Grüne in Österreichs Regierung: Hoher Preis für den Klimaschutz
Haben sich Österreichs Grüne verkauft? Nein, nüchtern betrachtet haben sie mit der Koalition das Maximum herausgeholt.
E ine „ordentliche Mitte-rechts-Politik“ hatte Sebastian Kurz seinen Wählern versprochen. Dafür erhielt er immerhin 37 Prozent bei den Wahlen vom September. Die Grünen, so Kurz, seien für den Klimaschutz gewählt worden. Den bekommen sie in der neuen türkis-grünen Koalition auch. Aber sie müssen ihn teuer bezahlen. Als ginge es nicht um eine Überlebensfrage der Menschheit, die auch den Konservativen am Herzen liegen müsste.
Die zuvor mit der FPÖ vorexerzierte Sicherheits- und Migrationspolitik wird fast unverändert ins neue Koalitionsabkommen mit den Grünen übernommen. Auch wenn Einwände nicht nur ideologisch motiviert, sondern wissenschaftlich untermauert sein mögen. Das gilt auch für das Nulldefizit (auch bekannt als schwarze Null), das deutsche Wirtschaftsweise längst als Unfug ablehnen. Sebastian Kurz weiß, was er seiner Wählerschaft schuldig ist. Schließlich will er auch diejenigen an seine Partei binden, die nach der Ibiza-Affäre und den Spendenskandalen von der FPÖ abgewandert sind.
In den sozialen Medien erheben sich noch vor Veröffentlichung des Koalitionspakts Stimmen, die den Grünen Verrat an ihren Idealen vorwerfen. Haben sie sich nicht bisher kompromisslos für Menschenrechte starkgemacht? Hat nicht Grünen-Chef Werner Kogler einst Pläne für eine präventive „Sicherungshaft“ für sogenannte Gefährder als verfassungswidrig verdammt? Und jetzt muss er seinen Segen dazu geben.
Sieht man es nüchtern, so haben die Grünen gegen einen fast dreimal so großen, mit allen Tricks des Machtspiels vertrauten Partner – oder Gegner? – das Maximum herausgeholt. Neben dem Klimaschutz ist das ein Transparenzpaket, das mittelfristig die Machtpolitik der ÖVP erschweren kann, und ein Programm gegen Kinderarmut. Und selbst in der Asylpolitik kann man durch weniger zur Schau gestellte Bosheit einen Stimmungswandel bewirken. Vielleicht stellt sich ja heraus, dass mehr Menschlichkeit mehrheitsfähig ist. Damit würden die Grünen einen entscheidenden Beitrag zu dem Ziel leisten, das sie verfolgen: die Spaltung der Gesellschaft überwinden.
Ganz Europa blickt auf Wien. Und anders als im letzten Jahr ist es kein besorgter, sondern ein hoffnungsvoller Blick. Eine Signalwirkung für Deutschland ist jetzt schon sicher.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl