen sich immer noch die Windräder, die Joschka Fischer eingeweiht hat, aber seither ist kaum etwas passiert. In der Bildungspolitik betreibt die Hessen-CDU einen Schulkampf für das dreigliedrige Schulsystem, als wären wir noch in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Hessen hat eine zukunftsfähigere Politik verdient.

SPD und Grüne schaffen in Hessen nach der jüngsten Umfrage 39 Prozent. Setzen Sie auf die Linkspartei oder auf eine Jamaika-Koalition?

Die Umfrage ist nur eine Umfrage, und bis zur Wahl sind es noch über drei Monate. Ich rechne nicht damit, dass die Linkspartei in den Landtag kommt. In einem Parlament mit vier Parteien wäre eine Jamaika- oder eine Ampelkoalition unwahrscheinlich. Davon abgesehen werden die Grünen Koch auf keinen Fall zum Ministerpräsidenten machen.

Gerade wo Ihr Wahlkampf anrollt, streiten sich die Grünen so heftig wie lange nicht mehr. Wie sehen Sie die rot-grüne Haltung zu Krieg und Frieden?

Ich war spätestens 1995 weg von der urpazifistischen Ansicht. Es ging nach dem Kalten Krieg nicht mehr darum, den atomaren Overkill zu verhindern, sondern Völkermord. So war der Kosovoeinsatz trotz bestehender Probleme auf dem Balkan richtig - genau wie das Nein zum Irakkrieg.

Wie im Kosovo und im Irak sterben in Afghanistan Menschen. War es falsch, die Bundeswehreinsätze zu beschließen und zu verlängern?

Nein. Man muss allerdings schauen, ob das, was man erreichen wollte, eingetreten ist. Deshalb eint die Grünen auch, dass in Afghanistan ein Strategiewechsel hin zu mehr zivilem Aufbau nötig ist. Aber das Ganze muss militärisch abgesichert werden. Das sieht auch die Mehrheit der Grünen-Anhänger so. In allen Umfragen finden Sie unter ihnen die höchste Zustimmung zum Afghanistaneinsatz.

Aber nicht im Beschluss des Sonderparteitags in Göttingen.

Der siegreiche Antrag hat nicht gesagt: Sofort raus! Er hat allerdings so viele Bedingungen aufgestellt, dass er faktisch keine Zustimmung zur Isaf zulässt. So wurde er mehrheitsfähig.

Die meisten Grünen im Bundestag werden sich am Freitag der Stimme enthalten. 15 wollen für die Verlängerung des Mandats stimmen, nur 7 mit Nein. Reicht das zur Versöhnung?

Das ist ein Signal an die Partei, dass der Beschluss des Parteitags nicht ignoriert wird. Aber gleichzeitig gibt es viele Abgeordnete, die zum Schutz des zivilen Aufbaus in Afghanistan die militärische Absicherung für nötig halten und die sechs Tornados zur Luftaufklärung entweder für nötig oder in der Gesamtabwägung für nicht so relevant halten. Ich finde, die Tornado-Gegner sollten das jetzt als Gewissensentscheidung respektieren.

Was sagen Sie an Ihren Wahlkampfständen, wenn Sie gefragt werden, ob die Grünen nun für oder gegen einen Afghanistaneinsatz sind?

Ich werde sagen: Die Mehrheit der Grünen ist für eine Schutztruppe und zivilen Aufbau, wir streiten uns nur über den Einsatz deutscher Tornados. Aber die hessische Landtagswahl wird nicht am Hindukusch entschieden.

Sie selbst haben es kürzlich geschafft, Landtagsfraktionschef und Landesvorsitzender in Personalunion zu werden. Haben die Grünen zu viele Chefs?

Wir leben in einer Mediendemokratie, in der Personen die politischen Inhalte vertreten. Das Aufmerksamkeitsfenster ist klein. Und wo kam die Trennung von Parteiamt und Abgeordnetenmandat her? Die Grünen haben Anfang der Achtzigerjahre gesagt: Wir wollen nicht sein wie die anderen. Nicht bei den Inhalten und nicht von der Struktur her. Inzwischen ist uns in Hessen klar: Struktur ist nicht Inhalt.

Und im Bund?

Gerade weil die Inhalte wichtig sind, sollte man jetzt nicht alle Energien auf eine neue Strukturdiskussion verwenden.

Aber grundsätzlich halten Sie die zwei Doppelspitzen auf Bundesebene für Blödsinn?

Es war klar, dass irgendwann nach Joschka Fischers Abgang die Frage gestellt wird, wer eigentlich der neue Joschka ist. Den gibt es aber nicht. Weder von der Leibesfülle noch von der Persönlichkeit her. Das mussten die hessischen Grünen ja auch schmerzhaft lernen. Als Joschka hier 1994 wegging, haben manche eine Zeit lang versucht, ihn zu kopieren. Das hat nicht geklappt.

Wer führt die Bundesgrünen?

Die einzige Lösung ist, im Team zu arbeiten, aber die Rollen klar zu verteilen. Beim Fußball spielen ja auch nicht alle im Sturm, ohne Mittelfeld und Defensive klappt es nicht. Wenn alle immer das Tor schießen wollen, dann geht am Ende keins rein. Etwa ein Jahr vor der Bundestagswahl müssen wir über die Spitzenkandidatur entscheiden.

Aus Hessen hat sich gerade Matthias Berninger zum Schokohersteller Mars verabschiedet. In Schleswig-Holstein ist Klaus Müller, einst jüngster Minister aller Zeiten, zur Verbraucherzentrale abgehauen. Verlieren die Grünen ihre Talente, weil in Führungspositionen alles dicht ist?

Die zwei haben sehr früh angefangen. Und es muss ja nicht ein Abschied für immer sein.

Sie meinen, Künast, Roth, Bütikofer, Kuhn und Trittin fördern jetzt so eine Schläferkultur? Und am Tag X werden die ganzen Talente reaktiviert?

Nein. Im Übrigen ist das Führungspersonal auch noch gar nicht so alt, wie immer getan wird. In anderen Parteien wären unsere Spitzenleute mit fünfzig ja noch fast die jungen Wilden.

Empfehlen Sie Ihren jungen Wilden, möglichst schnell an die Macht zu kommen, oder sollte erst mal Rot-Grün aufgearbeitet und die Opposition professionalisiert werden?

Wir stehen doch nicht so schlecht da. Die Grünen sind die einzige konzeptionelle Opposition und hauen nicht nur drauf wie Westerwelle und Lafontaine. Und gegen Ideen, wir brauchten noch etwas Zeit in der Opposition, habe ich etwas. Wenn wir den Anschein vermitteln, es sollten lieber noch ein bisschen die anderen regieren, werden wir auch eine schwache Opposition sein.

Antje Vollmer rät der Partei, von unten Vertrauen aufzubauen, statt alte Regierungsprogramme durchzuhalten.

Ich schätze Antje Vollmer, aber da hat sie nicht ganz recht. Wir sollten nüchtern resümieren, wo auch wir in unserer Regierungszeit Fehler gemacht haben. Aber wie sollte jemand Achtung vor einer Partei haben, die nach einer Regierungszeit den Eindruck vermittelt: Haben wir nie gewollt, haben wir nur gemacht, weil wir in der Regierung bleiben wollten.

Wie betreibt eine Partei glaubwürdig Opposition, die Beschlüsse zu Afghanistan oder Hartz IV zusammen mit der Union und der SPD gefasst hat?

Wir haben den Rollenwechsel in Hessen doch auch geschafft. Wir sind mit 7 Prozent aus der Regierung geflogen und haben vom ersten Tag Fehler zugegeben. Bei uns war das die Schulpolitik. Wir haben aber jeden Tag den Willen ausgestrahlt, es selber in der Regierung besser zu machen. Bei der nächsten Wahl hatten wir wieder 10 Prozent.

Sollen die Grünen also doch mit Rot-Grün abrechnen?

Fehler benennen heißt nicht, alles in Frage zu stellen. Die Grünen brauchen keine Generalrevisionen. Die Leute haben ein feines Gespür dafür, wenn eine Partei versucht, ihre eigene Politik rückgängig zu machen. Ich fände eine Partei unglaubwürdig, die sagt: War alles Mist. Staatsbürgerschaftsreform, Energiewende, Nein zum Irakkrieg bis hin zur Krankenversicherung für Sozialhilfeempfänger. Damit sollten wir nicht abrechnen, das können die Grünen sich anrechnen.

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