Grüne vor der Europawahl: Gerangel um die besten Plätze
Die aktuellen Umfragen der Grünen versprechen der Partei nichts Gutes für die Europawahl. Daher ist die Konkurrenz um die sicheren Listenplätze groß.
2019 holten die Grünen bei der Europawahl ein Traumergebnis: 20,5 Prozent, der höchste Wert, den sie bei einer bundesweiten Wahl bekommen haben. 21 grüne Abgeordnete aus Deutschland zogen ins Europaparlament ein. Von diesen wollen nun 19 wieder antreten. Nur Ex-Spitzenkandidatin Ska Keller hat angekündigt, sich verändern zu wollen, das Amt als Fraktionschefin hat sie schon im vergangenen Jahr abgegeben. Und Reinhard Bütikofer, ehemaliger Parteichef und das, was man gerne grünes Urgestein nennt, wird aus Altersgründen nicht noch einmal kandidieren. Das macht zwar Spitzenplätze frei, doch allen ist klar: Die Lage ist nicht so rosig wie 2019.
Die Grünen haben bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen deutlich verloren, in der Bundesregierung stehen sie unter Druck, in bundesweiten Umfragen liegen sie bei um die 15 Prozent. Bei der Europawahl im Mai 2024 würde das 15 Abgeordnete bedeuten – also sechs weniger als derzeit.
Ab Platz 2 beginnt das Gedränge
Anna Peters ist eine der wenigen, von denen es parteiintern heißt, sie könnte es als Newcomerin schaffen. Peters ist 27, Ökonomin mit Schwerpunkt geschlechtergerechte Finanzpolitik. „Als ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend weiß ich sie hinter mir und mit einer Nominierung vom Landesverband Baden-Württemberg sind die Chancen auf einen aussichtsreichen Listenplatz gut“, sagt Peters. Ansonsten wird das Rennen vor allem unter denen ausgemacht, die bereits im Europaparlament sitzen.
Als sicher gilt nur: Terry Reintke, 36, Parteilinke aus Gelsenkirchen, kandidiert konkurrenzlos auf Platz eins und soll Spitzenkandidatin werden. Reintke hat bereits im vergangenen Jahr den Fraktionsvorsitz von Ska Keller übernommen. Sie steht für feministische Sozialpolitik und proeuropäisches Engagement. Die größte mediale Aufmerksamkeit aber hat ihr das Engagement in der #MeToo-Debatte beschert: Das Time Magazine hat sie als „Person of the Year“ ausgezeichnet, weil sie das Thema nach Brüssel gebracht hat. Reintke könnte auch Spitzenkandidatin der europäischen Grünen werden, das aber wird erst 2024 entschieden.
Ab Platz zwei geht das Gedränge los. Sergey Lagodinsky macht keinen Hehl daraus, dass er diesen Listenplatz will. „Mein Angebot für die Kandidatur auf Platz zwei steht“, sagt der Außenpolitiker der taz. „Ich freue mich auf eine demokratische Entscheidung des Parteitags.“ Eine Gegenkandidatur wird von Energie- und Klimapolitiker Michael Bloss erwartet, der auf Nachfrage nur sagt: „Es ist ja nichts Schlimmes, wenn es zwei Kandidaten mit unterschiedlichen Profilen gibt.“
Die haben Lagodinsky und Bloss auf jeden Fall: Bloss, Parteilinker aus Baden-Württemberg, steht für das grüne Kernthema, Lagodinsky, dem Berliner Realo mit russisch-jüdischer Herkunft, könnte die augenblickliche Weltlage in die Hände spielen.
„Niemand kratzt sich die Augen aus“
Auf Platz drei, wieder ein Frauenplatz, wird es wohl einen Zweikampf geben zwischen der Berliner Realo-Außenpolitikerin Hannah Neumann und der Parteilinken Anna Cavazzini aus Sachsen, die Vorsitzende des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz ist. Parteiintern werden den jeweils Unterlegenen auf Platz zwei und drei sehr gute Chancen auf vier und fünf eingeräumt.
Ab dann wird es eng. So sehen das auch die, die gern einen der folgenden Listenplätze hätten. „Ich gehe davon aus, dass es auch schon unter den ersten zehn, zwölf Plätzen einen regen Wettbewerb gibt“, sagt etwa Daniel Freund, Realo aus Aachen. Er setzt auf die Bedeutung seiner Themen, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Europa – und auf die Nominierung vom Landesverband NRW. Einer seiner Konkurrenten könnte Rasmus Andresen werden, Parteilinker aus Schleswig-Holstein und bisher Sprecher der deutschen grünen Gruppe. „Wir haben viele starke Kandidierende und die Konkurrenz ist groß“, sagt Andresen.
Für die sicheren Plätze werden auch unter anderem die Klimaexpertin Jutta Paulus und die Sozial- und Inklusionspolitikerin Katrin Langensiepen gehandelt sowie Landwirtschaftspolitiker Martin Häusling und Flüchtlingsexperte Erik Marquardt.
„Hier kratzt sich aber niemand die Augen aus“, sagt Andresen. Es werde gerade „auf vielen Ebenen miteinander Kaffee getrunken“. Soll heißen: Man versucht, sich irgendwie zu einigen. Mit der Bundesspitze, unter den Landesvorsitzenden, zwischen den Flügeln. Und natürlich auch zwischen den Abgeordneten selbst. Trotzdem gehen alle davon aus, dass es ab Listenplatz zwei fast immer mindestens zwei Kandidaturen geben wird. 40 Listenplätze sollen besetzt werden. Das kann also dauern, beim grünen Parteitag in Karlsruhe.
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