Gründungsrektor über 50 Jahre Uni Bremen: „Wer Geld bringt, hat das Sagen“
Um die Lehre zu reformieren, wurde die Uni Bremen gegründet, sagt der erste Rektor Thomas von der Vring. Heute gehe es nur noch um Drittmittel.
taz: Herr von der Vring, wenn Sie die Bremer Universität anlässlich ihres 50. Jubiläums in wenigen Sätzen vorstellen sollten – was würden Sie sagen?
Thomas von der Vring: Wie die Bremer Universität heute ist – dazu sage ich nichts. Ich bekomme nur noch wenig mit. Der wesentliche Unterschied ist folgender: Wir haben damals eine Universität für eine Reform der Lehre gegründet. Heute wird nur über die Forschung geredet. In meinem Fachbereich gibt es heute einen Hochschullehrer für 250 Studierende, das ist völlig unzureichend. Damals war ein Verhältnis 1:10 geplant.
Wie ist der Bremer Senat damals auf Sie als Gründungsrektor gekommen?
Ich hatte habilitiert und war Dozent an der Technischen Hochschule Hannover mit einer Lebenszeitstelle und vier Wochenstunden Lehrverpflichtung. Ich war zudem stellvertretender Bundesvorsitzender der Jusos. Eines Tages haben Studenten aus Hamburg mich angerufen, Jusos, die im Gründungssenat der Universität Bremen saßen. Die haben jemanden gesucht für die Stelle des Gründungsrektors. Sie haben mich geködert mit dem Angebot, ich müsste ja nur für zwei Jahre zusagen.
Wenn heute über die Anfangsjahre der Universität geredet wird, werden oft Bilder von Chaos gemalt.
Chaos habe ich nicht erlebt. Wenn Sie in Bremen heute Menschen fragen, die in diesen Anfangsjahren studiert haben, bekommen sie sehr viele positive Antworten. Viele hatten kein Abitur und hätten nirgends sonst studieren können, die sind alle begeistert. Es waren fantastische Jahre.
Sollte das eine berufsorientierte Hochschulausbildung werden?
Die Idee war, das Studium praxisbezogen zu gestalten. Also auf das ausgerichtet, was die Studierenden nach der Uni machen wollten und sollten, exemplarisches Lernen, vor allem die Fähigkeit, mit praktischen Problemen umzugehen. Deswegen sollte das Studium interdisziplinär auf die Praxis bezogen sein. Am Anfang stand die Ausbildung für das Lehramt im Zentrum – auch aus finanziellen Gründen. Es gab einen großen Lehrermangel …
84, Gründungsrektor der Uni Bremen und Hochschullehrer für Politische Ökonomie, 1979–1994 SPD-Abgeordneter im Europäischen Parlament.
Und die anderen Bundesländer haben die Lehrerbildung in Bremen mitfinanziert?
Ja, vor allem die Schnellbauten wurden damals aus diesem Grund vom Bund finanziert.
Die Bremer Universität war damals als „rote Kaderschmiede“ verschrieen. Warum?
Die Studentenvertreter in den Gründungsgremien waren überwiegend vom Asta in Hamburg entsandt worden, die waren links, mindestens verbal. Der damalige Bildungssenator Moritz Thape hatte die Hochschullehrer ausgesucht und die waren überwiegend sozialdemokratisch orientiert. Nachdem der „Bund Freiheit der Wissenschaft“ das Stichwort „rote Kaderschmiede“ in die Welt gesetzt hat, sind natürlich vor allem junge Menschen, die das besonders interessant fanden, nach Bremen gekommen. Die Professoren an den anderen Universitäten waren aufgeschreckt durch das Bremer Modell der Drittelparität – die Hochschullehrer, Studentenvertreter und nichtwissenschaftlichen Dienstleister hatten in allen Gremien je ein Drittel der Sitze. Das war eine damals populäre Idee. Der Hintergrund war die Feststellung, dass an einer Universität, an der die Professoren allein das Sagen haben, die Lehre das fünfte Rad am Wagen ist, schon aus finanziellen Gründen.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1973 Drittelparität als verfassungswidrig abgelehnt, mit der Begründung, die Freiheit der Wissenschaft sei eben die der Wissenschaftler ….
Damit war das Bremer Modell gescheitert.
Gibt es jetzt Freiheit der Wissenschaft?
Die wissenschaftliche Meinungsfreiheit der Hochschullehrer stand auch damals außer Frage. Sie hängt nicht davon ab, wie viele Sitze die Hochschullehrer in den Gremien der Universität haben. In den USA regieren an den Universitäten nicht die Professoren, sondern die Eigentümer der Universität. Die Eigentümer sind angewiesen auf Eltern, die ihren Kindern eine gute Ausbildung zukommen lassen wollen. Die Universitäten konkurrieren daher mit der Qualität ihrer Lehre um Studenten.
Und die Freiheit der Forschung?
Jeder, der Forschungsgelder einbringt, ist der King an der Universität.
Die Professoren schauen bei ihren Forschungsprojekten besonders danach, was Geld bringen könnte und was nicht?
Ja. Mit Drittmitteln werden insbesondere wissenschaftliche Mitarbeiter bezahlt.
War die Gründungsidee der Bremer Universität etwas naiv?
Die Naivität bestand vor allem darin, dass man dachte, so was würde auf Dauer finanziert.
Haben Sie damals auch mit Berufsverboten zu tun gehabt?
Der Bremer Senat musste jeder Berufung eines Hochschullehrers zustimmen, und die FDP war damals in einer Koalition mit der SPD. Bei jeder Berufung gab es einen Bericht des Verfassungsschutzes. Eigentlich hatte ich auf diese vertraulichen Akten keinen Zugriff, aber der Senator hat mich dann doch hineinschauen lassen. Da stand, wer wann an einer roten Demonstration teilgenommen oder eine kommunistische Zeitung abonniert hatte. Das stand auf anonymen Zetteln ohne Unterschrift, nur ein Stempel: Verfassungsschutz des Landes XY. Zu den Qualifikationen stand da natürlich überhaupt nichts. Die FDP hat der Berufung von jedem zweiten Bewerber, der ihr zu links angehaucht war, nicht zugestimmt. Das war nicht Berufsverbot, sondern Berufungsverbot.
Sie sind nach vier Jahren zurückgetreten. Warum?
Die CDU hat im Wahlkampf 1971 angekündigt, dass die Universität aufgelöst und ich rausgeschmissen würde, wenn sie die Wahlen gewinnt. Dass die SPD dann 55 Prozent der Stimmen bekommen würde, damit hatte niemand gerechnet. Ich habe das Amt des von der neuen Universität gewählten Rektors länger als die zwei Jahre ausgeübt, die ich geplant hatte. Aber als 1973 das Bundesverfassungsgericht die Drittelparität untersagt hat, da habe ich erklärt, dass ich nicht wieder zur Wahl stehen würde.
Was war das schlimmste Erlebnis, das Sie in Ihrer Zeit als Rektor gehabt haben?
Schlimm war eigentlich wenig. Ich erinnere mich noch gut daran, dass bei einer Veranstaltung des CDU-Studentenverbandes RCDS der linke Physikprofessor Jens Scheer das Mikrofonkabel aus der Wand gerissen hat. Ich konnte den Angriff auf die Meinungsfreiheit nicht dulden und habe ein Verfahren gegen ihn eingeleitet. Die Höchststrafe, die ich vergeben konnte, war die Kürzung seines Monatsgehaltes um 50 Prozent.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünes Wahlprogramm 2025
Wirtschaft vor Klima
Sturz des Assad-Regimes
Freut euch über Syrien!
Krieg in Nahost
Israels Dilemma nach Assads Sturz
Getöteter General in Moskau
Der Menschheit ein Wohlgefallen?
Weihnachten und Einsamkeit
Die neue Volkskrankheit
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot