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Grüne vor Bürgerschaftswahl in HamburgSieger werden Verlierer sein

Die Grünen wollten stärkste Partei werden und die Bürgermeisterin stellen. Obwohl sie deutlich zulegen könnten, gelingt das wohl nicht.

Realpolitisch bis zum Anschlag: Grünen Spitzenkandidatin in Hamburg Katharina Fegebank Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Am Sonntag wird Katharina Fegebank wohl vor einem Problem stehen. Wenn die Wahllokale geschlossen, die ersten Prognosen verkündet sind, wird die Spitzenkandidatin der Hamburger Grünen vor die Mikrofone der verschiedenen Sender treten. Behalten die Umfragen recht, werden die Grünen ihr Ergebnis der letzten Bürgerschaftswahl zwar von 12,3 auf etwa 25 Prozent verdoppelt haben und erstmals zweitstärkste Partei in Hamburg sein, vor der CDU.

Doch der 42-jährigen Politikerin werden Fragen gestellt werden, als hätte sie gerade eine verheerende Niederlage eingefahren: „Warum sind Sie daran gescheitert, Peter Tschentscher als Bürgermeister abzulösen? Warum liegen die Grünen so weit hinter der SPD? Ist die Hochphase der Grünen endgültig vorbei?“ Statt den Wahltriumph zu genießen, wird Fegebank eine gefühlte Schlappe erklären müssen.

Nach den Hamburger Bezirkswahlen im vergangenen Jahr, aus der die Grünen noch vor der SPD als stärkste Partei hervorgingen, nach zahlreichen Bürgerschaftsumfragen, bei der Grüne und SPD gleichauf lagen, warf Fegebank ihren Hut in den Ring und machte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) eine Kampfansage: Ich will dir das Amt abnehmen! Seitdem liegt die Latte für den Wahlerfolg der Grünen hoch.

Der Hamburger Wahlkampf hat sich ganz auf die Frage Fegebank oder Tschentscher – wer wird BürgermeisterIn? – zugespitzt und die Grünen ihren Wahlkampf ganz auf ihre Frontfrau. Kein grünes Plakat am Straßenrand kommt ohne Fegebanks Konterfei und das Motto aus: „Erste Frau, erste Grüne, erste Wahl.“

Das Rennen scheint gelaufen

Katherina Fegebank, die ihre politischen WeggefährtInnen nur „Katha“ nennen, hat intern selbst oft davor gewarnt, das grüne Umfragehoch zu ernst zu nehmen. Viel zu schnell würden Trends und Stimmungen umschlagen. Nun ist es so gekommen. Nach dem Erfurter Eklat liegt die SPD in den Umfragen 12 Prozentpunkte vor den Grünen. Das Rennen scheint gelaufen.

Dass die Grünen in Hamburg noch immer so gut dastehen, liegt daran, dass sie in der rot-grünen Koalition zwar der kleinere, aber oft aktivere Partner waren. Realpolitisch bis zum Anschlag. Im Herbst legten sie ein Verkehrskonzept für eine autofreie Innenstadt vor, das die SPD-geführte Verkehrsbehörde inzwischen weitgehend abgeschrieben hat. Kurz darauf trieben die Grünen ihren großen Partner zu einem Klimaschutzgesetz, das auch die meisten Umweltverbände loben.

Dafür hat die Partei sich bei ihrer eher linken WählerInnenschaft auch Sympathien verscherzt. Beim Hamburger G20-Gipfel spielten sie eine eher unrühmliche Rolle. Grüne Themen wie die Herabstufung der Demo-Vermummung von der Straftat zur Ordnungswidrigkeit ließ die Partei im Wahlkampf fallen, weil sie damit bei möglichen Koali­tionspartnern aneckte.

Stimmen kosten wird die Grünen auch, dass sie ihren Bezirkswahlerfolg so schrecklich vergurkten. In vier von sieben Hamburger Bezirken wurden sie 2019 stärkste Kraft, hätten den oder die BezirksamtschefIn stellen dürfen. Zweimal scheiterten sie. In Eimsbüttel versuchten sie eine Koalition nicht mit der SPD, sondern mit der CDU, die ihre Fraktion nicht geschlossen hinter die grüne Bezirksamtskandidatin brachte. Die Folge: Den Grünen fehlte mehrfach eine Stimme, um die Bezirkschefin zu stellen.

Noch schlimmer lief es in Hamburg-Mitte, wo die Grünen ihren überraschendsten Wahlerfolg feierten. Schon vor der Fraktionsbildung überzog der grüne Landesvorstand zwei ihrer Kandidaten mit kaum hinterlegten Islamismusvorwürfen und schloss sie aus der Fraktion aus, woraufhin diese sich spaltete und sechs der grünen Abgeordneten in die SPD wechselten. Heute sitzt der grüne Wahlsieger mit gerupftem Team auf der Oppositionsbank.

Die Islamismusvorwürfe bestätigten sich zum Großteil nicht, die beiden LandesvorständlerInnen, die den Stein ins Rollen gebracht hatten, wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Bei ihrer Wahlkandidatur wurde die Sache schlicht totgeschwiegen.

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3 Kommentare

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  • In Hamburg 2020 Bürgermeisterin stellen zu wollen, war wohl eher Kampfansage Grüne gen Linke als gen SPD Bürgermeister Peter Tschentscher, Linke in Bürgerschaftswahlkampf der Bürgermeister Giganten nahe 5 % zu drücken?



    Noch vor Grünen denkt SPD Bürgermeister Tschentscher durch Cum Ex aufgedeckte Desaster der SPD Senatoren Nähe zur HSB Trinkhaus Warburg Gruppe in die Enge getrieben darüber nach, Warburg um Steuergeheimnis Aufhebung zu bitten, statt, trotz Anfangsverdacht auf Steuerbetrug Hausdurchsuchung zu veranlassen, ohne dass Grüne beklagen, dass Steuerbetrug in Deutschland kein Offizialdelikt ist, das automatisch Anklage auslöst, unabhängig davon, dass Staatsanwalt, Steuerbehörde in bei uns nachwievor politisch weisungsgebunden sind. Dazu kommt, dass es bei uns kein Unternehmensstrafrecht gibt, Firmen als Rechtsperson anzuklagen.

    Dass Katharina Fegebank diese fehlende Klagemöglichkeit bei Unternehmen, angesichts Gesetzesinitiative SPD Justizministerin Lambrecht 2019 für ein Unternehmensstrafrecht, nicht politisch in Debatte um Cum Ex einführt, lässt nichts Gutes ahnen, außer man tut es.

    Auch dass Grüne als Regierungspartei ohne Trennschärfe zum Koalitionspartner SPD, 2016 auf Hamburgs Regierungsbank 2016 nicht Option auf Zugriff der 47 Millionen einfordern, indem durch Klageerhebung Verjährungsfrist unterbrochen wird, die jederzeit zurückgenommen werden könnte, zeigt wie unsolidarisch der HH Senat SPD, Grüne damals gegenüber Länderfinanzausgleich handeln.



    Denn ausgerechnet 2016 war Hamburg, nicht zuletzt aufgrund Belastung durch HSH Nordbank Schieflage in Milliarden Höhe, vom Geber-, mit 83 Millionen €, zum Nehmerland zulasten anderer Länder geworden.

    Wer Straffreiheit Kultur für Unternehmen in Deutschland, mangels fehlender Klagemöglichkeit u. a. , angesichts Klimaschutz Vergehen, beenden will, kann das hier tun

    weact.campact.de/p...frecht-einzufuhren

  • Und wenn die letzte Autobahn stillgelegt ist und auch das letzte Auto verschrottet wurde, die letzte Fabrik geschlossen, der letzte kapitalistische Supermarkt seine Tore schließen mußte und es weder Kohle- noch Gaskraftwerke gibt, werdet ihr festellen, daß in Deutschland die Früchte nicht auf Bäumen wachsen und es im Winter ganz schön kalt ist.

  • Da fehlt doch was, die verschenkten Millionen, kein Sterbenswort dazu. Ist das bei der taz nicht bekannt? ich wäre mit einem Zehntausendstel, also 0,01 % zufrieden. Mit so viel über der 5%-Hürde würde die FDP sicher auch zufrieden sein.