Großbritanniens neuer Premierminister: Sunaks technokratische Versuchung
Der neue britische Premierminister Sunak wird rasch liefern müssen, wenn er bleiben will. Die Briten schmeißen gnadenlos raus, wer ihnen nicht gefällt.
G roßbritanniens Konservative haben in den Abgrund geblickt und sich so erschrocken, dass sie jetzt endlich ihre Grabenkämpfe hinter sich lassen und an einem Strang ziehen – so lautet die optimistische Interpretation der bemerkenswerten Vorgänge der vergangenen Woche in London. Liz Truss’ Sturz und die Kür von Rishi Sunak innerhalb von nur vier Tagen ist demnach kein Ausdruck von Systemversagen, sondern von Funktionieren. Wer Mist baut, fliegt – erst Boris Johnson, dann Liz Truss.
In Großbritannien geht das, in vielen Ländern nicht. Dieses Narrativ muss Rishi Sunak als Premierminister unbedingt bestätigen, will er im Amt bestehen. Der bekennende Nerd tritt an als Technokrat, der „Fehler korrigieren“ und „schwierige Entscheidungen“ treffen muss, um die „Krise“ zu überwinden und erst „Vertrauen“ und dann „Zukunft“ aufzubauen. Dazu muss er jetzt Unfehlbarkeit ausstrahlen.
Die britischen Konservativen als Partei wissen, welche Rolle ihnen dabei zugedacht ist: stillhalten und im Parlament Ja sagen. Flügelkämpfe und Schlammschlachten sind unerwünscht. Boris Johnson soll endlich seine Shakespeare-Biografie schreiben, mit seiner Frau am Strand liegen, als Redner in den USA Geld scheffeln, Hauptsache, er ist nicht da. Liz Truss soll ihren Wahlkreis pflegen, irgendwas Unauffälliges tun, Hauptsache, es fällt nicht weiter auf.
Reicht das? Kann man die von Sunak benannte „wirtschaftliche Krise“ wirklich auf 44 Tage Truss reduzieren? So gigantisch waren ihre Beschlüsse nun auch wieder nicht. Haben nicht auch die vorherigen zweieinhalb Jahre Rishi Sunak als Finanzminister Spuren hinterlassen? Haben nicht alle Regierungen seit Jahrzehnten versäumt, ausreichend in Bildung, Infrastruktur und Technologie zu investieren, und wurde Macht und Geld nicht immer stärker in London konzentriert, zum Nachteil brachliegender Regionen draußen?
Rishi Sunak hat recht: Vor ihm liegt viel Arbeit, um „Vertrauen“ zu schaffen. Aber Demokratie lebt nicht von Vertrauen, sondern von Misstrauen und von Kontrolle. Wer „Vertrauen“ sagt, meint allzu oft, selbsternannte superkluge Experten über die Köpfe der Menschen hinweg Entscheidungen treffen zu lassen. Spätestens beim Brexit-Referendum 2016 scheiterte dieser Politikstil.
Boris Johnson und Liz Truss beriefen sich immerhin auf diesen Weckruf, um verkrustete Verhältnisse aufbrechen zu wollen. Rishi Sunak war ein Brexiteer, doch nun droht ein technokratischer Regierungsstil, der im Namen von „Stabilität“ und „Vertrauen“ neue Verkrustungen schafft. Die Briten lassen sich das nicht gefallen. Wer Mist baut, fliegt.
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