Grüne über Einwanderungsgesetz: „Verbesserungen wären für die Katz“
Filiz Polat kritisiert nicht nur die Verzögerung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Die Union wolle den Kompromiss zudem komplett aushebeln.
Frau Polat, eigentlich sollte der Bundestag noch im März über das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz debattieren. Jetzt sieht es danach nicht mehr aus – warum?
Filiz Polat: Die Union setzt ihrem Koalitionspartner SPD die Pistole auf die Brust. Sie schieben ein weiteres Gesetz in die Pipeline, um den ohnehin unzureichenden Kompromiss in Sachen Spurwechsel komplett auszuhebeln. Dieses Gesetz will die Union an das Fachkräfteeinwanderungsgesetz koppeln – und die SPD hat sich dieses Geschäft aufdrücken lassen.
Sie meinen das Geordnete-Rückkehr-Gesetz, an dem das Bundesinnenministerium derzeit arbeitet?
Wir nennen es das „Menschen-ohne-Rechte-Gesetz“. Es wird beispielsweise ein neuer Status geschaffen, eine „Duldung Light“. Die Folge ist die Aushöhlung des Rechtsschutzes für Menschen, die ausreisepflichtig sind, aber aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können, und die Ausweitung von Arbeitsverboten für diese Personen. So wird verhindert, dass ein Anspruch auf Beschäftigungsduldung überhaupt entstehen kann.
Das eine Gesetz konterkariert also das andere?
Ja, und es ist auch ein Schlag ins Gesicht für die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft, die, wie von der Politik gefordert, Geflüchteten Perspektiven, Jobs und Ausbildungen gegeben und sie in die Betriebe integriert haben. Wenn die Gesetze so kommen, werden noch mehr Abschiebungen von der Werk- oder Schulbank die Konsequenz sein.
Wie lange wird sich das Gesetzgebungsverfahren durch diese Kopplung voraussichtlich hinziehen?
Das „Menschen-ohne-Rechte-Gesetz“ soll voraussichtlich am 17. April Thema im Kabinett sein. Für das Fachkräfteeinwanderungsgesetz würde das eine Verzögerung um mindestens zwei Monate bedeuten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob das Paket überhaupt vor der Sommerpause eingebracht werden kann; das Bundesjustizministerium hat Bedenken angemeldet, ebenso die Bundesbeauftragte für Migration, Annette Widmann-Mauz von der CDU. Das ist ärgerlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die SPD im vergangenen Jahr schon den unsäglichen Grenzkontrollen zugestimmt hat, wenn noch im Jahr 2018 ein Einwanderungsgesetz kommt.
Wer ist die treibende Kraft hinter der Verzögerung?
An der Spitze stehen die CSU und das Bundesinnenministerium, aber auch die Innenpolitiker der Union gehen vorneweg – und sie finden leider eine breite Unterstützung in der Fraktion. Das wurde bei dem Werkstattgespräch unter Federführung der neuen CDU-Bundesvorsitzenden offensichtlich.
Die Unternehmen hingegen drängen auf eine rasche Vereinfachung der Arbeitsmigration.
Ja. Da gibt es ein breites Bündnis aus Unternehmen, Kommunen, Gewerkschaften und zivilgesellschaftlichen Organisationen, mit den Wohlfahrtsverbänden und den Kirchen an der Spitze. Auch eine aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zeigt: Die Mehrheit in Deutschland wünscht sich eine Perspektive für die Geflüchteten, die schon hier sind. Die Union und Innenminister Horst Seehofer sehen das nicht, stattdessen rennen sie einer Minderheit hinterher und vergiften das Klima in Deutschland.
Die über den Fachkräftemangel klagenden Unternehmer sind doch eine relevante Wählerklientel der Union, oder?
Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitiker sowohl bei Union als auch bei SPD haben offenbar nicht verstanden, dass diese Gesetze sich direkt gegenseitig beeinflussen. Sie hoffen zwar, dass man den vorliegenden Entwurf zur Fachkräfteeinwanderung im parlamentarischen Verfahren verbessern könnte. Wenn dieser aber an das „Menschen-ohne-Rechte-Gesetz“ in seiner jetzigen Form gekoppelt wird, wären jegliche Verbesserungen für die Katz.
Was für ein Gesetz müsste es denn aus Ihrer Sicht geben?
Wir Grünen fordern ein offenes und unbürokratisches Einwanderungssystem und parallel die Schaffung legaler Fluchtwege. Dann lösen wir die Probleme, die wir ja zu Recht beklagen: den Fachkräftemangel, die die Krise des Flüchtlingsschutzes. Und wir entziehen Schlepperbanden die Grundlage.
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