piwik no script img

Graphic Novel über Simone de BeauvoirMit großem Freiheitsdrang

Eine Graphic Novel zeichnet Simone de Beauvoir's Lebensweg bis zur gefeierten Philosophin nach. Und setzt der Existenzialistin ein Denkmal.

Sich selbst erschaffen: Simone de Beauvoir fordert heraus Foto: Julia Bernhard/rowohlt

„Ich möchte vom Leben alles“: Das titelgebende Zitat, das die Autorinnen dieser neuen Graphic Novel, Julia Korbik und Julia Bernhard, ausgewählt haben, könnte das Leben Simone de Beauvoirs kaum besser zusammenfassen. Diese Denkerin stand schließlich für mehr Freiheit, mehr intellektuelle Optionen, aber auch für mehr Gelegenheiten, sinnlich zu genießen.

Sie wolle „eine Frau, aber auch ein Mann sein, viele Freunde haben und allein sein, viel arbeiten und gute Bücher schreiben, aber auch reisen und mich vergnügen, egoistisch und nicht egoistisch sein“, so charakterisierte sie sich selbst einmal. Andere Menschen gingen ihr bei dieser Suche manchmal auf die Nerven – und je später sie in ihr Leben traten, je stärker sie in Verehrung vor der renommierten Intellektuellen erstarrten, umso mehr.

Das Buch von Bernhard und Korbik zeichnet, dicht an der Verehrung, den Weg eines herausragend klugen und entschlossenen Mädchens bis zur gefeierten Philosophin nach. Die Moral der Studentin mit dem Spitznamen „Castor“ (abgeleitet von Beauvoir, das Kommilitonen zu Beaver verkürzt und dann als Castor übersetzt hatten) forderte Zeit­ge­nos­s:in­nen früh heraus. Ihr Freiheitsdrang machte vor Lieb- und Freundschaften nicht halt, die sie abschießen und abschließen konnte, sobald ein Gefüge ihr nicht mehr taugte.

Simone Superstar

Spannend an der Darstellung als Comic ist zunächst die Leidenschaft für das Sujet, die sich im Bild noch unmittelbarer auf den Leser überträgt als im bloßen Wort. Simone wird buchstäblich als Superstar gezeichnet. Die Graphic Novel hat schon optisch einen klaren Fokus: Beauvoir und sonst keine, insbesondere keinen anderen.

Die reduzierten Striche von Grafikerin Julia Bernhard setzen. de Beauvoir ein optisches Denkmal. Schwarz, weiß, senfgelb und ein düster gehaltenes Szenenbild – Cafés, Großstädte, Theater, Jazzclubs –, das alles imitiert den existenzialistischen Stil der Zeit.

Die Wortebene, verfasst von der 35-jährigen Autorin und Journalistin Julia Korbik, konzentriert sich auf die Gedanken der Existenzialistin. Korbik hatte zuvor mit „Oh, Simone! Warum wir Beauvoir wiederentdecken sollten“ eine moderne Einordnung von Beauvoirs Denken geschrieben, daneben feministische Ratgeber wie „How to be a girl“ oder „Stand up“.

Simone und Jean-Paul Satre

Die Entwicklung von Beauvoirs Weltbild, ihr Umdenken nach Kriegsbeginn, haben die Autorinnen akribisch aus ihren Werken zusammengesucht und auf Schlüsselsätze reduziert, um den Bildern ihren Raum zu lassen. Zeit­ge­noss­:innen werden als Randfiguren erzählt, die einige Seiten dabei sind und dann verschwinden, selbst Jean-Paul Sartre, ihr Seelenpartner seit Studientagen. Er spielt nahezu keine Rolle, wohl aber ihre Briefe an ihn, oder ihre Abkehr vom bürgerlichen Elternhaus (auch) durch ihn.

Die Graphic Novel

Julia Korbik und Julia Bernhard:

Simone de Beauvoir: Ich möchte vom Leben alles.

Rowohlt, Hamburg 2023

224 Seiten, 25 Euro

Eine wichtigere Funktion bekommt die Beauvoir-Biografin, die amerikanische Schriftstellerin Deirdre Bair: Mit ihrer Zusammenarbeit beginnt das Buch, und diese zweite, zeitlich entkoppelte Erzählebene mit den Protagonistinnen Deidre und Simone wird in den Vordergrund gehoben, wo Struktur dem Verständnis der Abläufe dient. Dieser Kniff funktioniert – wie auch die Kapitelbrüche, die Jahre überspringen und uns zu den wichtigsten Stationen führen – wie eine Landkarte, wo das Beziehungsgeflecht zu komplex zu werden droht.

En passant erfahren wir vom Tod von Beauvoirs Freundin Zaza, die das konventionelle Leben anscheinend umbringt, oder vom sogenannten Trio: Das Paar Beauvoir-Sartre führte nach eigenem Bekennen eine „morganatische Ehe“ und bildete eine stabile bilaterale Achse, um die sich Affären gruppierten, etwa mit der damals 17-jährigen Bianca Bienenfeld oder der Schauspielerin Olga Kosakiewicz.

Aus dem besprochenen Band über Simone de Beauvoir Foto: Julia Bernhard/rowohlt

Abtreibung und Alice Schwarzer

Auch die junge Alice Schwarzer tritt auf: Zur Planung der weltberühmten Kampagne, bei der sich 343 Frauen im französischen Magazin Nouvel Observateur zu Abtreibungen bekannten, trafen sich die Aktivistinnen um Schwarzer in Beauvoirs Privaträumen.

Mit der Verfassungsänderung des Abtreibungsparagrafen in Frankreich endet dieses wichtige Lebenskapitel – und ein insgesamt recht eindrucksvolles Buch.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Danke. Um aber dieser arg kritiklos-banalen Ikonenmalerei zu entgehen!



    Schlage ich als Antidot die Grafik Novel “Frantz Fanon“ vor.



    (©️“Rettet die Verdammten dieser Erde!“)



    “…. Den Rahmen des Buches bildet die in weiten Teilen imaginierte Reinszenierung einer Debatte, die Frantz Fanon im August 1961 in einer römischen Hotelbar über drei Tage mit Jean-Paul Sartre geführt hat, der ihn mit den Worten begrüßte: „Der meistgehasste Philosoph Frankreichs freut sich, seinen größten Revolutionär zu treffen.“ Das Treffen fiel in einen markanten Moment der Geschichte: Die Dekolonisation war weit fortgeschritten, das Ende des algerischen Unabhängigkeitskrieges stand kurz bevor, und in Berlin wurde gerade die Mauer errichtet.

    Frédéric Ciriez und Romain Lamy: „Frantz Fanon“.



    Frédéric Ciriez und Romain Lamy: „Frantz Fanon“. Bild: HAMBURGER EDITION



    Anwesend bei diesem Gespräch waren überdies Simone de Beauvoir sowie der Filmemacher Claude Lanzmann, seinerzeit zudem Herausgeber der einflussreichen Zeitschrift Les Temps Modernes. Fanon freilich, so berichtete seine Biographin Alice Cherki, hätte Sartre lieber allein getroffen: „Aber Simone war allgegenwärtig, sie hat uns nicht unter vier Augen sein lassen.“ De Beauvoir wiederum beschrieb Fanon in ihren Memoiren „Der Lauf der Dinge“ als „von scharfem Verstand, außerordentlich lebendig, mit einem düsteren Humor begabt . . . Alles, was er erzählte, war so plastisch, dass man es hätte mit den Händen greifen können.“



    Von dessen Krankheit wusste sie zum Zeitpunkt der Begegnung nichts.…“



    www.faz.net/aktuel...anon-17642956.html