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AKKs Nordsyrien-VorstoßSkurriler Vorschlag

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Mit einem UN-Mandat wäre ein internationaler Militäreinsatz in Syrien völkerrechtskonform. Aber es gibt bessere Mittel mit weniger Fragezeichen.

AKK bei Bundeswehrsoldaten und kurdischen Peschmerga im Nordirak Foto: dpa

E s ist sicher nicht alles schlecht am Vorschlag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, einen internationalen Militäreinsatz in Nordsyrien zu starten. In ihren Fernsehinterviews, in denen sie Nation und den Koalitionspartner von ihrem Plan unterrichtete, blieb die CDU-Politikerin zwar vage. Zentrale Fragen lässt sie vorerst unbeantwortet. Einige Punkte, die für ihren Vorstoß sprechen, lassen sich trotzdem herausfiltern.

Erstens: So ein Einsatz böte einen Ausweg für die syrischen Kurden, die derzeit nur wählen können, ob sie ihre Selbstverwaltung von türkischen, syrischen oder russischen Truppen zerschlagen lassen. Zweitens: Sollte Russland in Nordsyrien zur Zusammenarbeit bereit sein, böte sich die Möglichkeit, den Ost-West-Konflikt ein Stück weit zu überwinden und gemeinsam konstruktiv an einer Konfliktlösung zu arbeiten. Und drittens: In diesem Fall wäre sogar ein UN-Mandat und damit eine völkerrechtskonforme Lösung denkbar. Das multilaterale System wäre entgegen dem Trend gestärkt.

Und doch ist Kramp-Karrenbauers Vorschlag im Kern skurril. Anlass für den Vorstoß ist der völkerrechtswidrige Angriff des Nato-Mitglieds Türkei auf die Kurdengebiete, seine Folgen für die Bevölkerung und für den Kampf gegen den IS, der in der Region eigentlich schon entschieden war. Das Gegenrezept der Verteidigungsministerin ist eine internationale Schutzzone in Syrien, die sie im Rahmen der Nato vorantreiben und wohl auch mithilfe von Nato-Soldaten durchsetzen möchte. Das Militärbündnis soll mit hohem Aufwand glattbügeln, was ein Bündnismitglied selbst sehenden Auges angerichtet hat.

Es gäbe innerhalb des Bündnisses auch andere Mittel mit weniger Kosten und weniger Fragezeichen als Kramp-Karrenbauers Schutzzone. Die Nato könnte anfangen, ernsthaft auf den Bündnispartner Türkei einzuwirken und ihn an die vermeintlichen gemeinsamen Werte und an die eigene Verantwortung zu erinnern. Ein erster Schritt wäre es, wenn Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg die türkische Regierung klar zum Rückzug auffordern würde. Bisher äußert er öffentlich nur „Bedenken“ gegen den türkischen Angriff – und betont gleichzeitig, dass die Türkei für das Bündnis unverzichtbar sei.

Die Nato-Mitglieder selbst könnten den Druck erhöhen, indem sie ein striktes Waffenembargo gegen die Türkei verhängen – anstatt nur, wie bisher, neue Antrage auf Rüstungsexporte unbearbeitet zu lassen. Gleichzeitig könnten sie der türkischen Regierung an anderer Stelle sogar entgegenkommen, den türkischen Sorgen vor Angriffen aus Nordsyrien entgegenwirken und Hilfe anbieten – durch Nato-Soldaten auf der türkischen Seite der Grenze.

Hätte die Nato rechtzeitig einen solchen Kurs eingeschlagen, hätte sie den türkischen Präsidentetn Erdoğan möglicherweise vom Einmarsch abhalten können. Die kurdischen Gebiete in Syrien wären noch immer die relativ stabile und relativ demokratische Insel, zu der sie sich in den letzten Jahren entwickelt hatten. Kramp-Karrenbauers Vorschlag wäre gar nicht erst nötig geworden.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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8 Kommentare

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  • AKK muss man nicht mögen, aber es ist gut, dass überhaupt jemand aus der deutschen Regierung den Mund etwas weiter aufmacht als der in doppeltem Sinne schmallippige deutsche Außenminister.

    Ihr Vorstoß mag unrealistisch und sogar "dilettantisch" sein (O-Ton Erdogan auf Maas gemünzt), aber er zwingt die Dauerleisetreter in EU und NATO, sich ihrerseits mindestens die Gedanken über ihr vergangenes und zukünftiges Verhalten zu machen, die der taz-Autor hier erfreulicherweise angestellt und in die Debatte geworfen hat.

    Aber der verlängerte Arm des jeweiligen US-Präsidenten in der Rolle des NATO-Generalsekretärs ist ohne die Anweisungen des sprunghaften aktuellen Amtsinhabers nicht fähig, einen eigenständigen Gedanken zu fassen oder gar zu äußern, geschweige denn, in dieser Situation politisch sinnvoll zu agieren.

  • "Gleichzeitig könnten sie der türkischen Regierung an anderer Stelle sogar entgegenkommen, den türkischen Sorgen vor Angriffen aus Nordsyrien entgegenwirken und Hilfe anbieten – durch Nato-Soldaten auf der türkischen Seite der Grenze." Nun diese türkische Sorge entspringt dem Reich der Fantasie bzw. der gezielten Propaganda. Es gab keinen einzigen kurdischen Angriff von syrischer Seite auf die türkische Grenze weder vor noch nach Kriegsbeginn in Syrien. Ich bezeichne anders als viele Linke die kurdisch selbstverwaltete Region in Nordsyrien sicher nicht als Paradies von Unschuldigen. Dort gab es im Kleinen auch gewalttätige mit Folter und extralegalen Hinrichtungen durchgesetzte als "notwendig" propagierte "Maßnahmen" gegen kurdische Abweichler die ohne ordentliche Gerichtsverhandlung als Kollaborateure der Türkei oder syrischer Geheimdienste bezichtigt wurden - und die Beweisführung wie in Syrien Jahrzehntelang selbst erlebt dann per Folter erfolgte. Oder die Opfer waren ganz einfach in internen Machtkämpfen unterlegen die es offenbar auch bei der Durchsetzung Basisdemokratischer Modelle gibt. Das ist natürlich weder für die Türkei noch für Syrien der Grund Kurden als "Terroristen" zu bekämpfen. Ihnen geht es selten einig darum jede Form von autonomer Selbstregierung auch ohne dass dies ihre Staatsgrenzen in Frage stellt zu unterbinden. Das würde ja Schule machen womöglich auf andere Regionen übergreifen auch nicht kurdische. Ein Basisdemokratisches Modell ist eine Gefahr in einem autoritären Regime das ohne direkten Angriff selbstverständlich allein durch das funktionierende Gegenbeispiel die Diktatur auf nationaler Ebene in Frage stellt und damit bedroht - systemimmanent.

  • Was mir fehlt an dem Kommentar ist die Rolle der USA. Aufgrund deren Rückzug ist ein Vakuum entstanden. Dieses würde jetzt die NATO ausfüllen, wenn dem Vorschlag näher getreten wird.

    Da in dem Kommentar zudem vergossenem Wein nachgeweint wird: Vielleicht hätte man den USA auch Unterstützung für den Einsatz zusagen müssen, wenn man ihn für notwendig hält und sich nicht darauf verlassen dürfen, dass sich die USA kümmert (und bezahlt).

  • Die Türkei könnte doch auf eigenem Staatsgebiet eine 30km-Zone einrichten - das wär doch mal was!

  • Interessante Denkansätze, aber: es ist ja nicht nur ein NATO Mitglied an dem Schlamassel beteiligt, sondern 2.



    Auf der einen Seite die USA, deren glorreicher und gnädiger (Eigenwahrnehmung) Präsident die Truppen hat abziehen lassen und in göttlicher Vorsehung, der Türkei verbot einzumarschieren. Leider hielt Erdogan sich nicht dran.



    Aber glaubt wirklich jemand, die Türkei ist zum "Selbstschutz" in Nordsyrien einmarschiert? Ich kann mir nicht vorstellen dass die Türken ihre Truppen abziehen werden.



    Genau so wenig, wird Russland im Nordsyrien dabei helfen, ihrem Verbündeten Assad mit militärischen Präsenz zu bedrohen.

  • Da Erdogan seit Jahren keinen Hehl aus seinen Plänen macht die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien zu zerstören und eine militärische "Sicherheitszone" einzurichten und in die Türkei geflüchtete syrische Menschen Millionenfach zwangsumzusiedeln, gehe ich davon aus, dass sowohl die NATO Partner als auch die EU Mitglieder das intern längst abgesprochen und sich dafür entschieden haben die Türkei gewähren zu lassen. Beide Bündnisse hätten im Vorfeld längst entsprechende Hebel einsetzen können um die Türkei VOR Kriegsbeginn davon abzuhalten. Wirtschaftliche Sanktionen, Sofortiger Waffenlieferungsstopp, Option auf Ausschluss aus der NATO sollte die Türkei diesen Krieg beginnen etc. Daher stimme ich hier zu. Die UN muss hier gar nicht bemüht werden. Aber man kann mit der UN-Initiative so tun als ob einen plötzlich die seit Jahren von der eigenen Regierung abgeschlachtete, gefolterten "verschwundenen" in Massen hingerichtet und gezielt mit Bomben getötete syrische Zivilbevölkerung interessiere. Denn die UN ist hier rechtlich gar nicht zuständig. Diesmal ist nicht Syrien sondern die Türkei der Agressor, da könnte der UN Sicherheitsrat eine Blauhelmmission in die TÜRKISCHE Grenzregion beschließen um die türkischen Militäroperation zu unterbinden nicht aber in das syrische Staatsgebiet. Aber man kann das einfach mal fordern und so tun als ob man empört und interessiert sei und auf das russische Veto im UN Sicherheitsrat verlassen, das so sicher wie das Amen in der Kirche ist wenn es um Syrien geht.

  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Und doch ist Kramp-Karrenbauers Vorschlag im Kern skurril.""



    ==



    Nicht AKK`s Vorschlag is skurril.

    Erdogan ist skurril der als Nato Partner Waffen aus der Russischen Förderation kauft und mit dem Präsidenten der Russischen Förderation ein abgekartetes Spiel spielt - nämlich die Aufteilung Syriens an die Russische Förderation, an die Iran und an die Türkei - wobei die Kurden - wie Armenier vor 100 Jahren - aussortiert werden. (um es übervorsichtig zu formulieren)

    short und simple: Syrien insgesamt ist ein Tiegel völlig unterschiedlicher Religionen und Ethnien - wenn Erdogan mit seinen ethnischen Säuberungen so weiter macht - wo soll dann dieses Disaster enden?

    Wenn ein NATO Partner mit einem Feind der EU dealt - ohne Absprache mit seinen Bündnispartnern - und die Region zunehmend an allen Ecken und Enden Feuer fängt - dann ist es nicht mehr eine Frage von Skurilität - sondern es ist ein Frage intelligenter Außenpolitik der EU, der Nato und seinen Verbündeten den Hexenkessel daran zu hindern zu explodieren.

    Ansonsten - Danke für den Artikel.

  • Erdogan hätten noch so gutes Zureden durch die NATO oder noch so strenge Embargos davon abgehalten, seinen Traum vom osmanischen Reich zu realisieren. Irgendwie muss er ja von der stetig fallenden Popularität ablenken