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Grüne vor der BundestagswahlAuf Distanz zu Jamaika

Eineinhalb Wochen vor der Wahl: Die Grünen-Spitze signalisiert, dass sie die Bündnisoption mit Union und FDP für problematisch hält.

Vor allem an der FDP stören sich die Grünen Foto: imago/blickwinkel

Berlin taz | Eigentlich möchten sich die Grünen alle Machtoptionen offen halten. Mit wem wird nach der Wahl regiert? Die Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir werben für Eigenständigkeit, würden selbstverständlich auch mit Konservativen über Bündnisse sprechen und betonen im Moment stets, der Kampf um Platz 3 entscheide über den Kurs des Landes. Mit Merkels Union, heißt das übersetzt, würde man sehr gerne regieren.

Doch nun, eineinhalb Wochen vor der Wahl, signalisiert die Grünen-Spitze, dass sie zumindest eine Bündnisoption für hochproblematisch hält: den Schulterschluss mit CDU, CSU und FDP, kurz: Jamaika. Am Sonntag findet in Berlin ein Länderrat statt, die Grünen wollen sich Mut für den Endspurt machen. Und der Bundesvorstand formuliert in einem Antrag ungewöhnlich scharfe Kritik an Union und FDP.

„Eine Neuauflage von Schwarz-Gelb bedeutet sozialen und ökologischen Rückschritt“, heißt es in dem Papier, das am Mittwochabend ins Netz gestellt wurde. Die Koalition zwischen 2009 und 2013 sei die schlechteste Koalition der letzten Jahrzehnte gewesen. Fast eine Seite lang arbeiten sich die Spitzengrünen dann an der FDP und an Schwarz-Gelb ab. Sie deklinieren die zahlreichen Themen durch, bei denen die Parteien weit auseinander liegen.

Mit FDP und Schwarz-Gelb verfehle Deutschland seine Klimaschutzziele, werde der Verbrennungsmotor unter Bestandsschutz gestellt und würde sich die europäische Spaltung vertiefen, schreibt die Grünen-Spitze. Zwar fällt nirgends das Wort „Jamaika-Bündnis“, die offizielle Strategie der Eigenständigkeit wird nicht angetastet. Dennoch signalisiere der Antrag, wie groß die Zweifel seien, den Steigbügelhalter für Union und FDP zu spielen, heißt es im Bundesvorstand. Dass der Antrag angenommen wird, ist so gut wie sicher.

Özdemir und Göring-Eckardt haben in den vergangenen Tagen deutlicher Zweifel an der Jamaika-Option formuliert als zu Beginn des Wahlkampfes. Für diese Koalition fehle ihnen jegliche Phantasie, heißt es unisono, hinter dem modernen Image Christian Lindners stecke die alte FDP. Freidemokraten negierten die Klimakrise, für sie seien Windräder die Hauptgegner, sie würden die EU mit Ideen wie einem Austrittsrecht für einzelne EU-Staaten in eine neue Krise treiben.

Jamaika, so die Botschaft der Spitzengrünen, hätte wegen riesiger Differenzen kaum eine Chance. Mit dem Antrag für den Länderrat verstärken die Grünen diese Botschaft noch, die grüne Wählermilieus mobilisieren soll. Eines wird in der Ökopartei allerdings von keinem bestritten: Wenn das Wahlergebnis nur eine Große Koalition oder ein Jamaika-Bündnis zulässt, wie es sich in Umfragen andeutet, dann würden die Grünen diese Option ernsthaft verhandeln. Alles andere sei nicht vermittelbar und würde als Flucht vor Verantwortung gedeutet, heißt es.

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10 Kommentare

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  • Im Text steht: "Wir sind bereit, nach der Bundestagswahl mit allen Parteien außer der AfD zu verhandeln."

     

    Das ist eine Absage an Schwarz-Gelb, aber nicht an Jamaika.

  • ...alles nur Geschwätz vor der Wahl. Die Grünen können nur überleben, wenn sie Teil der Regierung werden, in der Opposition werden sie veschwinden - und das zu recht.....

  • Wenn es im Text heisst, die Freidemokraten von der FDP würden die EU mit Ideen wie einem Austrittsrecht für einzelne EU-Staaten in eine neue Krise treiben, kann das nicht stimmen, denn ein solches Recht gibt es bereits, sonst könnten die Briten nicht austreten (Stichwort BREXIT). Gemeint ist wahrscheinlich, einzelne Länder der Eurozone auch gegen deren Willen aus dem Euro zu drängen.

  • Phantasien

     

    Zitat: „Für diese Koalition fehle ihnen jegliche Phantasie, heißt es unisono.“

     

    Für die Kosovo-Politik der Grünen 1998 und deren spätere Rußland-Politik (was im Grunde dasselbe ist), hatte ihren Anhängern zuvor auch die Phantasie gefehlt, d. h. man konnte es sich angesichts der pazifistischen Tradition dieser Partei im Traume nicht vorstellen. Allein diese Beispiele aus ihrer Parteiengeschichte mögen belegen, wie schnell seit langem bei den (Oliv)Grünen Phantasien wahr werden können...

  • Ich finde, es ist eine Frechheit mancher Parteien gegenüber den Wählern, wenn sie bereits Wochen vor dem Wahltermin meinen, sie könnten künftige Koalitionen festklopfen.

    Gleiches gilt für das Bestreben, bestimmte Koalitionen von vornherein in Grund und Boden zu verdammen, wie dies im Beitrag nachzulesen ist.

     

    Was aber tun, wenn das Wahlergebnis nichts anderes hergibt als z. B. „Jamaika“? Wie würden die Grünen die Wählermeinung dann respektieren? Doch nur, indem sie sich nicht mehr für ihr „Geschwätz von gestern“ interessieren! Was natürlich viel Sympathie kosten würde.

     

    Ich finde, jede Partei sollte erst mal für sich selbst die Mehrheit anstreben. Dazu braucht es „nur“ ein Programm, das mehr als nur die eigenen Anhänger überzeugt. Erst wenn die Mehrheit nicht erreicht wurde, wäre zu überlegen, welche Koalitionsvarianten überhaupt Betracht kommen und anzustreben sind, oder ob Opposition die bessere Alternative ist. Koalitionen verlangen oft ein Abgehen von der eigenen „reinen Lehre“ und sind damit immer nur ein Plan B.

  • 3G
    38071 (Profil gelöscht)

    Ach die Grünen suchen nur ein paar dumme Wähler, die immer noch nicht begriffen haben, dass sie alles mitmachen. Nur zur Erinnerung. schwarz-Grün ist 2013 nicht am Willen der grünen, sondern der Union, insb. der CSU, gescheitert.

    • @38071 (Profil gelöscht):

      Im Gespräch mit Özdemir bei Anne Will offenbarte Schäuble, dass die Union inklusive Seehofer 2013 zu einer rot-grünen Koalition bereit war, diese aber an Trittin scheiterte. Wenn Sie eine Fortsetzung der großen Koalition vorziehen, dass sollten Sie sich die Entwicklung in Österreich ansehen. Der Überdruss an der großen Koalition führt zum Erstarken der Rechtspopulisten. Wollen Sie das?

  • Der Antrag der grünen Parteispitze ist doch rein taktischer Natur. Wenn Jamaika nach den Wahlen rechnerisch möglich ist, werden die Parteirechten an der Spitze das auch tun. Zum ersten Mal hoffe ich, dass diese mittlerweile sehr opportunistische Partei sich außerparlamentarisch regenerieren darf.

  • Wenn also das wahrscheinlichste Wahlergebnis eintritt, teilen sich die GrünInnen lieber den Inhalt der Futtertröge mit CDU/CSU und FDP, als ihn noch einmal den Großkoalitionären zu überlassen.

    Wer's mag ...

  • Anders formuliert: Die Vorbehalte sind rein taktischer Natur; - man versichert sich der Parteibasis.

    Wer würde nach alldem noch glauben, dass die jämmerlichen Gestalten an der Partei-

    spitze nicht alles mitmachen würden ?