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Görlitzer Park in Berlin-KreuzbergUnser neuer Mitbewohner: der Zaun

Die Debatte über den Zaun um den Görlitzer Park tobt weiter. Dabei muss man das Drogenproblem in Kreuzberg klar benennen: als Epidemie.

Der Zaun um den Görli ist nur ein Symptom der eigentlichen Epidemie: Drogensucht Foto: Jörg Carstensen/dpa

A m winzigsten Eingang zum Görlitzer Park haben die Bauarbeiten begonnen. Auf einem halben Quadratmeter wurde Kopfsteinpflaster ausgebuddelt und ein bisschen Erde, außerdem wurden zwei Baustellenzäune aufgestellt. Vier Arbeiter stehen an diesem Freitag um das kleine Loch, machen ein Foto und Feierabend.

Frühestens im Dezember sollen die wahlweise Zaun oder Mauer genannten Absperrungen fertig sein, mit denen der Park nachts unzugänglich werden soll. Mein Kreuzberger Hauseingang ist seit Neuestem jetzt auch durch ein Tor verbarrikadiert. Wir Anwohner mit Mietvertrag, alle mit Migrations- und Arbeiterhintergrund und seit Jahrzehnten in diesem Haus mit Kohleofen lebend, feierten die Ankunft des Schutzwalls.

Ein bizarrer Moment, aber die Zustände waren in den letzten Jahren einfach unerträglich geworden. Unsere Mit­be­woh­ne­r*in­nen ohne Mietvertrag, die in unserem Treppenhaus Papier abfackelten, um ihre Crackpfeifen anzuzünden, sich von den Strapazen des Crackrauchens erholten, Scheiße­haufen auf dem Boden hinterließen oder in unser Türschloss schmierten und uns verfluchten, wenn wir darum baten, dass sie uns Platz machten, um in unser Haus zu kommen, müssen jetzt woanders hin.

Das Drogenproblem ist nicht gelöst. Vorläufig aber verlasse ich jetzt abends wieder meine Wohnung, ohne Angst davor zu haben, wieder nach Hause zurückkommen zu müssen.

Die Debatte über den Zaun um den Görlitzer Park endet unter Linken immer so: Das löst doch kein Problem, verschiebt es nur noch mehr in euren Kiez.

Schlimmer geht immer

Über den Verweis auf die Verschlimmerung der Zustände kann ich nur lachen. Klar, schlimmer geht immer, aber die Lage hier ist halt so schlimm, dass man als An­woh­ne­r*in bereits selbst Psychosen entwickelt hat, ohne jemals an der Crackpfeife gezogen zu haben.

Seit einigen Jahren nenne ich das, was sich nicht nur vor meiner Kreuzberger Haustür, im Frankfurter Bahnhofsviertel, in der Kapellenstraße von Paderborn oder im Justizviertel von Hannover abspielt, eine Epidemie. Viele halten das für übertrieben, sagen: „Das ist deine subjektive Wahrnehmung.“

Der Drogenbeauftragte der Ampelregierung, der letztes Jahr verkünden musste, dass es in Deutschland 2023 so viel Drogentote wie noch nie gab, konstatierte, dass der zunehmende Konsum von Crack die deutschen Großstädte „vor Probleme stelle“ und eine „Herausforderung für die Gesundheit, aber auch für das Zusammenleben“ sei. Der Drogenbeauftragte der neuen Regierung konnte vor ein paar Tagen für 2024 zwar verkünden, dass die Zahl der Drogentoten etwas zurückgegangen ist (in Berlin ist sie hingegen so hoch wie nie), charakterisiert die Lage aber als „quasi pandemische Dynamik“.

Wenn ich in Gesprächen die Bilder aus Los Angeles anführe und sage, dass die Bilder vom Berliner Herrmannplatz oder dem Frankfurter Bahnhof mittlerweile schon Ähnlichkeiten haben, wird immer gleich gekontert, dass das in den USA ja ganz andere Gründe habe. Na gut.

Koka statt Schlafmohn

Dass es eine Kokainschwemme gibt, ist unbestritten. Als Grund werden die Taliban genannt, die den Anbau von Schlafmohn in Afghanistan verboten haben. Aus ihm wird Opium gewonnen, die Grundlage für Heroin. Synthetische Drogen wie Fentanyl traten an seine Stelle, oder eben Crack.

Die Gründe für den gestiegenen Konsum liegen aber auch in zunehmender Wohnungslosigkeit. Wer auf der Straße lebt, läuft große Gefahr, sich für ein paar Euro aus dem elenden Leben zu beamen.

Warum es über die Drogenepidemie, die deutsche Städte bedroht, keine Lanz-, Maischberger- und Illner-Talks gibt, warum darüber nicht mit dem gleichen Alarmismus wie über Trump, Putin, Gaza diskutiert wird, ist mir ein immer größer werdendes Rätsel.

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Doris Akrap
Redakteurin
Ressortleiterin | taz zwei + medien Seit 2008 Redakteurin, Autorin und Kolumnistin der taz. Publizistin, Jurorin, Moderatorin, Boardmitglied im Pen Berlin.
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15 Kommentare

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  • "Warum es über die Drogenepidemie, die deutsche Städte bedroht, keine Lanz-, Maischberger- und Illner-Talks gibt, warum darüber nicht mit dem gleichen Alarmismus wie über Trump, Putin, Gaza diskutiert wird, ist mir ein immer größer werdendes Rätsel."

    Weil die Politik dann auch erklären müsste, warum sie immer mehr den Sozialstaat und Hilfsangebote für Betroffene abbaut, anstatt Hilfe und Lösungen anzubieten. Und das würde wahrscheinlich ungemütlich werden.....

  • Drogen bleiben und die Anzahl der Süchtigen bleibt auch.



    Einzig was sich ändert ist das Privilegierte sich Sicherheit kaufen, zB Tor. Damit werden die Drögler ausgegrenzt und auf einen kleineren Platz konzentriert.

    Einige finden das natürlich gut, am besten zum Schutz noch Stacheldraht um die kleinen Plätze, natürlich nur zum Schutze der Drögler.

    Alternativ könnte man auch über Abschied der Drögler sich Gedanken machen, genügend Neuankömmlinge würden das sicherlich begrüßen.



    Wehrt den Anfängen!

    • @Sascha Will:

      So ganz verstanden habe ich den Kommentar nicht, aber Toleranz sollte auch keine Einbahnstraße sein.

    • @Sascha Will:

      "Alternativ könnte man auch über Abschied der Drögler sich Gedanken machen, genügend Neuankömmlinge würden das sicherlich begrüßen." Könnten Sie darauf näher eingehen?

    • @Sascha Will:

      Was bedeutet bei Ihren „Wehret den Anfängen“ in diesem Fall genau?

      Sollen sich die Anwohner weiter in Treppenhaus scheißen lassen – als Zeichen des antifaschistischen Widerstands?

      Bedeutet für Sie Zivilcourage, dass man sich vor der eigenen Wohnung bedrohen lässt?

    • @Sascha Will:

      Das stimmt nicht. In der DDR beispielsweise lag die Anzahl harter Drogenkonsumenten nahe Null. Und auch in Berlin war es mal sehr viel weniger. Hauptursache ist eher was man euphemistisch als "progressive Drogenpolitik" bezeichnet. Haben mittlerweile selbst die Amis gemerkt.

      • @Samvim:

        Ihr Beitrag zeigt deutlich, dass die Unterscheidung in harte und andere Drogen nutzlos ist.



        Die DDR hatte ein massives Alkoholismusproblem, dessen Nachwirkungem noch immer spürbar sind. Alkoholismus wurde quasi staatlich subventioniert.



        Was zugegeben weniger ein Problem war, waren Obdachlose, aber wohl vor allem, weil die weggesperrt wurden.



        Das meinte ich unten: man kann autoritär agieren, die Suchtproblematik löst man dadurch nicht, evtl. verlagert man sie.

        Merke: nur weil ein Problem nicht sichtbar ist, heißt das nicht, dass es das nicht gab.

  • Danke für die offenen und mutigen Worte.



    Allerdings ist eher nicht Wohnungslosigkeit die Ursache für Sucht, sondern Sucht eine sehr häufige Ursache für Wohnungslosigkeit.

    Die Gründe für Sucht liegen viel tiefer und lassen sich leider weder mit rechten noch mit linken Rezepten lösen. Heißt, egal ob kapitalistische, autoritäre oder sozialistische Gesellschaft, die Sucht ist immer dabei, wo Menschen sind.

    Klar kann man politisch viel tun und getan wird quasi nichts davon:



    - kontrollierte Abgabe harter Drogen an Süchtige.



    - Süchtige von der Straße holen - konsequent Wohnraum zuführen (housing first)



    - Familien-, Kinder-, und Jugendarbeit: ein großer Teil unserer Kinder wächst emotional verwahrlost auf und ist dadurch viel empfänglicher für Suchtangebote - jeglicher Art (also nicht nur stoffgebunden); diese Familien müssen raus aus der Falle. Dafür brauchen wir neben mehr und besserem pädagogischem Personal auch eine Kitapflicht, eine Altersbegrenzung für elektronische Geräte, etc. pp.



    - endlich "echte" Präventionsarbeit - Lernen über Sucht, nicht nur über Drogen

    Manchmal, ja manchmal hilft einem dann aber nur noch ein Tor. Auch wenn es das eigentliche Problem nicht löst.

  • Stimmt, das Thema gehört nicht nur in die Öffentlichkeit, sondern es muss eine grundlegende Lösung her.



    Hat man noch nie über "Parkranger" nachgedacht (nur ein Beispiel)? Ich weiß dass es schon viele Aktionen von Anwohnern gab, aber da habe ich den Gedanken bisher nicht vernommen, dass es so eine Art Personal geben könnte, welches ständig im Park und den drumherumliegenden Straßen präsent ist.

    Das Verhalten der Anwohner und Touristen, freiwillig den Platz zu räumen (man drängt sich in der Mitte statt auf den Parkbänken zu sitzen!), fand ich in den letzten Jahren auch wenig hilfreich. Da wäre Aufklärung mal super: Alle tragen ein klein wenig bei um es besser zu machen...

    • @realnessuno:

      Es gab bzw gibt bereits Parkranger im Görli.

      “… so eine Art Personal geben könnte, welches ständig im Park und den drumherumliegenden Straßen präsent ist.”

      Das nennt sich Polizei.

      • @Suryo:

        Die Polizei ist aber in dieser Rolle nicht von allen gewünscht - dann lieber irgendwelche symbolpolitischen "Präsenszeiger", die von den Süchtigen nicht mal registriert werden - und von den Verkäufern als zahllose Tiger ausgelacht werden.



        Handlungsstarke Geschichten frei nach Heinrich Böll haben seit Jahren Hochkonjunktur..

        • @FriedrichHecker:

          Dass die Polizei “nicht gewünscht” ist, ist ja nett, aber auch vollkommen irrelevant. Bestimmten Verhaltensweisen sind nun mal nicht durch liebevolle Ansprache zu begegnen. Zumal bei Gewalt ja sowieso die Polizei gerufen würde.

  • Wenn mit Alarmismus berichtet würde, dann würde sich das konservative Deutschland erstmal darüber Gedanken machen, wie man diese Menschen gezielter schikanieren und bestrafen kann. Am besten noch den Strafrahmen in Gesetzen erhöhen. Ein teuflischer Kreislauf.

    Leider lese ich in diesem Artikel keine Vorschläge, wie man dieser Epidemie begegnen sollte, nur einen Appell, das Thema zu diskutieren.

    Ich bspw. bin ein Freund des portugiesischen Drogenmodells. Ich finde, dass wäre auf jeden Fall ein erster guter Schritt.

    Wir bräuchten auch mehr betreute Konsumräume...

    Hat noch jemand andere gute Vorschläge?

  • Endlich mal ein Beitrag einer Betroffenen anstelle von Menschen, die da gar nicht wohnen aber gegen den Zaun protestieren.