Grüne und Gewerkschaften: Plötzlich Seite an Seite

Die Ökopartei knüpft neue Allianzen mit DGB, IG Metall und Ver.di. Dahinter stecken handfeste Interessen – auf beiden Seiten.

DGB-Chef Hoffmann und die Grünen-Vorsitzende Baerbock

DGB-Chef Hoffmann und die Grünen-Vorsitzende Baerbock 2018 nach einem Treffen Foto: dpa

BERLIN taz | Der Mann, der im Foyer des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Mikrofon steht, klingt wie ein überzeugter Gewerkschafter. In einer zerfasernden Arbeitslandschaft gerate die Sozialpartnerschaft unter Druck, sagt er. „Das ist schlecht, das ist falsch.“ Er bekenne sich zu notwendigen Korrekturen, etwa einer stärkeren Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Hinter ihm stehen Schlagwörter an einer hellblauen Wand. Gerechtigkeit, Arbeit, Solidarität.

Es spricht: Robert Habeck, der Parteivorsitzende der Grünen. Neben ihm steht DGB-Chef Reiner Hoffmann und wirkt recht zufrieden. Wenig später sagt der Gewerkschafter Sätze, die auch aus dem Mund des Grünen kommen könnten. Die Union, schimpft Hoffmann, dürfe beim Klimaschutzgesetz „nicht weiter mit beiden Füßen auf der Bremse“ stehen. Zwischen Habeck und Hoffmann, so die nonverbale Botschaft, passt kein Blatt Papier.

Die Grünen und die Gewerkschaften haben sich angenähert, auch jenseits des Treffens von DGB-Vorstand und Grünen-Vorstand am Dienstag, über das Habeck und Hoffmann anschließend die Presse informieren. Die Allianz ist bemerkenswert, schließlich gelten die Gewerkschaften traditionell als SPD-nah. Und die Ökopartei kämpft bis heute gegen das Image, eine Partei für Besserverdiener zu sein, die sich locker ein E-Auto und den Einkauf im Bio-Supermarkt leisten können. Damit soll nun Schluss sein.

„Ich nehme in Anspruch, dass sowohl die Parteien als auch die Gewerkschaften lernende Organisationen sind“, sagt Hoffmann auf die Frage, ob da etwas gewachsen sei zwischen DGB und Grünen. Der DGB sei parteipolitisch unabhängig, aber politisch nicht neutral. Man habe sich den Grünen „in den letzten Jahren signifikant angenähert“, man höre sich zu, habe ein Interesse an einer gemeinsamen Perspektive, auch wenn es kontroverse Diskussionen gebe.

Hofreiter will „strategische Partnerschaften“

Hinter dem grünen Arbeiterfrühling stecken handfeste Interessen, auch wenn Habeck bescheiden von einer „normalen Arbeitsbeziehung“ spricht. Die Grünen möchten raus aus der Öko-Nische und Wähler jenseits ihrer Kernklientel ansprechen. Und sie haben erkannt, dass sich mehr Ökologie nur mit engagierter Sozialpolitik durchsetzen lässt – siehe die Gelbwesten-Proteste in Frankreich, die sich auch gegen höhere Spritsteuern richten.

„Wenn wir die Gesellschaft ökologisch und sozial umbauen wollen, brauchen wir strategische Partnerschaften“, sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. „Deshalb sind die Gewerkschaften für uns wichtige Ansprechpartner.“ Die Beziehungen seien eng, vertrauensvoll und belastbar.

Führende Grüne wissen: Um die SPD als führende Kraft der linken Mitte abzulösen, muss das Klischee der Öko-FDP weg. Die Parteivorsitzenden Habeck und Annalena Baerbock, seit gut einem Jahr im Amt, schieben deshalb gezielt die Sozialpolitik nach vorn. Sie wollen Hartz IV durch eine sanktionsfreie Grundsicherung ersetzen, werben für eine Kindergrundsicherung und eine Garantierente. Wo eine CO2-Steuer für mehr Klimaschutz Ärmere belastet, soll ein Energiegeld ausgleichend wirken.

Gleichzeitig muten sie den Menschen mit ihren ökologischen Reformen einiges zu. „Die Energiewende, die Verkehrswende, die Agrarwende – und irgendeine Wende habe ich bestimmt noch vergessen“, so formulierte es Grünen-Mitglied Klaus Müller, der Chef der Verbraucherzentralen, neulich im taz-Interview. Und mahnte: Man könne eine Gesellschaft auch überfordern.

Enge Kooperation, keine Pflichttermine

Die Gewerkschaften wiederum wissen, dass sie um die Grünen nicht mehr herumkommen – angesichts von 20 Prozent in Umfragen und starken Erfolgen in den Ländern. Die SPD ist erkennbar koalitionsmüde und die Ökopartei macht keinen Hehl daraus, beim nächsten Mal mitregieren zu wollen. Man beobachte bei internen Nachwahlanalysen zwei Trends, heißt es in der IG Metall. Ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder wandere zur AfD ab, viele Hochqualifizierte gingen wiederum zu den Grünen. Die klassische SPD-Bindung bröckelt auch hier.

Natürlich sind Gespräche zwischen Grünen und Gewerkschaften nicht neu. Aber vor Jahren sei es eher um „Pflichttermine“ gegangen, sagt ein IG-Metaller. Nun gebe es eine enge Kooperation. Besonders die Jamaika-Verhandlungen nach der Bundestagswahl 2017 brachten eine neue Qualität. Für die Gewerkschaften waren plötzlich die Grünen die wichtigsten Ansprechpartner, die sich um ihre Themen kümmerten – anders als Union und FDP. Die Grünen hätten GewerkschafterInnen damals intensiv mit einbezogen, sagt ein Verdi-Stratege. „Da ist Vertrauen gewachsen.“

Die Grünen-Fraktion fördert gezielt den Austausch. Sie widmet sich in Zukunftslaboren gesellschaftlichen Großthemen – und lädt dazu auswärtige ExpertInnen ein. Ende Januar traf sich eine kleine Runde unter Leitung von Hofreiter, um darüber zu sprechen, wie die sozialökologische Transformation gelingen kann – mit von der Partie waren auch IG-Metall-Chef Jörg Hofmann und DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, selbst Grünen-Mitglied. Vor einigen Wochen sprachen IG-Metall-Betriebsräte vertraulich mit hochrangigen Leuten aus der Fraktion. Die Fraktion möchte zudem bald einen Gewerkschaftsbeirat einrichten. In ihm säßen prominente Gewerkschafter, die die Abgeordneten beraten würden. Einen mit UnternehmerInnen und ExpertInnen besetzten Wirtschaftsbeirat gibt es bereits.

Auch die Parteispitze fragt gezielt Spitzengewerkschafter an. Zu ihrem ersten Bundesparteitag als Parteichefs in Leipzig im November luden Habeck und Baerbock den IG-Metaller Hofmann ein, der die Beschäftigten der Autobranche vertritt. Er lobte das Engagement der Grünen gegen Nationalismus, betonte Gemeinsamkeiten, etwa beim Ziel der Elektromobilität, mahnte aber auch, die Jobs bei Klimaschutzanstrengungen nicht zu vergessen.

Vertrauliche Anfrage des IG-Metall-Chefs

Die IG Metall knüpft ihrerseits bewusst Kontakte. Vor gut einem Jahr wechselte Ralph Obermauer von der Ökopartei in die Grundsatzabteilung der Metallgewerkschaft. Obermauer arbeitete früher in den Büros von Rezzo Schlauch und Jürgen Trittin – und ist bei den Grünen bestens vernetzt. Wie ein Dolmetscher erklärt er jetzt beiden Seiten die unterschiedlichen Sichten.

Der Wechsel kam zustande, weil Hofmann vertraulich bei Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner angefragt hatte, ob es nicht einen kundigen Grünen mit Interesse an Gewerkschaftsarbeit gebe. Man habe da eine Stelle frei.

Natürlich herrscht nicht nur eitel Sonnenschein zwischen Grünen und Gewerkschaften. Beim Kohleausstieg gibt es unterschiedliche Positionen, bei der Frage, wie die Autoindustrie umgebaut werden soll, sowieso. Und die Vorstellungen der IG Bergbau Chemie Energie, die die Beschäftigen des Chemiekonzerns Bayer vertritt, sind himmelweit von den grünen Plänen für mehr ökologische Landwirtschaft entfernt.

Habeck sagt im DGB-Foyer selbst: Es sei „naiv“ zu glauben, dass es keine Probleme mehr zu lösen gebe. Aber Wohlstand und Klimaschutz als Gegensatz zu begreifen, wie es Unions-Politiker wie Peter Altmaier täten, sei ein „intellektueller Rückfall in die 70er Jahre“. Von keinem der Gewerkschafter habe er eine solche Position gehört, betont er nach dem Treffen der Vorstände von Grünen und DGB. Hoffmann nickt.

Das Prinzip der Tarifbindung schließe ausdrücklich auch die ökologischen Branchen ein, sagt Habeck, etwa Ökostrom-Produzenten, Biosupermärkte oder neue Formen der Mobilität. „Super, wenn die auf dem Weg sind, die Welt ökologisch zu machen – aber nicht auf Kosten der Sozialpartnerschaft in Deutschland.“

Der DGB-Chef muss da nichts mehr ergänzen.

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