Waldbrände in Griechenland: Flammende Solidarität

Noch immer sind die verheerenden Waldbrände nicht unter Kontrolle. Der Feuerwehr fehlt es an Ausrüstung, die Be­woh­ne­r*in­nen springen ein.

Drei Männer schlagen mit Zweien auf kleine Feuerstellen, im Hintergrund Rauch

Freiwillige unterstützen die Feuerwehr in der Nähe von Athen am 06. August 2021 Foto: Joseph Galanakis/imago

ATHEN taz | In der Suppenküche des Kollektivs Elchef im linken Athener Studentenviertel Exarchia treffen am vergangenen Freitag viele Menschen aufeinander. Eigentlich ist hier, wo sonst 150 bis 200 Mahlzeiten täglich verteilt werden, jetzt Sommerpause. Gefolgt sind die freiwilligen Hel­fe­r*in­nen dennoch dem Aufruf des Suppenküchenkollektivs.

Seit nunmehr sechs Tagen sammeln und verteilen die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen Hilfsgüter wie Augentropfen, Schmerzmittel, Bandagen, Sauerstoffflaschen, Lebensmittel, Tierfutter und Wasserflaschen an die Feuerwehrleute und die Opfer der verheerenden Waldbrände in der Region Attika rund um Athen. Trotz extremer Hitze und obwohl die griechische Zivilschutzbehörde die Bevölkerung dringend dazu aufruft, ihre Wohnungen und Häuser wegen der starken Rauchbildung nicht zu verlassen, kommen am Nachmittag kontinuierlich Leute, um neue Hilfsgüter zu bringen. Es scheint so, als wolle man sich ein wenig Mut zusprechen, angesichts des hilflosen Gefühls gegenüber der kilometerlangen Feuerfront.

Denn viele Ein­woh­ne­r*in­nen Griechenlands fühlen sich derzeit wie in einem Ausnahmezustand. Ein Großteil ihres Landes steht in Flammen. Nicht nur in den Vororten von Athen und in den Waldgebieten Attikas wütet das Feuer und sind zahlreiche Häuser abgebrannt. Auch auf der Halbinsel Euböa im Norden brennen Dörfer und auch für die Region Ilia auf dem Peleponnes sind es schwierige Zeiten. Laut Expertenmeinung wurden in den vergangenen vier Tagen 50 Prozent der Fläche zerstört, die normalerweise in einer ganzen Feuersaison verbrennt.

In der Suppenküche in Exarchia erzählt Aktivistin Litsa, die ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, dass sie seit Tagen auf den Beinen sei und derzeit mit nur zwei Stunden Schlaf pro Nacht auskomme. Dreimal ist sie zuletzt mit Hilfsgütern zum Athener Vorort Varibobi gefahren, wo es ebenfalls heftig brannte. Trotz der Angst, der Kopfschmerzen und der Atemnot. „Man muss etwas tun, denn die Regierung handelt gleichgültig“, sagt die junge Frau. So wie Litsa denken wohl viele Griech*innen. Infolge der vielen Korruptionsskandale und des Missmanagements, wie zuletzt während der Coronapandemie, haben viele Bür­ge­r*in­nen das Vertrauen in die griechische Regierung verloren.

Zuspitzung: Während sich die Lage in der türkischen Provinz Antalya nach starkem Regen entspannt hat, steht nun Griechenland im Mittelpunkt der Brandkatastrophe. Große Teile der Insel Euböa und des Peloponnes stehen in Flammen. Laut Europäischem Waldbrandinformationssystem (Effis) verbrannten in Griechenland in den vergangenen zehn Tagen 56.000 Hektar Land. In den Jahren 2008 bis 2020 waren es im selben Zeitraum im Schnitt 1.700 Hektar.

Todesfälle: In der Türkei, wo das Forstministerium in 47 der 81 Provinzen mehr als 200 Brände zählte, kamen bislang mindestens acht Menschen ums Leben. In der Touristenhochburg Muğla wurden erneut ganze Stadtteile evakuiert. Zwei Tote gab es auch in Italien nahe der Stadt San Lorenzo an der italienischen Stiefelspitze. Die Regionalregierung von Sizilien hat derweil den Not- und Krisenfall erklärt.

Warnung: Indes warnt der Weltklimarat IPCC in seinem Entwurf für einen neuen Bericht, dass der Mittelmeerraum in Zukunft noch schlimmere Hitzewellen, Dürren und Brände erleben könnte. Die Temperaturen würden in den nächsten Jahr­zehnten voraussichtlich schneller ansteigen als im weltweiten Durchschnitt. Dies werde etwa die Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus unter Druck setzen. Dutzende Millionen Menschen würden von mehr Wassermangel, Küstenüberschwemmungen und potenziell tödlicher Hitze betroffen sein. Das erste Kapitel des IPCC-Papiers wird Montag vorgestellt. (dpa, afp, taz)

Keine neue Ausrüstung für die Feuerwehr

Stattdessen ist Eigeninitiative gefragt, doch manchmal kommt eben auch jedes noch so gut gemeinte Engagement zu spät. Zwei große Flüchtlingscamps, die schließlich evakuiert wurden, hätten sie mit ihren Hilfsgütern nicht mehr erreichen können, erzählt Litsa. Das Feuer hatte ihnen auf beiden Seiten der Bundesstraße von Athen nach Lamia den Weg abgeschnitten. Schockierend seien die Bilder auf dem Weg dorthin gewesen: Feuerwehrleute und freiwillige Helfer, die ohne ausreichendes Gerät eine riesige Feuerwalze bekämpften.

Denn die Ausrüstung der Feuerwehrleute im ganzen Land wurde seit 2009 nicht erneuert. Und so fehlt es vielerorts an einfachsten Einsatzmitteln wie Handschuhen, Augentropfen, Trinkwasser und Brandschutzsalben. In mehreren Berichten der griechischen Presse heißt es zudem, dass der Vertrag mit fünftausend Feuerwehrleuten für den landesweiten Brandschutz in Wäldern von der Regierung nicht verlängert wurde, obwohl die Forstämter im ganzen Land 17,7 Millionen Euro forderten. Warum die Regierung laut Webportal News247 stattdessen nur 1,7 Millionen Euro für die Brandbekämpfung zur Verfügung stellte, fragen sich viele.

So wie auch der Biobauer und Ausbilder Thodoris Arvanitis aus Afidnes, einer Ortschaft im Nordosten von Attika, der die Athe­ne­r*in­nen seit Jahren mit frischem Biogemüse beliefert. Eine ganze Nacht lang verteidigte er – entgegen den Anweisungen der Polizei – sein Stück Land mit nur ein paar Wassereimern, nachdem das Feuer seine Bewässerungsschläuche zerstörte.

Dass sein bebautes Land nur knapp dem Feuer entkam, hat er auch einem seiner ehemaligen Schüler zu verdanken, der bei der Feuerwehr arbeitet. Um 5 Uhr morgens hatte Thodoris Arvanitis einen Hilferuf in den sozialen Netzwerken gepostet, den der ehemalige Schüler gelesen hatte. In letzter Minute kam er mit einem Feuerwehrauto vorbei. Vom Staat fühlt sich Thodoris Arvanitis – so wie auch viele Griechen*innen, die zuletzt ähnliche Erfahrungen sammelten – völlig im Stich gelassen: „Auf Solidarität kann man zählen, aber nicht auf einen staatlich organisierten professionellen Brandschutz.“

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