Grüne in Griechenland: Unter Neuen
Die Grünen wollten wissen, wer das ist: der Tsipras. Deswegen fuhren sie nach Athen. Beobachtungen einer Annäherung.
ATHEN taz | Im Vorzimmer zur Macht beginnt die Verwirrung. Junge, bärtige Berater des Ministerpräsidenten reden auf die deutschen Gäste ein: Alexis Tsipras wünsche ein Vieraugengespräch. Der Regierungschef könne leider unmöglich zwei Gäste auf einmal empfangen. Oder gar drei.
Um sechs Uhr früh ist die Grünen-Chefin Simone Peter mit einer Delegation in Berlin ins Flugzeug gestiegen, um in Athen den charismatischen neuen Ministerpräsidenten von der linken Syriza-Partei kennenzulernen – jenen gerade einmal 40 Jahre alten Staatsmann also, der verspricht, den knallharten Sparkurs zu stoppen und die Griechen aus der sozialen Misere zu retten. In Berlin halten ihn viele für einen Blender, in Griechenland schießen seine Umfragewerte durch die Decke. Logisch, dass sich die Grünen lieber selbst ein Bild machen.
Doch nun steht Simone Peter in knielangem Rock und schwarzem Lederjäckchen ratlos in einem Nebengelass der Regierungsresidenz zwischen Schlachtengemälden, Büsten und goldumrahmten Spiegeln herum. Der Ministerpräsident unterhält sich in seinem Dienstzimmer stattdessen mit Ska Keller – weil die Europaabgeordnete zuerst vor seiner Tür stand. Seine Berater finden, das reiche. Tsipras habe sowieso nur zwanzig Minuten Zeit. Zehn davon sind schon um.
Es ist ein entscheidender Tag, jedenfalls aus Berliner Sicht. Am Morgen hat der Bundestag das Rettungspaket für Griechenland um vier Monate verlängert. Die Grünen stimmten geschlossen dafür. Bei allem Verständnis für den neuen Sozialkurs der griechischen Linksregierung erlaubte sich Fraktionschef Anton Hofreiter in seiner Rede auch kritische Worte: Tsipras habe sich Rechtspopulisten in die Koaltion geholt, die antideutschen Texte in der Syriza-Parteizeitung seien „widerlich“, der Regierungschef führe wohl „einen großen Theaterdonner auf, um seine Wähler bei Laune zu halten“.
Simone Peter in knielangem Rock und schwarzem Lederjäckchen
Die Regierung in Athen braucht Unterstützer in Europa, wenn sie die radikale Kurswende zumindest in Ansätzen durchbekommen will. Die deutsche Opposition könnte wie ein Verstärker für ihre Kritik an Finanzminister Wolfgang Schäuble funktionieren. Ein guter Grund für Tsipras, die Grünen zu empfangen – und Zweifel zu zerstreuen.
Im Vorraum der Regierungsvilla jedoch bleibt die Lage unübersichtlich. Die Zeit drängt. Am Nachmittag steht die nächste Visite auf dem Programm, bei Finanzminister Jannis Varoufakis, dem umstrittenen Medienstar der Regierung. Der Vize-Umweltminister schaltet sich ein, als einziger Grüner sitzt er mit Linken und Rechtspopulisten im neuen Kabinett, er hat die deutschen Freunde eingeladen. Und so öffnet sich irgendwann doch die Flügeltür. Der Premier nimmt sich sogar Zeit.
„Ihr Kommentar?“, ruft ein Reporter, als Tsipras nach fast einer Stunde mit Parteichefin Peter und den Europaabgeordneten Ska Keller und Sven Giegold wieder in die Säulenhalle tritt. Ein gemeinsames Statement ist versprochen. Der Premier trägt wie immer den Hemdkragen offen, setzt fürs Erinnerungsfoto sein gewinnendes Lächeln auf. Nur die Reporter ignoriert er, schreitet wortlos zurück in sein Zimmer, drückt von innen die Tür zu.
Seit ihrem Amtsantritt Ende Januar irritiert die Tsipras-Regierung ihre europäischen Verhandlungspartner mit knalligen Ansagen. Nun ducken sich die Neuen plötzlich vor den deutschen Journalisten weg. „Keine Fotos! Keine Statements!“, verkündet auch der Sprecher des schlagzeilenträchtigen Finanzministers Varoufakis.
Drinnen im Dienstzimmer erleben die Grünen keinen kraftmeiernden Tsipras, sondern einen jungen Staatsmann, der fragt, zuhört, verstehen will. Tsipras interessiert, wie sein Gegenspieler Schäuble tickt, der ihn gerade zur Fortsetzung des verhassten Sparkurses verdonnert hat. Warum ist der deutsche Finanzminister so scharf? Will er die neue Linksregierung in Athen auflaufen lassen? Ernst kommt der 40-Jährige den Grünen vor, mitgenommen vom Geschacher um das Reformpaket und der Last der Verantwortung.
Freund der Provokation
„Bei Ministerpräsident Tsipras war spürbar, unter welchem Druck er steht“, sagt Simone Peter nach dem Gespräch. „Schließlich ist es für seine Regierung existenzgefährdend, wenn er es nicht schafft, die ehrgeizigen Reformpläne umzusetzen.“ Den Schuldenschnitt für Griechenland habe Tsipras nicht thematisiert, versichert sie. Von der Idee einer Umschuldung sind seine Gäste ohnehin schon überzeugt. Im Gegensatz zur Merkel-Regierung halten die Grünen die harte Austeritätspolitik für gescheitert und fordern eine Schuldenkonferenz. Die Partei setzt sich „mittelfristig für eine Umschuldung ein, die die Schuldenlast senkt“. So hat sie es vor drei Wochen beschlossen.
Während Alexis Tsipras den Grünen überraschend unideologisch, offen und nachdenklich erscheint, bestätigt Jannis Varoufakis, 53 Jahre, seinen fragwürdigen Ruf. Der frühere Wirtschaftswissenschaftler und neue Finanzminister – inzwischen auch bekannt als Freund der gezielten Provokation – serviert den Besuchern große Linien und steile Thesen über Auswege aus der Eurokrise.
Die Grünen hätten große „Sympathien“ für die sozial-ökologischen Reformideen, bilanziert der Finanzexperte Sven Giegold draußen auf dem Flur des Ministeriums. Aber es gebe „keine bedingungslose Solidarität“. Wenn Syriza Unterstützung für Zugeständnisse beim Sparkurs erwarte, seien dringend „sichtbare Erfolge“ bei der Korruptionsbekämpfung oder in der Steuerpolitik nötig.
Doch genau hier könnte das Problem liegen. Der neue Umweltminister wirke erfreulich handfest, lobt Giegold. Bei den anderen Gesprächspartnern aus dem Kabinett scheint er zu zweifeln, ob ihre hochfliegenden Pläne den Praxistest überleben. Bisher hätten alle griechischen Regierungen an „Umsetzungsschwäche“ gelitten, sagt Giegold. „Ich bin noch nicht überzeugt, dass die neue Regierung das ändern kann.“
Die Schlüsselfiguren im Kabinett haben weniger Regierungserfahrung als Simone Peter, die drei Jahre das saarländische Umweltministerin leitete. Tsipras hingegen, seit 2009 im Parlament, kennt das Regierungsgeschäft seit vier Wochen. Varoufakis wechselte im Januar von einer texanischen Universität ins Finanzministerium. Ihr unbefangener Blick mag scharf sein – aber die Unerfahrenheit der Neuen ist riskant. Zumal sie, wie alle Vorgänger, auf einen in der Misswirtschaft groß gewordenen, schlecht funktionierenden Apparat angewiesen sind. Und überall das Geld fehlt.
Griechisches Blut
Das sieht man sogar dem Finanzministerium an. Im Besucherraum gegenüber dem Ministerbüro hat Wasser braune Ringe unter die Decke gemalt. Was Mitarbeiter aus dem Varoufakis-Umfeld an nationalistischen Thesen zum Besten geben, ist auch nicht beruhigend. Griechenland habe für den Euro mit seinem „Blut“ gezahlt, donnert ein Ministerialer, Berlin nur mit der „Deutschmark“.
Vize-Umweltminister Jannis Tsironis, studierter Chemiker, 57 Jahre, empfängt in seinem bescheidenen Chefbüro mit Sonnenblumengemälde über dem Schreibtisch. Leer gefegt sieht die Etage aus. Angeblich haben die Vorgänger in den Ministerien eingepackt, was ging. Der Grüne verantwortet nur einen schmalen Themenbereich, aber seine To-do-Liste klingt enorm: illegale Müllkippen beseitigen, die das Land im Jahr mehr als 20 Millionen Euro an Strafgebühren kosten – Geld, das dringend für die Ärmsten gebraucht würde. Ein Recyclingsystem aufbauen, bevor man von der EU mit weiteren Strafen belegt wird. Nebenher das Katasterchaos entwirren, das ihm der Vorgänger überlassen hat nach vergeblichen Versuchen, Griechenland als letztem EU-Staat ein Grundbesitzregister zu verpassen. Viel kosten darf all das natürlich nicht. Für ganz Nordgriechenland, ergänzt Tsironis säuerlich, stünden ihm vier Kontrolleure bereit. Da ist jede Hilfe aus den acht grün geführten deutschen Landesumweltministerien willkommen.
Trotzdem fällt dem Minister zur Stimmung im Land nur ein Stichwort ein: „Hoffnung!“ Auch seine Mitstreiter bestätigen diesen Eindruck. Wütend ziehen sie über die korrupten Nichtsnutze in der Verwaltung her. „Natürlich hat diese Regierung keine Erfahrung“, ruft der Grünen-Funktionär Alexander Pagoulatos. „Aber in den letzten Jahren haben die Minister trotz 30 Jahren Erfahrung auch nur Scheiße gebaut!“ Das sei vielleicht ein wenig populistisch. „Aber es stimmt.“
Schlechter als die Vorgänger kann man es kaum machen. Darin steckt die Chance.
Beim Mittagessen spricht die deutsche Grünen-Chefin noch einen heiklen Punkt an. Die Sache mit den Rechtspopulisten. „Die Koalition mit Anel hat uns wirklich erstaunt.“ Sie ringt um diplomatische Worte. Finde er das nicht auch problematisch? Der grüne Vize-Minister tunkt Weißbrot in eine Olivenölpfütze auf seinem Teller. „Nein“, entgegnet er. „Die Koalition mit Anel war die einzige Möglichkeit für Herrn Tsipras.“
Seine Regierung verstehe sich weder als links noch als rechts. Sie stehe für einen Neuanfang nach endloser Misswirtschaft. Schon deshalb habe Tsipras keine moderateren Vertreter etablierter Parteien einbinden können. Simone Peter rührt gedankenverloren in der Fischsuppe, vergisst fast das Essen. Ihre Mitstreiter daheim wird das kaum überzeugen.
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