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Grüne fordern MindesthonorarSicherheit für Selbstständige

Die Grünen fordern die Einführung von Mindesthonoraren für Freiberufler. Auf lange Sicht ist auch eine Bürgerversicherung geplant.

Besser nicht abstürzen, auch finanziell nicht. Foto: maspi / photocase.de

Berlin taz | Die Grünen fordern ein Mindesthonorar für Selbstständige. Das bestätigte ein Mitarbeiter der Bundestagsabgeordneten Kerstin Andreae der taz. Ziel ist die Bekämpfung der prekären Solo- und Scheinselbstständigkeit. Auf lange Sicht ist dabei laut Weber eine Bürgerversicherung geplant, die sowohl Kranken- als auch Rentenversicherung beinhalten soll.

Entsprechende Forderungen stehen in dem Diskussionspapier „Digitalisierung gestalten“, das der taz vorliegt. Das Papier verweist auf eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsordnung (DIW), nach der 2012 fast ein Drittel der 2,5 Millionen Selbstständigen ohne Angestellte, sogenannte Soloselbstständige, weniger als 8,50 Euro pro Stunde verdienten. Ihre Einkünfte liegen damit unter dem 2015 eingeführten gesetzlichen Mindestlohn.

Nach wie vor leiden traditionell schlecht bezahlte Freiberufler unter niedrigen Honoraren und schlechter Absicherung. Neuerdings unterbieten sich jedoch auch Handwerker und Reinigungskräfte auf Onlineportalen im Preis. Diese Arbeitskräfte sind zwar der Form nach selbstständig, wirtschaftlich jedoch stark abhängig von der Auftragslage und dem Angebot.

Um gegen schlecht bezahlte Scheinselbstständigkeit vorzugehen, schweben den Grünen branchenspezifische Mindesthonorare vor. Für die Umsetzung fordert das Papier, „Mindestarbeitsbedingungen und Honorare für Selbstständige in Tarifabschlüsse einzubeziehen“. Auch die Linkspartei diskutiert über die Einführung eines Mindesthonorars. Grüne wie Linke fordern eine rechtliche Trennung zwischen prekärer scheinselbstständiger Arbeit und herkömmlicher unternehmerischer Selbstständigkeit.

Die Forderung nach der Statustrennung zwischen Solo- und normalen Selbstständigen begrüßt Berater Gunter Haake ausdrücklich. Er ist Geschäftsführer der Verdi-nahen Firma Mediafon, die Soloselbstständige berät. Mit der Trennung entrinne man einem grundsätzlichen rechtlichen Dilemma beim Mindesthonorar für Selbstständige: „Das Wettbewerbsrecht behandelt Soloselbstständige wie Tankstellenkonzerne.“

Haake spricht sich für eine gesellschaftliche Debatte über ein Mindesthonorar aus. Gegen den von den Grünen geforderten Weg über die Tarifabschlüsse hat er jedoch Vorbehalte: Soloselbstständige sind oft nicht gewerkschaftlich organisiert.

Probleme sehen Politiker und Gewerkschaften auch und gerade bei Internetarbeitsplätzen. Freie katalogisieren Produkte, schreiben Texte oder arbeiten an Forschungsprojekten – für sehr wenig Geld. Der amerikanische Crowdwork-Anbieter Amazon Mechanical Turk zahlt gar Löhne unter einem Euro die Stunde.

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12 Kommentare

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  • Für die Bedürfnisse vieler Selbstständiger im unteren Einkommenbereich könnte ein solches Gesetz ein sehr wichtiger Schritt sein - für mich zum Beispiel. So könnte ein Impuls gegen Scheinselbstständigkeiten gesetzt werden, die in vielen Bereichen völlg gängig sind. Aber auch bei "echten" Auftraggebern wird der Preis für die Arbeitsleistung oft leider nicht vom Selbstständigen gemacht, sondern vom Auftraggeber und deckt die Aufwendungen - geschweige denn solche für Sozialversicherungen einfach nicht.

    Ich persönlich finde es frustrierend, dass ich mir als Berufseinsteigerin in den ersten Jahren eine Rentenversicherung einfach nicht leisten kann.

  • Es geht bei dieser Initiative ja gerade nicht um jeden Selbständigen, sondern um jene, die kaum von ihrer selbständigen Arbeit leben können. Die damit verbundene Selbstausbeutung ist ja nicht *einfach nur* freie Entscheidung, sondern sie ist auch systemisch bedingt. Für einige Branchen könnte ich mir durchaus vorstellen, dass ein Mindesthonorarsatz Sinn macht - noch sinnvoller fände ich aber ein bedingungsloses Grundeinkommen, das so mit höheren Einkommen verrechnet wird, dass tatsächlich diejenigen profitieren, die nur knapp von ihrer Arbeit leben können. Eben so, dass sie trotzdem Altersvorsorge betreiben können.

  • Für mich als Soloselbständigen ist dieser Vorschlag der blanke Horror. Ich bin unter anderem deshalb selbständig,

    weil ich so selbstbestimmt wie möglich und mit so wenig Bevormundung wie möglich leben will. Es stinkt mir ganz gewaltig, dass die Freiheit von Selbständigen immer mehr beschnitten wird. Erst die Krankenversicherungspflicht,

    dann der Zwang zur gesetzlichen Rentenversicherung und jetzt noch dieser idiotische Vorschlag. Die Grünen scheinen überhaupt nicht zu kapieren,

    um was es bei der Selbständigkeit geht: nämlich um Eigenverantwortung im Gegensatz zur Vollkasko-Hängematte der Angestellten. Für mich ist jetzt klar, dass ich nie wieder Grün wählen werde, obwohl ich das bisher immer getan habe.

    • @Thorsten:

      Wenn ihre Selbstständigkeit und ihre Eigenverantwortung auch gilt wenn sie scheitern gern.

      Solange die Selbstständigen die Absicherung haben, dass die Gemeinschaft sie auffängt wenn es schief geht solange hat auch die Gemeinschaft das Recht ihnen Regeln vorzuschreiben.

    • @Thorsten:

      Im Gegensatz zu der im Artikel stehenden Forderung befürworte ich die Kranken- und Rentenversicherungspflicht. Die Freiheit, die Sie da nennen, entbindet die Gesellschaft nicht davon, Ihnen Hilfen zu gewähren, wenn Ihre Einkünfte aus welchem Grund auch immer schwinden. "Jeder für sich" ist der Niedergang einer Gesellschaft.

      Ich bin freiberuflich tätig und habe dafür ein Verständnis. Selbstständig darf nicht ausklinken bedeuten, auch wenn die Erzielung der Einnahmen, wenn diese kein Wucher darstellen noch sonstigen gesetzl. Rahmen verlassen, Unternehmersache bleiben muss.

  • Wenn das so weitergeht mit den "Lösungsansätzen", wenn als beispielsweise die Union oder die SPD das Siegen lernt von den Grünen, dann gibt es in 10 oder 15 Jahren zwar noch immer kein RECHT auf Arbeit (wem gegenüber sollte man dieses Recht auch einklagen in einer kapitalistischen Gesellschaft?), dafür aber (ähnlich wie in der DDR) eine PFLICHT dazu. Diese Pflicht wäre immerhin einklagbar gegenüber Leuten, die nicht freiwillig fürs Alter vorsorgen, die also nur scheinbar geschäftstüchtig sind.

     

    Man kann die "Sünder", die angeblich die Solidargemeinschaft überfordern, nach Vorliegen des entsprechenden gesetzes einsperren und im Knast zu einem bestimmten Stundensatz arbeiten lassen. Je länger und öfter, desto sicherer kann sich der "brave Bürger" fühlen. Und auch der Staat hat was davon. Er darf sich nämlich endlich als richtiger Unternehmer fühlen und arbeiten lassen. Sogar zu selbstgemachten Bedingungen.

  • Mit einem Mindeststundensatz regelt man in vielen Branchen, vor allem niedere Dienstleistungen, gar nichts. Der Preisdruck der Auftraggeber wird den Soloselbstständigen als solchen handeln und die Stundenzahl nach unten korrigieren lassen.

    Das Unternehmerlohngesetz- eine Nullnummer.

  • Aus meiner Sicht schließen sich selbständiges Arbeiten, eine wie auch immer daraus abgeleitete "Sicherheit" und "achtfuffzich" komplett aus. Egal welcher Branche ich dies zuordne. Ich kann das drehen und wenden wie ich will. Ob digitaler Arbeitsplatz oder Handwerk wie Einzelhandel. Das die Grünen hier am marktradikalen Rad mitdrehen ist schlimm genug. Haben Sie ja mit den Spezialdemokraten durch die Agenda 2010 solche Scheinselbstständigkeiten erst mit initiiert. Ein selbstständiges Arbeiten bedingt, das ich alle Ausgaben, die ich zu tätigen habe bei Lebensunterhalt, Rücklagen, Krankheit, Sozialversicherungen, Haftpflichten wie Rente aus dieser Arbeit erwirtschaften kann, ja muss! Alles andere ist diffuse angelegte Beschäftigungs- wie Wirtschaftspolitik für aufstockende Selbstständige unter der Fuchtel eines Staates, der allumfassende Kontrolle über jedweden Prozess in der Gesellschaft anstrebt. Auch hier werden im momentanen Prozess "echte" Selbstständigkeiten durch Steuern und Abgaben wie digitale Billiglohnprozesse im Online-Handel dermassen gemolken wie umstrukturiert, das quasi die Soloselbstständigkeiten mehr werden und die tatsächlichen weniger. Wenn das grüner Realismus in der Politik für die Zukunft ist, dann ist das Placebopolitik ohne Sinn für Pluralismus in einer Gesellschaft.

    • @jörg krauss:

      Wer sagt denn achtfuffzich?

       

      Da Selbstständige nicht nur ihre Sozialversicherung sondern auch Arbeitsausstattung und evenuell betriebsräume und Fahrzeuge selbst bezahlen müssen, muss der Mindestlohn für Selbstständige natürlich deutlich höher liegen - also eher Sechzehnfuffzich...

       

      So umgesetzt wäre das eine sehr gute Idee, der Auslagerung von Beschäftigungsverhältnissen in prekäre Selbstständigkeit einen Riegel vorzuschieben.

       

      Mal wieder eine gute Idee von den Grünen.

  • Das ist auch mal wieder so eine Idee der Grünen, die sich auf geduldigen Papier oder Bildschirm gut liest, bei der ich mich aber frage, wie sie umgesetzt werden soll. Ich (selbst so genannter Solo-Selbständiger) kenne viele andere, die als Unternehmensberater, Anwalt, Architekt, Rierärtin, Steuerberater, Yoga-Lehrerin und was auch immer arbeiten. In der Gewerkschaft ist aber kein einziger von denen. Der vorgeschlagene Weg über Tarifverträge Funknetz schon deshalb nicht. Und dann werden selbstverständlich in der Regel keine Stundenhonorare vereinbart, sondern Pauschalhonorare. Oder aber es gibt Stundensätze, die weit über dem liegen, was die Grünen hier als Mindestlohn vorschreiben wollen (bei mir ist das mehr als zehnmal so viel wie der vorgesehene Mindestlohn). Die Frage ist nur immer, was kann ich meinen Kunden gegenüber tatsächlich abrechnen und was bezahlt dieser Punkt also was dabei herauskommen soll, ist mir schleierhaft. Aus meiner Sicht wird hier nur ein neuer Popanz aufgebaut.