Gregor Gysi für deutsche Waffenexporte: „Größeres Unheil verhindern“
Linkspartei-Fraktionschef Gysi fordert, dass Deutschland Waffen an PKK, Peschmerga und den Irak exportiert. Nur so könne der Terror von IS gestoppt werden.
taz: Herr Gysi, tut Deutschland genug, um Jesiden und irakische Christen vor der Terrorgruppe IS zu retten?
Gregor Gysi: Wir sollten uns an den Hilfslieferungen noch umfangreicher beteiligen. Außerdem müssen die Nato und Deutschland dafür sorgen, dass die Kräfte im Irak und Kurdistan in der Lage sind, IS zu stoppen.
Das heißt konkret?
Eigentlich bin ich strikt gegen deutsche Waffenexporte. Da aber Deutschland ein wichtiges Waffenexportland ist, könnte in diesem Ausnahmefall ein Waffenexport dorthin dann statthaft sein, wenn andere Länder dazu nicht unverzüglich in der Lage sind. Mit Protestbriefen wird man IS nicht stoppen.
In Deutschland ist der Export von Waffen in Spannungsgebiete verboten. Darüber wollen Sie sich einfach hinwegsetzen?
Das ist kein Verbot, sondern eine Richtlinie, an die sich die Bundesregierungen bedauerlicherweise selten halten. Deutschland liefert Waffen nach Nahost. Und nach Saudi-Arabien, das mit deutschen Waffen in einem Nachbarland einmarschiert ist.
Und jetzt, nach Ihrem Willen, nach Kurdistan?
In dieser Notsituation ist das erforderlich, um größeres Unheil zu verhindern.
66, seit 2005 Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke.
Die PKK gilt in der EU als terroristische Organisation …
Dann muss die EU dies eben ändern. Die Peschmerga und auch die PKK haben den Korridor für die zivilen jesidischen Flüchtlinge gesichert, die vor IS fliehen. Deshalb müssen wir uns die PKK nicht schönreden. Sie ist aber keine völkermordende Terrorgruppe wie IS. Das ist doch ein wesentlicher Unterschied. Und: Was bleibt uns sonst übrig?
Wenn der Westen PKK und Peschmerga aufrüstet, droht mittelfristig eine Eskalation mit der Türkei und Irak …
Das kann zu Instabilitäten führen. Aber das müssen wir riskieren. Ich halte einen kurdischen Staat für eine Möglichkeit, die langfristig für mehr Stabilität sorgen kann. Die Juden haben erst international einen Schutz, seitdem es Israel gibt.
Die Bombardierungen durch die USA behindern den IS-Vormarsch. Ist dieser Militäreinsatz richtig?
Nein. Erstens: Mit dem Krieg der USA gegen den Irak 2003 ist etwas angerichtet worden, wofür wir heute noch teuer bezahlen. Ohne George W. Bush gäbe es den IS-Terror nicht.
Aber die Bombardierungen jetzt haben doch das gleiche Ziel, das Waffenexporte an Kurden hätten: Isis zu stoppen …
Das stimmt. Aber die US-Regierung wird diesen Einsatz nutzen, um künftige militärische Schläge zu legitimieren. In Libyen haben die USA gegen den Willen der dortigen Regierung bombardiert. China und Russland haben Militäreinsätzen gegen Gaddafi anfangs zugestimmt – dann wurde das Mandat für die Einsätze immer mehr ausgeweitet. Ich bin zutiefst misstrauisch gegen US-Militäreinsätze.
Sie sind gegen Luftschläge gegen IS, nur weil es US-Bomben sind?
Ich sehe den Nutzen durchaus. Aber: Die USA als Weltpolizist, der immer seine eigenen Interessen vertritt, das kann nicht die Lösung sein.
Was kann Deutschland tun?
Wir müssen mit der türkischen Regierung ernsthaft darüber reden, warum Isis türkisches Gebiet nutzen darf. Erdogan reagiert so phobisch auf Syrien, dass er sogar Terroristen auf seinem Boden duldet. Dagegen muss etwas unternommen werden.
Nämlich?
Wenn das nicht hilft, müssen wir drohen, die Bundeswehrraketen an der türkisch-syrischen Grenze zurückzuziehen, die ich ohnehin für falsch halte.
Ulla Jelpke hält „möglicherweise militärische Aktionen“ für nötig …
Damit meint sie wie ich irakische und kurdische Verbände.
Ein kühner Satz für eine Antikriegspartei …
Ja, das ist kühn. Aber: Wir haben nie das Recht auf Landesverteidigung bestritten. Auch die Bundeswehr soll Deutschland verteidigen, falls es angegriffen wird. In Syrien, Irak und den kurdischen Gebieten haben wir es mit einem Angriffskrieg der Isis-Armee zu tun, der zurückgedrängt werden darf und muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe