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Doppelt hält besser: Am Montag startete Polen wie hier in Słubice die Kontrollen am Übergang zu Deutschland Foto: Lisi Niesner/reuters

Deutsch-polnische EinreisekontrollenGrenzwertig

Seit Wochenbeginn kontrolliert auch Polen die gemeinsame Grenze mit Deutschland. Die Rechtsextremen freut das. Eine Erkundung an der rot-weißen Linie.

Frederik Eikmanns
Anastasia Zejneli
Von Frederik Eikmanns, Anastasia Zejneli und Gabriele Lesser aus Frankfurt (Oder), Gubin und Słubice

D ie vier Männer in Tarnkleidung stellen sich hinter das graue Wohnmobil, strecken die Arme aus und drücken gegen die Rückseite des Wagens. Gerade noch haben sie das große Gefährt gestoppt, die Papiere des älteren Mannes kontrolliert, der hinterm Steuer sitzt, und auch einen kurzen Blick in den Wohnbereich geworfen. Nichts zu beanstanden offensichtlich. Doch jetzt, wo es weiter gehen soll, will der Motor nicht mehr anspringen, aus der Motorhaube kommt nicht viel mehr als ein trockenes Keuchen.

Es hilft nichts: Die polnischen Grenzschützer und Militärpolizisten müssen schieben, wenn aus der kurzen Grenzkontrolle am Übergang zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice keine dauerhafte Straßenblockade werden soll. Erst nur ganz langsam, dann immer schneller rollt das Wohnmobil über den Asphalt. Schließlich springt der Motor wieder an und das ältere Ehepaar fährt nach Polen hinein.

Es ist der erste Tag der polnischen Kontrollen an den Grenzen zu Deutschland, insgesamt 50 Übergänge werden seit dem vergangenen Montag überwacht, vorerst bis zum 5. August. Und auch an den 13 Übergängen von Litauen stehen jetzt Grenzschützer und Militärpolizisten. Für Europa ist das ein Rückschlag.

Bis vor Kurzem war die Oder-Neiße-Grenze zwischen Polen und Deutschland eine echte euro­päische Erfolgsgeschichte. Der einstige Aggressor Deutschland gab 1990 endgültig und ganz offiziell alle Ansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete auf, die seit Ende des Zweiten Weltkriegs Polen sind. 2004 trat Polen der EU und 2007 auch dem Schengenraum bei. Seitdem sind die Grenzstädte und die Gesellschaften zusammengewachsen. Frieden, Kooperation und Austausch, das sollte die Zukunft sein: Frankfurter*innen, die zum Einkaufen über die Grenze nach Słubice schlendern, polnische Studierende, die sich an der Frankfurter Europa-Universität Viadrina einschreiben und deutsche Autohersteller, die wichtige Komponenten aus Polen einkaufen.

Doch seit 2023 hat sich das Bild verdüstert. Deutschland führte Grenzkontrollen ein, um Geflüchtete zurückzuweisen. Seitdem stockt der Warenverkehr an der Grenze, die Lkw-Staus ziehen sich kilometerlang. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostbrandenburg berichtet von spürbaren Auswirkungen auf die Logistikbranche. Lieferungen seien nun mit einem erhöhten Zeitaufwand verbunden.

Die neue schwarz-rote Bundesregierung verstärkte die Kontrollen im Mai dieses Jahres und wies die Bundespolizei erstmals auch an, Personen zurückzuweisen, die explizit um Asyl bitten. Fast alle Ex­per­t*in­nen sehen darin einen Bruch mit dem Europarecht. Vorbei die Zeiten, in denen man die Grenzbeziehungen als Ausdruck eines neuen humanen und friedlichen Deutschlands feiern konnte. Jetzt werden erschöpfte Schutzsuchende von Bun­des­po­li­zis­t*in­nen ­zurückgeschickt. Und seit Montag kontrollieren im Gegenzug die polnischen Militärpolizisten mit ihren Tarnfleck­uniformen, den roten Baretten und den verspiegelten Sonnenbrillen. Auch wenn die Beamten freundlich beim Anschieben des Wohnmobils helfen: Ein mulmiges Gefühl bleibt. Die deutsch-polnische Grenze ist hässlich geworden.

Doppelt und vierfach: Polnische Grenzschützer müssen einen liegen­gebliebenen Wohnwagen nach Słubice schieben Foto: Frederik Eikmanns

Die Entscheidung der polnischen Regierung, ebenfalls Grenzkontrollen einzuführen, hat nicht nur damit zu tun, dass die deutschen Grenzkontrollen für Warschau ein Affront sind, der nicht unbeantwortet bleiben kann. Die Regierung von Premier Donald Tusk steht auch innenpolitisch massiv unter Druck. Das hat viel mit Menschen wie Kristian zu tun. Er steht an der Stadtbrücke gegenüber von den Militärpolizisten in Słubice und guckt zu, wie sie das Wohnmobil anschieben. Neben ihm sind zwei Banner an der Balustrade befestigt. „Stoppt Migration“ fordern sie auf Polnisch und Englisch. Kristian, schwarze Bauch­tasche, kurze Jeanshose und T-Shirt, ist Lagerarbeiter und lebt seit acht Jahren in Brandenburg. Er nutzt seinen freien Tag, um die Grenzkontrollen zu beobachten, erzählt der gebürtige Pole auf Deutsch. Warum er sich gegen Migration ausspricht?

Kristian argumentiert wie aus dem Lehrbuch der polnischen Rechtsextremen. Die Staus an der Grenze seien ein „Deutschland-gemachtes Pro­blem“ und illegale Migration die Ursache für die hohe Kriminalitätsrate in Deutschland. Um ein sicheres Land zu bleiben, „soll Polen alle Grenzen dichtmachen“. In Polen soll es am besten gar keine „Schwarzen“ mehr geben, fordert er.

Kristian ist inhaltlich damit auf einer Linie mit einer selbsternannten Bürgerwehr. Seit Frühjahr dieses Jahres organisiert eine Gruppe um den polnischen Nationalisten Robert Bąkiewicz Demonstrationen gegen Migrant*innen. Videos im Internet zeigen einen muskulösen Mann mit ernstem Blick, der sich sichtlich Mühe gibt, seriös zu erscheinen, doch sein straff zur Seite gegeltes Haar verrät ihn als Rechten. Auf Anfragen der taz für ein Treffen oder ein Gespräch reagiert er nicht. Dabei ist er in den vergangenen Wochen zu einer öffentlichen Figur geworden. Zuletzt traf er sich gar mit dem polnischen Innenminister, um über die Lage an den Grenzen zu reden.

Aufnahmen zeigen, wie die Bürgerwehren Geflüchtete rabiat aus Autos ziehen und sie an die Polizei übergeben

Erkämpft haben sich Bąkiewicz und seine Anhänger diesen Machtgewinn, indem sie sich in Aufgaben einmischten, die eigentlich dem Staat vorbehalten sind. Im Netz finden sich Videos, in denen Mitglieder der selbst ernannten Bürgerwehr an den Grenzen zu Deutschland stehen und diese „überwachen“. Offizielle Befugnisse dafür haben sie nicht. Trotzdem zeigen die Aufnahmen, wie die selbst erklärten Grenzschützer Geflüchtete rabiat aus Autos ziehen und sie an die Polizei übergeben. Auf den meisten ihrer gelben Schutzwesten steht „Bewegung Grenzverteidigung“, verziert mit einem Adler mit Königskrone, einem Grenzpfosten und einem weiß-rot gestreiften Speer mit Säbelspitze.

Kristian sagt, er gehöre nicht zu der Gruppe, ihre Arbeit lobt er trotzdem. Sie halte die „Flut an Migrant*innen“ zurück, sagt er. Er ist überzeugt, dass Deutschland nicht nur offiziell zurückweist, sondern nachts heimlich Asylsuchende durch den Wald nach Polen abschiebt – eine „unbemerkte Invasion“.

Mit der Realität hat das nicht viel zu tun. Gerade einmal 330 Asylsuchende hat die Bundespolizei seit Anfang Mai zurückgewiesen – an allen deutschen Grenzen zusammen. Dazu kommen weitere 5.500 Personen, die zurückgewiesen wurden, ohne ein Asylgesuch geäußert zu haben. Zwar gibt es schon seit Längerem deutliche Hinweise, dass die Bun­des­po­li­zis­t*in­nen Asylgesuche gern mal überhören, doch so oder so: Die große Invasion, von der Kristian raunt, ist das bestimmt nicht.

Längst nicht alle teilen Kristians Freude über die Grenzkontrollen. Auf der deutschen Seite der kleinen Brücke in Frankfurt stehen fünf Bür­ge­r*in­nen mit selbst gebastelten Schildern. Einer von ihnen ist Jan Augustyniak, er will sich von den Kontrollen der polnischen Behörden nicht einschüchtern lassen. Das „Wettrüsten an der Grenze“ sei Symptom der fehlenden Kommunikation zwischen den Regierungen Polens und Deutschlands – zum Nachteil der Menschen vor Ort. „Es herrscht viel Unsicherheit“, sagt er. Am Ende bleibt jeder auf seiner Seite, sorgt sich Augustyniak, und das „für ein wenig Symbolpolitik“.

Bei den polnischen Maßnahmen ist noch nicht einmal klar, gegen wen sie sich genau richten. Sollen Zurückgewiesene aus Deutschland in Polen erneut abgewiesen werden? Offizielle Aussagen von polnischen Politikern gibt es dazu nicht. Ein solches Vorgehen würde Geflüchtete endgültig zum Spielball eines absurden Überbietungswettstreits machen, wer die härteste Linie fährt.

Kristian (hier bereits mit Bürgerwehr-Weste) steht auf der Stadtbrücke in Słubice Foto: Anastasia Zejneli

An der Grenze zwischen Polen und Belarus kann man sehen, wohin das im Extremfall führen kann. Die belarussische Regierung schickt gezielt Geflüchtete aus dem globalen Süden über die Grenze, um Druck auf Polen und die EU auszuüben. Warschau reagierte mit einem Hightechzaun an der Grenze. Seitdem treiben belarussische Sicherheitskräfte Mi­gran­t*in­nen nach Polen, wo sie von polnischen Grenzschützern zurückgeschickt werden – ein Spiel in „Ping-Pong-Manier“, wie die links-liberale Gazeta Wyborcza einst schrieb, das oft erst endet, wenn die Menschen irgendwo aufgenommen werden. Manche gehen auf der Suche nach Freiheit und einem besseren Leben in den polnisch-belarussischen Sümpfen „verloren“ oder sterben an Unterkühlung, Hunger und Durst. Die Hilfsorganisation We are Monitoring zählte bisher 97 solcher Todesfälle.

In den ersten drei Monaten dieses Jahres dokumentierte der polnische Grenzschutz rund 2.200 Versuche der Grenzüberschreitung aus Belarus. Daraufhin schränkte die Mitte-Links-Regierung unter Donald Tusk Ende März 2025 das Recht auf Asyl an dieser Grenze ein. Erst sollte die neue Regelung nur für 60 Tage gelten, doch inzwischen wurde sie für weitere 60 Tage verlängert. Ausgenommen sind lediglich schwangere Frauen, Schwerkranke und unbegleitete Minderjährige.

Für die Rechtsradikalen der Bürgerwehr an der polnisch-deutschen Grenze scheint diese Politik ein Vorbild zu sein. Ihre Social-Media-Kanäle erwecken den Anschein, als ob sich die Mehrheit der polnischen Bevölkerung an der deutschen Grenze um die vermeintliche Flut an Mi­gran­t*in­nen sorgt. Aber stimmt das?

Ortsbesuch im polnischen Gubin, etwa 70 Kilometer südlich von Frankfurt (Oder). Keine 24 Stunden vor den taz-Reporter*innen war auch Bürgerwehr-Chef Robert Bąkiewicz hier, wie ein Video auf der Plattform X zeigt. Vor einem Blumenladen nahe der Grenze spricht er mit finsterem Blick in ein Mikrofon. Die deutschen Grenzkontrollen seien eine „Provokation“, die seine Gruppe ganz genau beobachten wolle. Dafür habe er die ­Unterstützung der breiten Öffentlichkeit, behauptet er.

Doch jetzt ist von Bąkiewicz keine Spur mehr zu finden. Fragt man im Ort herum, ist auch nicht viel von dem Unmut zu hören, von dem er so gern spricht. Die Inhaberin des Blumenladens, vor dem Bąkiewicz im Video steht, will sich nicht äußern. Sie sei „Floristin und keine Politikern“, sagt sie. Auch auf dem Markt hinter dem Einkaufszentrum sind die Leute entspannt. „Es wurde zu einem größeren Problem gemacht, als es eigentlich ist“, erzählt eine Verkäuferin, vor ihr Schalen mit Blaubeeren und Erdbeeren. Die polnischen Grenzbeamten würden zwar immer wieder mal einen Kleinbus zur Seite ziehen, der Verkehr fließe aber weiterhin fast ungestört durch die Fahrbahnverengung.

Von der „deutschen Provokation“ ist ebenfalls wenig zu spüren. Tatsächlich ist auf der anderen Seite der Grenze gar keine richtige Kontrolle zu erkennen, nur einige Straßenbiegungen landeinwärts stehen ein paar Beamte des Zolls, offenbar auf der Suche nach Zigarettenschmugglern, nicht nach Geflüchteten.

Einige Stunden später, zurück in Frankfurt (Oder), trifft die taz dann doch auf Bąkiewicz und seine Bürgerwehr. Er steht einfach da, wenige Meter vom Kontrollposten der polnischen Militärpolizei entfernt, in Jeans und einem dunkelblauen T-Shirt, das sich über seinen Bierbauch spannt. Sein Blick ist besorgt-aggressiv, wie in den Videos. Er ist kleiner als erwartet. Nach einigem Zögern erklärt er sich zu einem Gespräch bereit. Ein glatzköpfiger Mann weicht ihm dabei nicht von der Seite und filmt die taz-Reporter*innen – ein klassischer Einschüchterungsversuch, wie man ihn von Rechts­extremen kennt.

Eine Gruppe um den polnischen Nationalisten Robert Bąkiewicz (im braunen Anzug) demonstriert gegen Mi­gran­t*in­nen Foto: Weronika Kowalska/imago

„Wir haben als Gesellschaft, als Nation beschlossen, für unsere eigene Sicherheit zu sorgen“, sagt Bąkiewicz. „Weil die Behörden bisher versagt haben.“ Für ihn ist klar: Seine Bürgerwehr hat die polnische Grenzschutzbehörde zum Eingreifen gezwungen. Für ihn und viele Anhänger der nationalpopulistischen PiS bis zur rechtsextremen Konfederacja ist Polens Premier Donald Tusk nur eine Marionette deutscher und europäischer Politik. „Donald Tusk wäre ohne Deutschland, ohne die Unterstützung deutscher Politiker, niemals wieder an die Macht in Polen zurückgekehrt“, behauptet er. Die Bürgerwehr, ein Dorn im Auge der Regierungsparteien, kommt dagegen bei dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda gut an. Er lobte zuletzt die Mühen der Männer in gelben Westen.

Einige von ihnen sitzen hinter Bąkiewicz auf Plastikstühlen. Überwiegend sind es ältere Herrschaften, die Füße teils in Flipflops. Auch ein glatzköpfiger Hüne ist dabei, über dessen Schädel zwei tiefe Narben verlaufen. Eine bekannte Figur hat sich ebenfalls unter die Gruppe gemischt: Kristian, der polnische Lagerarbeiter, der in Brandenburg lebt und davon raunte, die Deutschen würden heimlich Geflüchtete durch den Wald nach Polen schleusen.

Hatte er zuvor noch behauptet, mit der Bürgerwehr nichts zu tun zu haben, trägt er nun eine gelbe Weste und steht mit verspiegelter Sonnenbrille und verschränkten Armen neben den anderen Männern. Wortkarger gegenüber der taz ist er auch geworden, einige Fragen beantwortet er dann aber doch. Ist er nun doch Teil der Gruppe? Er sei an diesem Tag beigetreten, erzählt er nun auf Polnisch. Wenn er frei habe, werde er die nächsten Tage wieder an die Grenze fahren, um die Arbeit der Behörden zu beobachten, sagt er. Den Druck hochhalten.

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1 Kommentar

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  • Wohne ja selbst direkt am deutsch-polnischen Grenzübergang und das viel größere Problem, über das komischerweise nie berichtet wird, ist die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Die polnische Stadt auf der anderen Seite ist seit Jahrzehnten die statistisch gefährlichste Stadt Polens und unsere Altstadt hat auf deutscher Seite eine Kriminalitätsrate 4mal höher als vergleichbare Städte 30km landeinwärts.



    Bei uns kamen die Einbrecher durchs Kinderzimmefenster. Wir haben Bekannte die hatten 3 Einbruchdiebstähle in einem Jahr. Auf beiden Seiten der Grenze wollen alle mehr Kontrollen und wurden dafür zumindest auf deutscher Seite jahrelang zu Nazis erklärt. Natürlich lässt sich diese Stimmung von den Populisten dann einfach nutzen. Die eigene Bevölkerung zu ignorieren funktioniert halt nur für bestimmte Zeit.