piwik no script img

Graphic Novels über ArchitektenArchitekten mit Abgründen

Mies van der Rohe und Le Corbusier waren Visionäre der Moderne. Nun widmen sich zwei Comics den bewegten Biografien der Männer.

Der Pavillon Le Corbusier ist das letzte Werk des Jahrhundertarchitekten Foto: dpa

Roter Onyx. Als der Architekt Mies van der Rohe den Marmorblock in einer Steinmetzwerkstatt entdeckt, sagt ihm der Handwerker, dass der bereits für andere Zwecke reserviert sei. Doch Mies lässt sich nicht abhalten. Mit dem Hammer zerschlägt er den Stein, um Tatsachen zu schaffen. Er hat eine Vision: Aus diesem Material will er eine freistehende Wand im Deutschen Pavillon zur Weltausstellung in Barcelona bauen.

Als der spanische König Alfons XIII. den fertigen Pavillon später – 1929 – besucht, fragt er den Architekten, ob der Bau noch nicht fertig sei, da manche Teile offenbar keinem Zweck dienten. „Er dient der Repräsentation und der Schönheit“, antwortet der Architekt unwirsch.

Der heute auch „Barcelona-Pavillon“ genannte Bau, der nach der Weltausstellung abgerissen, aber in den 80er Jahren rekonstruiert wieder in der katalanischen Metropole aufgebaut wurde, ist Mies van der Rohes einziges Werk in Spanien. Nicht verwunderlich also, dass ein spanischer Comiczeichner mit diesem Bau ins Leben von Mies einführt. Der Pavillon besticht bis heute durch seine klaren Formen und seine kühle Eleganz, damals war er ein Meilenstein der Moderne.

„Mies – Ein visionärer Architekt“ nennt sich die Graphic Novel des Spaniers Agustín Ferrer Casas, die von Ludwig Mies van der Rohe (1886–1969) erzählt. Der Mensch hinter der Architektenlegende ist, wie so viele seiner Zunft, eher nur einem Fachpublikum bekannt, sodass es reizvoll ist, ihn als Protagonisten einer Graphic Novel kennenzulernen.

Sohn eines Steinmetzes

Der Sohn eines Steinmetzmeisters arbeitet zunächst in Büros so namhafter Architekten wie Bruno Paul und Peter Behrens. Trotz erster Erfolge mit modernen Bauten wie der Villa Tugendhat in Brünn (1929/30) und dem Barcelona-Pavillon findet Mies nur mit Mühe Aufträge und wendet sich der Lehre zu, wird Leiter des Bauhauses in Dessau.

Der 1971 geborene Zeichner Agustín Ferrer Casas ist selbst studierter Architekt und hat parallel zu seiner beruflichen Tätigkeit kontinuierlich Comics veröffentlicht. Für „Mies“ hat er sich intensiv mit dessen Werk auseinandergesetzt und in einem naturalistischen, gelegentlich mit karikierenden Elementen versehenen Stil (der ein wenig an den seines Landsmanns Miguelanxo Prado erinnert) ein plastisches Charakterporträt des Architekten geschaffen.

Der ausdrucksvolle, kantig wirkende Kopf der Hauptfigur weist auf dessen starken Charakter hin, der sich trotz vieler Rückschläge immer wieder behaupten konnte – sei es im Konkurrenzkampf mit Bauhaus-Gründer Walter Gropius, in der NS-Zeit oder in seiner neuen Heimat Amerika, wo er ab 1938 lebte.

Die Comics

Agustín Ferrer Casas: „Mies – Mies van der Rohe“. Carlsen Verlag, 176 Seiten, 20 Euro. Und:Andreas Müller-Weiss: „Der Pavillon“. Edition Moderne, 72 Seiten, 29 Euro

„Weniger ist mehr“

Die Rahmenhandlung bildet ein Gespräch in den 60er Jahren, das ein Enkel von Mies mit dem Großvater während eines Transatlantikflugs führt. Ferrer Casas springt dabei immer wieder zwischen den Zeitebenen vor und zurück und kommt wiederholt auf eine Schlüsselepisode zurück: das Ende des Bauhauses in Dessau, wo die Nazis bereits 1932 eine Mehrheit im Stadtrat bilden. Mies will das Bauhaus unpolitisch führen und kann doch die Schließung nicht verhindern. In Berlin wiederholt sich der Vorgang.

Nach der Machtergreifung der NSDAP muss Mies um Aufträge kämpfen und versucht sich mit dem Regime zu arrangieren. Doch ohne Erfolg: In einer Sequenz ist zu sehen, wie seine neuartigen Entwürfe von abstrakten, gläsernen Bauten Hitler vor Wut toben lassen – der einen groben Neoklassizismus bevorzugt. Erst in den für neue Ideen offenen USA gelingt es Mies, an größere Aufträge zu kommen – Wolkenkratzer-Visionen hatte er schon in den 20er Jahren in Berlin gezeichnet.

So steigt er zu einem der einflussreichsten Architekten auf, der mit minimalistischen Entwürfen („Weniger ist mehr“) von Stahlgerüstbauten und großflächigen Glasfassaden richtungsweisend für eine ganze Generation wird.

Kritisch zeichnet Ferrer Casas Mies’ Verhältnis zu Frauen. Die Ehe zu seiner ersten Frau Ada scheitert an seinem Egoismus, und auch die enge private wie berufliche Liaison mit der Innenarchitektin Lilly Reich (sie hatte unter anderem den Barcelona Pavillon mitgestaltet) fand durch Mies’ eigenmächtige Abreise nach Amerika ein jähes Ende. Insgesamt gelingt dem spanischen Zeichner ein pointierter Einblick in die Vita eines widersprüchlichen Genies, bei dem man auch dessen wichtigste Bauten bis hin zur Berliner Neuen Nationalgalerie kennenlernt.

Abbildung aus „Der Pavillon“ von Andreas Müller-Weiss Foto: Edition Moderne

Nicht weniger einflussreich war Mies’ Schweizer Zeitgenosse Le Corbusier (1887–1965), der bürgerlich Charles-Édouard Jeanneret-Gris hieß. Sein Pseudonym lehnte sich an den Namen seiner Urgroßmutter wie auch an das französische Wort „corbeau“ für Rabe an. Der 1945 geborene Schweizer Zeichner Andreas Müller-Weiss – ebenfalls ein Architekt mit Comic-Affinität (zuletzt erschien 2014 „Der Farbanschlag“ bei Edition Moderne) – greift dieses Namens-Wortspiel spitzbübisch auf, indem er seine neue Graphic Novel „Der Pavillon“ mit einer die Seiten durchziehenden Raben-Spur konterkariert.

Im Mittelpunkt steht der aus Stahl und Glas bestehende „Pavillon Le Corbusier“ in Zürich. Eine Studentin stößt den (auch als Figur auftretenden) Zeichner auf eine mysteriöse Verschwörungsgeschichte rund um diesen Bau, was wiederum zu anderen Architekturen führt, die einen Bezug zu „Corbu“ haben.

Ein Mord kommt hinzu: 1996 wird der Arzt Dr. Kaegi an der Côte d’Azur ermordet aufgefunden – im „Haus E-1027“ in Roquebrune, das von der Designerin Eileen Gray und dem Architekten Jean Badovici erbaut wurde. Von hier aus nahm die Mäzenin Heidi Weber 1958 Kontakt zu Le Corbusier auf, der in der Nähe wohnte, und überredete ihn zum Bau des Zürcher Pavillons.

Müller-Weiss zeichnet ein verzwicktes Krimi-Puzzle auf mehreren Zeitebenen, das um Le Corbusier, Heidi Weber und eine weitere reiche Dame namens Marie-Louise Schelbert kreist, die „E-1027“ mitsamt Wandgemälden Le Corbusiers kaufte und es später ihrem Hausarzt Dr. Kaegi vererbte. In bunt-mediterraner Aquarellierung entwickelt sich ein immer schrägeres Spiel um einige Bauten und Kunstobjekte der Moderne, deren komplexe Zusammenhänge man sich erst mithilfe des reichhaltigen Anhangs in Gänze erschließen kann.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!