GroKo zu Werbeverbot für Abtreibungen: Wortklauberei um Paragraf 219a
Zum „Werbeverbot“ für Abtreibungen haben Union und SPD einen Kompromissvorschlag vorgelegt. Jetzt gehen die Verhandlungen erst richtig los.
Nach und nach wird klar, mit welcher Strategie die Große Koalition den Streit um Paragraf 219a Strafgesetzbuch beilegen will – wenn auch nur in Ansätzen. So soll der Paragraf, der „Werbung“ für Schwangerschaftsabbrüche verbietet, bestehen bleiben, aber ergänzt und flankiert werden. Die zuständigen Ministerien haben am Mittwochabend ein Eckpunktepapier vorgelegt. Ein Gesetzentwurf soll im Januar folgen. Die SPD gibt sich vorsichtig optimistisch, die Opposition und von Strafverfahren betroffene Ärztinnen üben scharfe Kritik.
Das Eckpunktepapier ist das Zwischenergebnis einer etwa neun Monate währenden Auseinandersetzung in der Regierungskoalition, die mehrfach zu eskalieren drohte. Paragraf 219a bestraft derzeit, wer öffentlich „seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise“ Schwangerschaftsabbrüche „anbietet, ankündigt, anpreist“. Er ist damit so weit gefasst, dass mit bis zu zwei Jahren Gefängnis auch bestraft wird, wenn Ärzt*innen öffentlich – etwa auf ihrer Webseite – darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Christliche Fundamentalist*innen nutzen diesen Spielraum, um Mediziner*innen massiv mit Strafanzeigen zu überziehen. Die SPD will das ändern, die Union will an dem Paragrafen unbedingt festhalten.
Diese zwei konträren Positionen haben Bundesjustizministerin Katarina Barley, Frauenministerin Franziska Giffey (beide SPD), Gesundheitsminister Jens Spahn, Kanzleramtschef Helge Braun (beide CDU) und Innenminister Horst Seehofer (CSU) nun zusammenzubringen versucht. Das Ergebnis: Das Verbot der „Werbung“ soll beibehalten, aber ergänzt werden, der „Schutz des ungeborenen Lebens“ soll gestärkt, die Information von staatlicher Seite ausgebaut und die „seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ wissenschaftlich erforscht werden.
Die Bundesärztekammer und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sollen künftig ungewollt Schwangeren, die sich für einen Abbruch entschieden haben, Kontaktinformationen zur Verfügung stellen, wenn die betreffenden Ärzt*innen und Krankenhäuser dem zugestimmt haben. Zudem wolle man „rechtlich ausformulieren, dass und wie Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenhäuser über die Tatsache informieren können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen“, und auf Informationen etwa staatlicher Stellen hinweisen dürfen. Die Bundesregierung werde „genau definieren, welche Informationen der Arzt geben darf“, sagte Spahn am Donnerstag.
Vieles ist noch unklar
Bei diesem „dass und wie“ dürfte es sich um den Knackpunkt des Papiers handeln – die MinisterInnen bleiben hier noch deutlich schwammiger als im Rest des Dokuments. Es könnte bedeuten, dass Ärzt*innen künftig darüber informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, ob sie dies operativ oder medikamentös tun und was zu beachten ist. Es könnte auch bedeuten, dass sie ungewollt Schwangere lediglich per Link auf die Webseite der Bundesärztekammer verweisen können und das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ selbst gar nicht auftaucht.
Von der ursprünglichen Forderung der SPD, den Paragrafen ganz aufzuheben, ist nichts mehr übrig. Das wäre mit der Union aber ohnehin undenkbar gewesen. Alternativ hatten die Sozialdemokrat*innen vorgeschlagen, den Tatbestand zu ändern und die Worte „anbieten“ sowie „ankündigen“ zu streichen. Stehen bliebe dann das „anpreisen“. Auch das ging den unionsgeführten Ministerien wohl zu weit. „Nicht nur das Anpreisen trägt zur Verharmlosung bei, sondern auch die sachliche Information als Angebot auf der Homepage eines Arztes“, hatte Elisabeth Winkelmeier-Becker, rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, schon im Januar im taz-Interview gesagt.
Kristina Hänel
„Es ist gut, dass es nun eine grundsätzliche Einigung gibt“, sagte Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, der taz. Dass die Union „nun endlich eingesehen“ habe, dass der Paragraf geändert werden müsse, nannte er ein „wichtiges Ergebnis“. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer betonte, der „Schutz des Lebens, ungeborenes und geborenes“, habe für die CDU „überragende Bedeutung“. Deswegen sei es „gut, dass das Werbeverbot bleibt“. Auf der Webseite der Partei heißt es, man werde „insbesondere Wert darauf legen, dass durch die Vorschläge keine Abschaffung des Werbeverbots durch die Hintertür erfolgt“.
Man werde sich den Gesetzentwurf im Januar genau ansehen, heißt es aus der SPD. „Wenn die Union gesellschaftlichen Fortschritt weiter verhindern will, wird sie eine progressive, vorwärtsgewandte SPD als entschiedenen Gegner haben“, kündigte Sebastian Hartmann, Landesvorsitzender der SPD Nordrhein-Westfalen, an. Der Münchener Bundestagsabgeordnete Florian Post erklärte, maßgeblich sei für ihn, „ob Ärztinnen wie die verurteilte Kristina Hänel ihre alten Homepages ohne die Gefahr einer Verurteilung“ verwenden könnten. Eine bloße Verlinkung etwa auf behördliche Webseiten sei nicht ausreichend.
Widerstand aus der SPD
Deutlicher wurde Maria Noichl, SPD-Europaabgeordnete und Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Stellvertretend für die Gruppe „und für alle Frauen in der SPD“ sagte sie: „Nein und nochmals Nein zu dem erarbeiteten Papier“. Allein das Wort „Werbung“ suggeriere, Frauen würden sich „zur Abtreibung locken lassen, weil sie heute gerade nichts anderes zu tun hätten“, sagte Noichl der taz. „Das ist und bleibt zynisch.“
„Wir als von Strafverfahren betroffene Ärztinnen sind entsetzt“, schrieben Kristina Hänel, Nora Szász und Natascha Nicklaus in einer gemeinsamen Erklärung. Hänel hatte mit ihrer Verurteilung im November 2017 die Debatte um den Paragrafen 219a ausgelöst, Szász’ und Nicklaus’ nächster Verhandlungstermin steht im Januar an. Der Vorschlag entpuppe sich als „Nullnummer“: Die Strafandrohung bleibe bestehen, flankierende Maßnahmen seien auch heute schon möglich. „Wir sind empört, dass aus politischem Machtkalkül und aus Angst vor Rechts Frauenrechte so verraten und wir Ärztinnen weiterhin kriminalisiert werden“, heißt es weiter. Informationsrechte seien Menschheitsrechte. „Das gilt auch für Frauen.“
Schwangerschaftsabbrüche sind auch in der Ärzteschaft ein kontroverses Thema. Nur etwa 1.200 Mediziner*innen führen Abtreibungen durch – bei etwa 18.500 berufstätigen Ärzt*innen in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Diese Spaltung zeigt sich auch in der Bewertung der Eckpunkte. Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, sagte im Deutschlandfunk, er sehe in diesen „eine Chance, dieses Thema zu lösen“, und zwar im Interesse von Frauen und Paaren sowie von Ärzten.
Bernhard Winter, Co-Vorsitzender des Vereins demokratischer Ärztinnen und Ärzte, erklärte hingegen, eine Verbesserung gebe es nur, „wenn der Paragraf 219a endlich aus dem Gesetzbuch gestrichen wird“. Listen könnten nicht die medizinisch ausführlichen Informationen ersetzen, die heutzutage auf ärztlichen Webseiten Standard seien. Angesichts der zunehmenden Angriffe durch Abtreibungsgegner*innen hätten zu viele Ärzt*innen Angst, „an den Pranger gestellt zu werden“.
„Fauler Kompromiss“
Auch Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, zeigte sich skeptisch. Es komme sehr darauf an, was genau die Ministerien im Januar vorlegen – und wie sie Werbung und Information differenzieren. „Menschen, die diese Strafanzeigen als Hobby sehen, werden auch nach der neuen Rechtslage nach Möglichkeiten suchen, den Druck auf Ärztinnen und Ärzte aufrechtzuerhalten“, sagt Wersig. Dem müsse der Gesetzgeber klar entgegentreten.
Von einem „faulen Kompromiss“ sprach die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack gegenüber der taz. „Auf Betreiben großer Teile des Union unterlässt es die Bundesregierung, mit einer Streichung des Paragrafen 219a klare Kante gegen rechtspopulistische und antifeministische Kräfte zu zeigen“, sagte Hannack, die selbst Mitglied im CDU-Vorstand ist.
Kritik kam auch von den Oppositionsparteien im Bundestag. „Alle fünf vorgeschlagenen Punkte gehen die strafrechtliche Problematik für Ärztinnen und Ärzte nicht an“, kritisierte die Grüne Ulle Schauws das Eckpunktepapier. Cornelia Möhring von der Linksfraktion sagte, die SPD wähle „Opportunismus statt Haltung, die Union bleibt standhaft in ihrer Doppelmoral“.
Er verstehe den Kompromiss so, dass Ärzte auch künftig nicht selbst über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürften, sagte Stephan Thomae, Vize-Vorsitzender der Liberalen. Er kritisierte zudem, die Koalition verschleppe eine Lösung.
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