Glosse über Sigmar Gabriel: Der sympathische Tausendsassa

Ex-Parteichef und Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, der bescheidenste SPDler der Welt, überrascht mit einer brutalen Selbstkritik. Respekt!

Zu sehen ist das Gesicht von Sigmar Gabriel mit einem zerknautschtem Ausdruck und vielen Falten auf der Stirn.

Knautschgesicht vor Selbstkritik? Foto: dpa

Sigmar Gabriel, der sympathische Tausendsassa der SPD, ist immer für eine Überraschung gut. Der ehemalige Parteivorsitzende hat es nicht leicht. Seine Partei verjagte ihn bekanntlich aus dem Auswärtigen Amt, obwohl er der beste Außenminister der Welt war. Ausgestattet mit einem einfachen Abgeordnetenmandat und einem kargen Autorenvertrag kämpft er bis heute tapfer gegen missgünstige Kleingeister in der SPD, die ihm Eitelkeit, Wankelmütigkeit und Profilierungssucht vorwerfen.

Gabriel widerlegt solche absurden Unterstellungen jetzt fulminant, indem er eine schonungslose Selbstkritik im Handelsblatt veröffentlichte. Darin wettert er zum Beispiel gegen die „Methode Donald Trump“. Wer als Politiker bewusst Tabus breche, Fakten und Empirie ignoriere, populistische Sehnsüchte mobilisiere und die Beschädigung der eigenen Partei in Kauf nehme, der mache sich diese Methode zu eigen. „Nur der mediale Effekt und das eigene Ego sind wichtig.“

Damit kann Gabriel nur Höhepunkte seines eigenen Wirkens meinen. Er machte zuletzt auf sich aufmerksam, weil er auf Twitter über SPD-Chefin Andrea Nahles herzog. Und damit die Beschädigung der SPD in Kauf nahm. Gabriel warf seiner Partei 2017 vor, sie habe Klimaschutz und die Ehe für alle zu wichtig genommen – und sich zu wenig um Industriearbeiter gekümmert. Okay, angesichts der nicht wahrnehmbaren SPD-Klimaschutzpolitik und der erdrückenden Evidenz der Klimakrise drückte das eine gewisse Ignoranz gegenüber Fakten aus. Und ja, Gabriel trieb die SPD als Chef in den Wahnsinn, weil er seine Meinung so schnell änderte wie seine Krawatten.

Aber Trump? Lieber Sigmar, es mag ja sein, dass es manchmal nur darum geht, „tagelang die veröffentlichte Meinung zu bestimmen“, wie du richtig schreibst. Aber so schlimm wie der US-Präsident bist du nun wirklich nicht. Dieser Vorwurf wäre in etwa so überzogen, wie Juso-Chef Kevin Kühnert zu unterstellen, er habe aus Geltungssucht so getan, als wolle er die DDR wiedereinführen. Und wer käme denn auf so eine irre Idee?

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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