piwik no script img

Griechische Kuratorin über Waldbrände„Wir brauchen Solidarität“

Die Kuratorin Iliana Fokianaki spricht über die Folgen der Waldbrände in Griechenland. Mit der Natur ist auch Kulturinspiration verschwunden.

Eine Statue des Gottes Poseidon im von Rauch verhangenen Dorf Pefki auf der Insel Euböa Foto: Petros Karadjias/picture alliance
Ingo Arend
Interview von Ingo Arend

taz: Frau Fokianaki, Griechenland kämpft in jedem Jahr mit Waldbränden. Was ist diesmal anders?

Iliana Fokianaki: Zwei Faktoren machen den Unterschied zu den letzten Jahren aus. In erster Linie erhöht die Klimakrise die Temperaturen und die Dürre, was jeden Sommer mehr Brände verursacht. Für Attika bedeutet dies heißere Sommer und mehr Überschwemmungen im Winter. Schlechte Gesetzgebung und jahrzehntelange Korruption sowie das Bauen auf Staudämmen verschlimmern die Situation ebenfalls. Wissenschaftler rechnen bereits im kommenden Winter mit Überschwemmungen in Attika. In diesem Jahr hatten wir jedoch keine Kombination aus extremen Phänomenen. Wir hatten Hitzewellen, aber keinen Wind, wodurch sich die Feuer langsamer ausbreiten, also sind wir alle verblüfft, warum es diesmal so rasant gegangen ist. Zweitens machen finanzielle Kürzungen aufgrund der Sparmaßnahmen gegenüber der Feuerwehr einen Unterschied. Leider hat diese Regierung, obwohl sie seit 2019 über die Mittel verfügt, die Entscheidung getroffen, die Feuerwehr nicht mit Personal und Ausrüstung zu verstärken.

Es klingt vielleicht wie ein Luxusproblem angesichts so vieler Toter und zerstörter Existenzen. Aber was bedeuten die Feuer für die Kultur?

Sie ist indirekt betroffen, da die Natur für viele Dichter, Musiker, Schriftsteller, Schauspieler Inspiration ist und auch für bildende Künstler. Einige von ihnen sind einfach als Bürger betroffen, die in den verbrannten Gebieten leben. Wenn wir Kultur allgemeiner diskutieren, gibt es Formen und Ausdrucksformen von Kultur, die sich auf traditionelle Herstellungsweisen von Stoffen, Waren, Lebensmitteln, Musik und so weiter beziehen, die aufgrund der Zerstörung der Natur, insbesondere auf der Insel Euböa, aufhören werden zu existieren. Sie können nicht ersetzt werden, denn bis diese riesige Menge Urwald wiedergeboren wird, dauert es selbst durch Wiederaufforstung mehr als 40 Jahre. Die unmittelbare Umgebung des antiken Olympia ist abgebrannt. Und allein im Norden von Euböa, der zweitgrößten Insel, die so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde, gibt es mehr als 50 Festivals und Initiativen wie das Edipsos Folk Dance Festival, die alle von den Bränden in Mitleidenschaft gezogen wurden.

In der Türkei macht die Regierung ausländische Geheimdienste und kurdische Terroristen für die Feuer verantwortlich. Was ist das Narrativ in Griechenland?

Die Regierung macht in ihren offiziellen Ankündigungen nur die Klimakrise und die Hitzewelle verantwortlich. Sie müssen noch Verantwortung dafür übernehmen oder erklären, wie sich die Brände so unerwartet schnell ausbreiten konnten. Der Premierminister hat jedoch bereits erklärt, dass es nach dem Löschen der Brände Selbstkritik geben wird. Inoffiziell treiben sie durch Tweets von bestimmten Ministern die Erzählung von geplanten und koordinierten Brandstiftern voran. Rechte und Neonazi-Trolle in den sozialen Medien verbreiten das Narrativ von Flüchtlingen oder Migranten als Brandstifter, verdächtigen die Opposition und beschuldigen sie, mit Hashtags wie #ΣΥΡΙΖΑ_Εμπρηστές (#SYRIZA_Brandstifter, d. Red.), Feuer zu legen.

Griechenland hat noch kaum die Erschütterung von Staat und Gesellschaft durch die Finanzkrise verkraftet. Wie wirkt sich die neuerliche Feuerkatastrophe psychisch auf die Bevölkerung aus?

Wir sind alle am Boden zerstört. Allein in diesem Jahr gibt es seit Januar den größten Hektarverlust in Griechenland seit vielen Jahren. 900.000 Hektar. Die ökologische Katastrophe ist unermesslich. Naturschutzzonen werden niedergebrannt, geschützte Arten wurden von den Bränden vernichtet, und speziell auf der Insel Euböa, auf der Milchprodukte und andere landwirtschaftliche Produkte hergestellt werden, um nur ein Beispiel zu nennen, wurden 20 Prozent des in Griechenland produzierten Honigs verbrannt. Und wir alle wissen, was die Zerstörung von Tausenden von Bienenstöcken für jedes Ökosystem bedeutet.

Bild: privat
Im Interview: Iliana Fokianaki​

wurde 1980 in Thessaloniki geboren. Die griechische Kuratorin, Schriftstellerin und Theoretikerin ist Gründerin von State of Concept Athens, einer gemeinnützigen Kunstinstitution, die seit 2013 in der griechischen Hauptstadt tätig ist, sowie Mitbegründerin von Future Climates, einer Plattform, die Nachhaltigkeit und Prekarität kleiner Kunstinstitutionen und Kunstschaffender untersucht.

Wie kann man Griechenland in der derzeitigen Situation helfen? Politisch, ökologisch, kulturell?

Ich persönlich denke, dass es notwendig ist, eine gesamteuropäische Einrichtung gegen Brände und Überschwemmungen zu gründen und gut zu finanzieren, also in erster Linie, um Katastrophen zu verhindern und nicht nur zu delegieren. Gerade wegen der Klimakrise werden in einigen Jahren auch in Nordeuropa Waldbrände ausbrechen. Wir brauchen Spezialisten mit erweitertem und spezifischem Wissen, weil diese Phänomene ohne Prävention nicht aufzuhalten sind, und dann natürlich spezialisierte Teams, die Katastrophen bewerten und koordinieren. Trotzdem verfügen lokale Gemeinschaften, die im und am Wald leben und arbeiten, über unschätzbares Wissen und kennen das Land auswendig. Daher sind auch ihr Wissen, ihr Zeugnis und ihre Erfahrung notwendig. Wir sehen es derzeit mit dem wütenden Feuer in Euböa: Lokale freiwillige Feuerwehrleute sagen in den griechischen Nachrichten, dass Feuerwehrleute, die von verschiedenen Orten ankommen, eine Anleitung durch diejenigen benötigen, die mit den Wegen und der Gestaltung des Waldes vertraut sind, und damit wertvolle Zeit verloren geht.

Damit allein wird es vermutlich nicht gehen …

Abgesehen von diesem allgemeinen Plan gibt es natürlich viele Bedürfnisse, aber wir alle sind bewegt von der immensen Solidarität eines großen Teils der griechischen Gesellschaft und der internationalen Hilfe. Freiwillige sind zu den Feuern gekommen, haben Waren und Medikamente gesammelt, um sie an Feuerwehrleute und evakuierte Bevölkerung zu schicken, haben alle Arten von Tieren, Haustieren, Vögeln untergebracht, ich habe von einer Frau gelesen, die eine Ziege in ihr Auto gesetzt hat … viele bewegende Geschichten. Wir brauchen, denke ich, das, was alle in den letzten Jahren der sorglosen und nationalistischen EU-Politik brauchen: Solidarität.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!