Grünen-Abgeordnete zu AKK-Vorstoß: „Mehr Fragen als Antworten“
Franziska Brantner hält die Idee einer Schutzzone in Nordsyrien für einen Profilierungsversuch. Sinnvollere Maßnahmen lägen seit Wochen auf dem Tisch.
taz: Frau Brantner, was halten Sie vom Vorschlag der Verteidigungsministerin, einen internationalen Militäreinsatz in Nordsyrien zu starten?
Franziska Brantner: Frau Kramp-Karrenbauer hat mit ihrem Vorschlag alle überrascht. Wir wollen die Zivilbevölkerung in Syrien schützen, darum geht es seit Jahren, und die aktuelle Situation zeigt, wie akut ungelöst diese Frage ist. Es wäre gut, wenn die Zivilbevölkerung im Vordergrund stehen würde, aber das tut sie bei Frau Kramp-Karrenbauer nicht.
Was fehlt Ihnen?
Statt selbstherrlich eine „deutsche Initiative“ zu lancieren, hätte sie sich besser die Mühe gemacht, mit ihrer eigenen Regierung, mit Paris und London eine realistische europäische Antwort zu entwickeln. Sie will sich offenbar vor allem selbst wichtig machen. Und man weiß ja, warum. Aber persönliche Ambitionen in einer Frage von Krieg und Frieden auch nur durchscheinen zu lassen, ist der deutschen Außenpolitik und der Betroffenen in Syrien unwürdig. Zentrale Fragen bleiben in ihrem Vorschlag offen.
Welche denn?
Was ist überhaupt das Ziel dieser Zone? Steht der Schutz der Zivilbevölkerung in Syrien im Vordergrund? Oder geht es um zwei Millionen Flüchtlinge, die aus der Türkei dorthin sollen, was an sich mit Menschenrechten kaum in Einklang zu bringen ist? Was passiert denn dann mit den Leuten, die heute da leben? Was ist die völkerrechtliche Basis? Wer soll das machen? Ehrlich gesagt wirft der Vorschlag mehr Fragen auf, als er Antworten gibt.
Immerhin könnte der Vorschlag die Menschen in den kurdischen Gebieten vor der türkischen Besatzung bewahren. Ist die Richtung nicht richtig?
ist Parlamentarische Geschäftsführerin und Sprecherin für Europapolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen.
Erst mal sollte die Bundesregierung die Instrumente einsetzen, die wir seit Wochen einfordern. Ich spreche von einem wirklichen Rüstungsexportstopp, der Einstellung von Hermes-Bürgschaften, dem Einfrieren von Konten. Ich hätte mir in den letzten Wochen klarere Worte hinsichtlich des Völkerrechtsbruchs der Türkei gewünscht. Da war die Regierung mehr als schwach. Jetzt kriegt man auf einmal diesen Vorschlag – das steht für mich wirklich im Widerspruch.
Glauben Sie denn tatsächlich, dass Erdoğan von Ihrem Instrumentenkasten beeindruckt wäre?
Man müsste es zumindest versuchen. In der Vergangenheit hat die Türkei durchaus auf wirtschaftlichen Druck reagiert. Das gar nicht erst nutzen zu wollen und gleich von einem Einsatz mit 40.000 Soldaten zu sprechen, noch dazu ohne die europäischen Partner zu konsultieren, steht für mich in keinem Verhältnis zueinander.
Kramp-Karrenbauer möchte Russland in ihren Plan miteinbeziehen. Halten Sie das für realistisch?
Gegen Russland wird man in Syrien erst mal nicht agieren können. Die Amerikaner sind mittlerweile abgezogen, der Luftraum ist hauptsächlich in russischer Hand. Wenn man es mit Russland macht, kommen aber noch andere Fragen dazu. Russland hatte vier Schutzzonen errichtet. Drei davon hat sie seither in Schutt und Asche gebombt. Außerdem: Welche völkerrechtliche Grundlage hätte das? Einerseits ein UN-Mandat, andererseits eine Einladung Assads. Wenn man das weiterspinnt, kann die russische Seite am Ende sagen: Wunderbar, die Europäer bekämpfen jetzt Isis, die Türkei ist auch happy und wir machen im Gegenzug Idlib platt.
Idlib ist die letzte Rebellen-Hochburg in Syrien und wird derzeit von syrischen und russischen Truppen angegriffen.
Die Bombardierung von Idlib ist derzeit so hart wie lange nicht. Da gibt es auch eine Zivilbevölkerung, die geschützt werden muss. Man kann nicht mit Russland über die kurdischen Gebiete sprechen und gleichzeitig über Idlib schweigen. Man kann nicht sagen: Die einen schützen wir, bei den anderen drücken wir dafür zehn Augen zu.
Also soll Europa auch in Nordsyrien weiterhin nur zusehen?
Natürlich ist die Situation zum Verzweifeln. Eigentlich hätte Europa schon vor Jahren stärker handeln müssen. Die Menschen vor Ort zahlen einen hohen Preis dafür, dass wir es nicht gemacht haben. Es ist deswegen richtig, nach Antworten zu suchen und zu sagen, dass wir die Region nicht einfach sich selbst überlassen können. Darum haben wir Grüne ja noch mal Vorschläge zu Wirtschaftssanktionen auf den Tisch gelegt. Und es bedarf jetzt intensiver Abstimmungen mit Paris und London. Die Situation kann keinen von uns einfach in Ruhe lassen.
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