Glyphosat-Studien und Krebs: Die Tricks der Bayer-AG
Mehr als 800 Studien würden bestätigen, dass das Pestizid nicht Krebs verursache, behauptet Bayer. Doch nur rund 50 Analysen beschäftigen sich mit der Frage.
Glyphosat ist der weltweit meistverkaufte Pestizidwirkstoff – und vor allem umstritten, weil die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation ihn 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft hat. Da die zuständigen Fachbehörden der Europäischen Union das Mittel jedoch für unbedenklich halten, haben die EU-Staaten Glyphosat Ende 2017 für weitere fünf Jahre zugelassen. Dennoch wird zum Beispiel in Deutschland darüber diskutiert, glyphosathaltige Pestizide zu verbieten.
In den USA muss sich Bayer gegen rund 8.700 Klagen wegen mutmaßlich durch den Wirkstoff verursachte Erkrankungen verteidigen – und ist bereits in einem Fall erstinstanzlich zu Schadenersatz in Millionenhöhe verurteilt worden.
Der Leverkusener Konzern hat mehrmals versucht, Bedenken zu zerstreuen und auf eine angebliche Vielzahl von entwarnenden Untersuchungen hingewiesen. In seinem Zwischenbericht zum 2. Quartal behauptete Bayer: „Mehr als 800 wissenschaftliche Studien [....] sowie Aufsichtsbehörden weltweit haben bestätigt, dass Glyphosat bzw. Glyphosat-basierte Herbizide nicht krebserregend sind und dass die bestimmungsgemäße Anwendung sicher ist.“
Großes Medienecho
Bayer-Chef Werner Baumann sagte in einer Telefonkonferenz mit Aktionären am 23. August, „dass mehr als 800 wissenschaftliche Studien und Berichte und andere Quellen die Schlussfolgerung unterstützen, dass Glyphosat nicht Krebs verursacht.“ Fast gleichlautend äußerte sich Scott Partridge, Vizepräsident von Monsanto.
Zahlreiche Medien weltweit zitierten diese Aussagen, zum Beispiel CNN, BBC, New York Times und Neue Zürcher Zeitung. Die FAZ schrieb unter Bezug auf Baumann: „Wiederholt wies er auf 800 Studien in aller Welt hin, in denen kein Zusammenhang zwischen dem Gebrauch von Glyphosat und Krebserkrankungen hergestellt worden sei.“ Laut der Deutschen Presseagentur verwies Baumann auf „mehr als 800 wissenschaftliche Studien, die bestätigt hätten, dass Glyphosat nicht krebserregend sei“. In der Süddeutschen hieß es, Partridge zufolge „belegen mehr als 800 wissenschaftliche Studien und Bewertungen … den Befund“. Ähnliche Zitate erschienen in der taz, Wirtschaftswoche und bei der Nachrichtenagentur afp.
Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker
Doch Belege für seine 800-Krebsstudien-Behauptung bleibt die Bayer-AG schuldig. Auch nach mehreren Bitten schickte Konzern-Sprecher Utz Klages der taz keine vollständige Liste der Untersuchungen zur Krebsgefährdung durch Glyphosat. Stattdessen mailte er etwa 1.000 Verweise auf Studien allgemein zu dem Wirkstoff. Rund 460 davon haben nach den Kapitelüberschriften der Literaturlisten nichts mit Krebs zu tun. Sie stehen zum Beispiel in Abschnitten mit den Titeln „Analytische Methoden“ zur Messung von Glyphosat, „Physikalische und chemische Eigenschaften“ wie dem Schmelzpunkt, „Verhalten in der Umwelt“, „Giftigkeit für die Umwelt“, etwa für Bienen oder Bodenorganismen.
Zieht man diese Studien ab, könnten also höchstens etwa 550 Studien belegen, dass Glyphosat keinen Krebs verursacht. Aber selbst unter diesen Untersuchungen, beispielsweise in den „Toxikologie“-Kapiteln, finden sich kaum Krebsstudien. Stattdessen befassen sich die meisten etwa damit, ob das Pestizid die Augen von Kaninchen reizt oder ob es akut toxisch auf Versuchstiere wirkt. Krebs ist aber eine chronische Krankheit.
Auf Nachfrage räumte der Bayer-Sprecher ein, dass beispielsweise die US-Umweltschutzbehörde EPA nur „mehr als 100 als relevant eingeschätzte Studien für ihre Einschätzung“ untersucht habe, dass Glyphosat „wahrscheinlich nicht krebserregend für Menschen“ sei. Damit sagt er nicht, dass sich alle 100 Studien auf Krebs beziehen würden.
Die Formulierung könnte auch bedeuten, dass die EPA bei ihrer Recherche 100 Studien allgemein zu Glyphosat gefunden hat, sich aber nur wenige davon auf Krebs bezogen. Klages blieb auch auf Bitten der taz eine Liste mit genauen Quellenangaben zu den 100 Titeln schuldig. Die taz solle sich doch bitte selbst an die EPA wenden, antwortete der Sprecher nur.
Wie viele Krebsstudien gibt es also wirklich? Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) nennt auf Anfrage der taz nur rund 50 wissenschaftliche Berichte zu Glyphosat mit einem Bezug zu Krebs. Davon sind 16 „Originalprüfberichte einschließlich aller Rohdaten zu Kanzerogenitätsstudien in Versuchstieren“ sowie „34 Publikationen aus der wissenschaftlichen Literatur zu Beobachtungen am Menschen“.
Auch der Biostatistik-Professor Christopher Portier bestätigt der taz, es gebe schätzungsweise 50 Studien, die explizit die Frage behandeln, ob Glyphosat Krebs verursacht. Der prominente Glyphosat-Kritiker hat die Krebsforschungsagentur bei der Begutachtung des Pestizidwirkstoffs beraten.
Weiter Studienbegriff
Das BfR hat kein Interesse, eine zu niedrige Zahl zu nennen. Denn das Bundesinstitut hat für die EU bereits mehrmals die Sicherheit von Glyphosat überprüft – und kam immer wieder zu dem Schluss, der Stoff sei ungefährlich, wenn er korrekt angewendet wird. Die Behörde hat nach eigenen Angaben neben den Studien der Hersteller „alle verfügbaren, publizierten Studien und weitere Quellen in seine wissenschaftlichen Bewertungen einbezogen.“ Das hat Bayer auch nie bestritten.
Dazu kommt: Unter den etwa 50 Studien sind auch welche, die manche Experten sehr wohl als Hinweis auf ein mögliches Krebsrisiko durch Glyphosat interpretierten.
Dennoch erklärte Bayer-Sprecher Klages, dass die Behauptung im Quartalsbericht „keineswegs falsch“ sei. „Hinsichtlich der Studien haben wir uns ausweislich des Wortlauts sowohl auf solche bezogen, die sich dezidiert mit Krebsrisiken auseinandersetzen, als auch auf solche, die insgesamt die Sicherheit von Glyphosat bestätigen“, schrieb Klages der taz.
Er interpretierte den Sinn also um: Es soll „800 wissenschaftliche Studien“ zur Sicherheit insgesamt geben und nur ein Teil von ihnen beziehe sich auf die Krebsfrage. Aber die umstrittene Formulierung war eindeutig anders: Die 800 Studien hätten die Sicherheit „und“ das Nullrisiko in puncto Krebs bestätigt. So haben es ja auch die meisten Medien in Deutschland und im Ausland verstanden.
Schweigsame Investmentbanken
„Das ist eine bewusste Irreführung der Öffentlichkeit über die Krebsgefahr von Monsantos und jetzt Bayers Glyphosat“, sagte Helmut Burtscher-Schaden, Biochemiker des österreichischen Umweltverbands Global 2000, der taz. Damit setze Bayer eine Praxis fort, für die Monsanto in den USA im Prozess wegen der Krebserkrankung eines Glyphosat-Nutzers verurteilt worden sei. „Bayer führt entgegen den Tatsachen Studien als Beweise an, dass Glyphosat nicht krebserregend sei.“
Die Mehrheit der Studien, die nicht von der Industrie durchgeführt wurden, würden einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Krebs oder einer Schädigung des Erbguts und der Exposition gegenüber Glyphosat nachweisen.
Die Investmentbanken JP Morgan, Exane und der Fondsverwalter Vanguard, die an der Bayer-Telefonkonzerenz zu Glyphosat teilgenommen hatten, ließen Bitten der taz um Stellungnahmen unbeantwortet. Auch Deutschlands größter Aktionärverband, die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), wollte sich nicht zu der Frage äußern, ob Bayer die Aktionäre mit falschen Zahlen irregeführt hat.
Der Aktienkurs von Bayer ist stark gefallen, nachdem ein US-Gericht im August festgestellt hatte, dass Glyphosat erheblich zur Krebserkrankung des Kaliforniers Dewayne Johnson beigetragen habe. Johnson hatte als Platzwart bis zu 30-mal pro Jahr Pestizide mit dem Wirkstoff auf dem Gelände von Schulen ausgebracht. Das Gericht in San Francisco verurteilte Bayers US-Tochter Monsanto dazu, dem Mann Schadenersatz in Millionenhöhe zu zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Bayer Widerspruch eingelegt hat.
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