Grüne für Verbot: 29 zugelassene Pestizidwirkstoffe bilden gefährliche Säure
Deutsche Behörden stufen Trifluoressigsäure als fortpflanzungsgefährdend ein. Als Konsequenz verlangen die Grünen, mehrere Pestizide zu verbieten.

Die Säure wurde 2016 in Trinkwasser der Neckarregion nachgewiesen, wie das Umweltbundesamt und andere Behörden Ende Mai mitteilten. TFA-Vorsubstanzen stammen aus großen Industrieanlagen und Produkten wie Pappbechern, Pizzakartons, Backpapier, antihaftbeschichteten Pfannen, Outdoorkleidung, Teppichen, aber auch aus dem Kältemittel R1234yf. Dieses wird laut Deutscher Umwelthilfe in fast jeder Autoklimaanlage genutzt. Mengenangaben für die Emissionen aus Industrieanlagen liegen nicht vor.
2016 und 2017 wurde klar, dass die Säure auch beim Abbau verschiedener Pestizidwirkstoffe entsteht. „Mit circa 434 Tonnen/Jahr potenzieller TFA-Emissionen tragen die in der Landwirtschaft eingesetzten Pflanzenschutzmittel vermutlich einen bedeutenden Teil der TFA-Einträge bei“, so das Umweltbundesamt. Insgesamt stellen die Behörden fest: „In deutschen Gewässern wird TFA seit Jahren detektiert – Tendenz steigend.“
Sie raten nun in einem aktuellen Gutachten für die EU, TFA als wahrscheinlich reproduktionstoxisch einzustufen. Sie empfehlen eine Warnung: „Kann das Kind im Mutterleib schädigen. Kann vermutlich die Fruchtbarkeit beeinträchtigen.“ Allerdings seien solche Schäden „erst bei TFA-Konzentrationen nachgewiesen, die deutlich oberhalb der Gehalte in der Umwelt liegen“, schreibt das an dem Gutachten beteiligte Bundesinstitut für Risikobewertung. „Derzeit sind gesundheitliche Beeinträchtigungen deshalb nicht zu erwarten, wenn mit TFA belastetes Wasser oder Nahrungsmittel verzehrt werden.“ Die vorgeschlagene Einstufung der Chemikalie würde Maßnahmen ermöglichen, dass dies auch so bleibt.
Das Umweltbundesamt bewertet TFA als sehr langlebig und sehr mobil. Stoffe mit diesen Attributen werden in der Umwelt schwer abgebaut und setzen sich kaum an Ablagerungen oder Aktivkohlefiltern fest. Die Trinkwasseraufbereitung könne solche Stoffe nur mit hohem technischem Aufwand entfernen, so die Behörde. „Die Zahl und Mengen der Chemikalien, die zu TFA abbauen, steigen stetig. Die Einträge in die Umwelt müssen schnellstmöglich gesenkt werden, damit Umwelt und Trinkwasserressourcen nachhaltig geschützt werden.“
Dafür wird den Behörden zufolge auch die Zulassung von Pestiziden überprüft, die TFA bilden. „Auch TFA-Einträge aus Kältemitteln könnten schnell reduziert werden, da bereits marktreife Alternativen wie Kohlenwasserstoffe, Kohlendioxid, Ammoniak oder Luft verfügbar sind.“
Spätestens in eineinhalb Jahren muss die EU-Chemikalienbehörde Echa ihre Stellungnahme zu dem deutschen Gutachten an die EU-Kommission übergeben, die dann eine Verordnung zu den Warnhinweisen für die Säure entwerfen soll.
Wie weit verbreitet TFA schon ist, zeigt eine Stichprobe, die Grünen-Abgeordneter Bär nach eigenen Angaben Mitte März aus Leitungswasser im bayerischen Oberland gezogen hat: „Sechs Wasserproben aus Holzkirchen, Miesbach, Wolfratshausen sowie aus dem Tegernsee, der Isar und dem Mangfall zeigten durchweg TFA-Werte zwischen 0,46 und 0,78 Mikrogramm pro Liter“, so Bär. Das liege klar über den 0,1 Mikrogramm, auf die der aktuelle Grenzwert von derzeit 10 Mikrogramm gesenkt werden müsse.
Funde in Leitungswasser, Brot und Wein
Die österreichische Umweltorganisation Global 2000 will am Dienstag ausführlich darüber berichten, dass sie die „Ewigkeits-Chemikalie in Brot, Nudeln und Co.“ aus Supermärkten des Landes gefunden habe. Bio habe besser abgeschnitten, doch die Gesamtbelastung sei alarmierend hoch, heißt es in der Einladung zur Präsentation. Bereits früher landete die Organisation Treffer bei Untersuchungen von Wein.
Der Industrieverband Agrar, der Pestizidhersteller vertritt, wies Forderungen nach einem „Pauschalverbot“ zurück. Schon heute würden die Behörden „mit Blick auf die zu erwartende Einstufung von TFA“ prüfen, ob der Grenzwert von 0,1 Mikrogramm pro Liter im Grundwasser eingehalten werden kann. „Es gibt also bereits eine Zulassungsbeschränkung für TFA-bildende Pflanzenschutzmittel“, schrieb Geschäftsführer Martin May der taz. Allerdings ändert das Bär zufolge nichts daran, dass die genannten 29 Pestizidwirkstoffe bereits zugelassen seien.
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