Großbritanniens Ruanda-Abschiebungen: Flüchtlingspolitik auf Abwegen
Der umstrittene britische Deal mit Ruanda ist beschlossen. Er wird keine Abschreckung erzielen, aber taugt auch nicht als Vorbild für Europa.
D as britische Ansinnen, Asylsuchende nach Ruanda auszufliegen, statt ihre Asylanträge in Großbritannien aufzunehmen, ist in jeder Hinsicht unsinnig. Als Abschreckung taugt das Vorhaben nur, wenn die Aussichten für Flüchtlinge in Ruanda so schrecklich sind, dass niemand mehr nach Großbritannien kommt. Rechtssicher umzusetzen ist es gleichzeitig nur, wenn die Aussichten für Flüchtlinge in Ruanda so gut sind, dass sie allen internationalen Standards entsprechen.
Die britische Rechte wollte Ersteres. Die britische Justiz erzwang Letzteres. Für die Flüchtlinge ist das gut. Für die Flüchtlingspolitik bringt es nichts.
Großbritanniens Ruanda-Deal bietet Flüchtlingen nach Jahren der Überarbeitung in Ruanda hohe Asylstandards, von denen sie auf Lesbos oder in Libyen nur träumen können. Damit taugt er nicht mehr als Modell für eine härtere Flüchtlingspolitik, wie es rechte Kräfte quer durch Europa gerne hätten.
Er taugt aber auch nicht als Modell für eine humanere Flüchtlingspolitik, denn er beruht nach wie vor auf Zwang statt auf Freiwilligkeit und beraubt die Betroffenen der Lebensperspektive, für die sie immense Opfer gebracht haben. Der Deal bringt auch den beiden Ländern nichts: Großbritannien zahlt irrsinnige Summen, Ruanda verspielt leichtfertig sein Image in der Welt.
Doppelstandards
Dennoch: Viel von der internationalen Kritik ist scheinheilig. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR spricht von einem Bruch der UN-Flüchtlingskonvention – aber zugleich fliegt das UNHCR selbst Flüchtlinge nach Ruanda aus, nämlich aus libyschen Lagern, von wo aus die Leute eigentlich nach Europa wollten – 2.150 Menschen in 17 Flügen nach jüngsten ruandischen Angaben. Das sind plumpe Doppelstandards.
Und wer sich in Europa empört, darf nicht vergessen: Es geht in Großbritannien um Menschen, die aus der EU geflohen sind. Warum landen denn so viele überhaupt an den britischen Küsten? Weil die britische Küstenwache sie birgt, anders, als es etwa im Mittelmeer Standard ist. Warum bleiben die Leute denn nicht in Frankreich oder den anderen europäischen Staaten? Könnte es mit Frankreichs systematischer Polizeigewalt gegen Schwarze und Araber zu tun haben? Mit dem Umstand, dass Asylsuchende in vielen Ländern Europas weitaus schlechter behandelt werden als in Brexit-Großbritannien?
Wer den Ruanda-Deal kritisiert, sollte im britisch-ruandischen Asylpartnerschaftsabkommen das Kleingedruckte über den korrekten Umgang mit Asylanträgen lesen. Und dann dafür sorgen, dass das nicht nur in Ruanda, sondern auch in Europa Standard wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht