Grüne Klimaziele und der Ukrainekrieg: Klimaschutz nach Kriegsbeginn
Die Energieversorgung in Zeiten des Krieges stellt die Grünen vor ein Dilemma: LNG-Terminals zur Anlandung von Flüssiggas doch zustimmen?
Das sehen bei den Grünen allerdings nicht alle so – und damit sind wir schon mitten in dem Dilemma, in das die Partei angesichts der russischen Aggressionen in den letzten Wochen immer weiter geraten ist. LNG-Terminals, das sind Hafenanlagen, an denen mit Flüssiggas geladene Tanker ihre Fracht abladen können.
Für Klimaschützer*innen sind sie eigentlich ein No-Go: Die Klimabilanz von Flüssiggas ist schlechter als die von Erdgas aus der Pipeline, zumal dann, wenn es zuvor wie in den USA durch die Fracking-Methode gewonnen wurde. „Neue Hafenterminals zur Anlandung von Flüssigerdgas sollen nicht mehr genehmigt werden“, hieß es im Bundestagswahlprogramm der Grünen.
Im Wahlkampf hatte aber noch kaum jemand damit gerechnet, dass Russland wenige Monate später Krieg führen werde. Dass Deutschland sein Gas zu 55 Prozent aus Russland bezieht, stellt sich in der neuen geopolitischen Lage als ungünstig heraus. Angesichts des Kriegsbeginns kündigte Wirtschaftsminister Robert Habeck am Donnerstag an, dass beim Gas die „Einkaufswege vielfältiger“ werden müssen. „Dazu gehört, auch wenn es manche nicht wahrnehmen wollen, der Aufbau von LNG-Terminals.“
Schleswig-Holsteins Grüne blieben beim Nein zum Terminal
Ende Januar hatte Habeck bereits im Bundestag vorsichtige Überlegungen in diese Richtung angestellt. Das Problem bei der Infrastruktur: Europaweit gibt es für Flüssiggas 36 Häfen, aber keinen in Deutschland. „Die beiden Terminals, die Deutschland mal angedacht hat – Brunsbüttel und Stade –, sind bisher nicht privat finanzierbar. Dieser Frage werden wir uns jetzt energisch zuwenden“, sagte Habeck im Parlament.
Bei den Koalitionspartnern ist das weitgehend unumstritten, für die Grünen wird das Thema aber zunehmend zum Problem. Ein häufiges Gegenargument: Der Bau eines solchen Terminals dauere Jahre, helfe also in der aktuellen Krise nicht. Vielmehr bremse es die Energiewende aus, wenn man jetzt noch Geld in fossile Infrastruktur stecke, die bei ihrer Fertigstellung doch bestenfalls schon überflüssig sein sollte.
In Schleswig-Holstein stellte der Grünen-Landesverband am Sonntag sein Wahlprogramm für die Landtagswahl im Mai auf. Die Landesspitze warb zum Thema Flüssiggas für eine Position im Sinne Habecks, die Abstimmung gewonnen hat aber die Gegenseite um Basismitglieder wie Kerstin Hansen. Im Programm heißt es jetzt: „Schleswig-Holstein braucht kein LNG-Terminal.“
Den Beschluss hatte neben anderen Teilen der Parteibasis vor allem die Grüne Jugend vorangetrieben. „Die Bundesregierung muss sehen, dass es erheblichen lokalen Widerstand gibt. Die Leute vor Ort wollen das nicht. Wir stehen auf der Seite dieses Protests“, sagte Timon Dzienus, Bundessprecher der Grünen Jugend, noch am Mittwoch der taz.
Entscheidend wird sein, ob der Bund Geld gibt
Mit dem Kriegsbeginn könnten allerdings die Chancen gestiegen sein, dass sich jetzt doch Habeck durchsetzt. Aus der Grünen-Spitze heißt es am Donnerstag: Mit den neuen Realitäten müsse man umgehen.
Finanzielle Unterstützung für Bauvorhaben sind der entscheidende Hebel, den die Politik am Ende hat. Privaten Investoren erscheint der Terminalbau auf eigene Faust bisher nämlich nicht als wirtschaftlich. Sollten die Grünen in Schleswig-Holstein auch an der nächsten Landesregierung beteiligt sein, den Parteitagsbeschluss umsetzen und nicht zahlen, käme es also vor allem darauf an, ob der Bund Geld gibt. Die Hoheit darüber hat letztlich der Bundestag.
Ob Habeck seine Fraktion dort schon auf seiner Seite hat? Fraktionsvize Julia Verlinden, selbst Klimapolitikerin, äußert sich verhalten – schließt aber auch nichts aus. „Priorität hat, dass wir uns von den fossilen Energien unabhängig machen. Also: Ausbau der Erneuerbaren und Energieeffizienzpotentiale nutzen. Außerdem müssen die Gasspeicher in den kommenden Monaten gefüllt werden“, sagt sie. „Eine ganz andere Frage ist, ob neue LNG-Terminals aus geopolitischen Gründen notwendig sein könnten. Das müsste man dann prüfen.“
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