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talk of the townSchafft den Girls’ Day ab!

Beim Girls‘ Day bekommen Schülerinnen die Möglichkeit, an dem Tag einem „typisch männlichen“ Beruf kennenzulernen. Das soll Klischees überwinden, doch verfestigt sie nur

Statistisch gesehen ist es wahr­scheinlicher, dass die beiden Erzieherinnern werden als Infor­matikerinnen Foto: Anne-Sophie Bost/plainpicture

Von Ruth Lang Fuentes

Du bist ein Mädchen. Zwischen 12 und 17 Jahre alt. Mitten im struggle herauszufinden, wer du eigentlich bist und wohin du eigentlich willst im Leben. Und nebenbei ständig am Pickelausdrücken. Quizfrage an dich aus dem diesjährigen Girls’-Day-Quiz: „Eine Lehrerin kommt in den Klassenraum und sagt, sie bräuchte ein paar starke Hände, die ihr etwas tragen helfen. Wie verhältst du dich?

a) Das sollen andere machen, ich mache mir doch meine Fingernägel nicht kaputt.

b) Ich bin dabei. Mal körperlich zu arbeiten, statt immer nur mit dem Kopf, finde ich super.

c) Ich lasse den anderen den Vortritt. Falls sich niemand meldet, packe ich mit an.“

Diese und ein paar weiter Fragen sollen dir helfen herauszufinden, ob ein handwerklicher Beruf etwas für dich wäre. Unrealistisch. Nie wurde nach „ein paar starken Händen“ gefragt. Immer nur nach „ein paar starken Jungs“. Und da steckt man auch schon mitten im Problem.

Es ist wieder Girls’ Day. Auch 2022 sind fast alle Er­zie­he­r:in­nen Frauen, Dachdeckerinnen und Informatikerinnen gibt es hingegen kaum. Deshalb läuft das Mädchen-Zukunfts-Projekt von 2001 weiter: Einmal im Jahr versucht man, Mädchen ab der fünften Klasse dazu zu motivieren, technische und naturwissenschaftliche Berufe zu ergreifen. Dafür bekommen sie selbst die Gelegenheit, die jeweiligen Arbeitsplätze kennenzulernen, indem sie den Tag in einem Unternehmen oder einer Werkstatt verbringen. Die Idee ist einfach: Es gibt da Berufe, in denen höchstens 40 Prozent Frauen eine Ausbildung machen, studieren oder arbeiten. Aus irgendeinem scheinbar unersichtlichen Grund entscheiden sich aber sehr wenige Mädchen bei der Berufswahl dafür. Dann lass uns doch einfach einen Aktionstag im Jahr starten, um das zu ändern! Wenn sie erst mal diese „typisch männlichen“ Berufe von Nahem kennenlernen, sinkt vielleicht die Hemmschwelle, auch diesen Weg selbst als Frau einzuschlagen.

Die Ergebnisse aber lassen zu wünschen übrig: Laut einer Studie von 2021 zum Girls’ Day stieg der Anteil an Mädchen unter den rund 100.000 teilnehmenden Schülerinnen, die den konkreten Wunsch äußerten, einen IT-Beruf auszuüben zwar von 8 auf 17 Prozent, bei technischen Studiengängen von 5 auf 11 Prozent. Doch der Prozentsatz an Frauen, die sich für ein Studium im Mint-Bereich (also Mathematik, Informatik, Ingenieurswissenschaften etc.) entscheiden, bleibt gering. 2001, dem Jahr, in dem das Projekt „Girls‘ Day“ startete, studierten knapp 21 Prozent der Frauen eine Ingenieurswissenschaft. 2020 war etwa ei­ne:r von vier Ingenieurstudierenden weiblich. Also kaum mehr.

Du bist also ein Mädchen. Zwischen 12 und 17 Jahre alt, am strugglen und deine Lehrerin sagt, sie bräuchte ein paar starke Jungs, die ihr etwas tragen helfen. Du kannst dich gar nicht mehr entscheiden. Du kann nur entweder auffallen, dich behaupten, durchsetzen, obwohl du ein Mädchen bist, oder du fügst dich dem, zu dem du längst schon gemacht wurdest: ein Mädchen. Genauso ist es bei der Berufswahl.

Nie wurde nach „ein paar starken Händen“ gefragt. Immer nur nach „ein paar starken Jungs“

Auch ich war ein Mädchen. Und viel besser im Tragen als die meisten schlaksigen, stimmbrüchigen Jungs aus meiner Klasse. Am Girls’ Day habe ich nie teilgenommen. Ich hätte dadurch das Gefühl bekommen zuzustimmen, dass ein bestimmter Beruf ein „Männerberuf“ sei. Meine Berufswahl sollte weder gegen noch für mein Geschlecht stehen. Ich wollte sexistische Klischees überwinden, ohne den Fokus auf mein Geschlecht zu legen. Der Plan ging nicht auf: Nach dem Tischetragen studierte ich Mathematik. Eines der „drei M der Männlichkeit“ wie ein Kommilitone mir einmal ganz unironisch mansplainte. Neben Motorrädern und Masturbation. Einen Motorradführerschein hatte er nicht.

In einem behielt er Recht: Mathematik schien mit fortschreitenden Semestern immer männlicher zu werden. Die meisten Frauen, die mit mir angefangen hatten, studierten „nur auf Lehramt“. Und die Anzahl an Professorinnen konnte man an einer Hand abzählen. Das Phänomen, dass Frauen unter ihrer möglichen Qualifikation zurückbleiben, tritt nicht nur in den Mint-Fächern auf. An meiner Fakultät musste ich mich jedenfalls ständig behaupten. Fehler wurden darauf zurückgeführt, dass ich ja eine Frau sei. Man kann keiner Frau vorwerfen, dass sie sich diesem Druck nicht aussetzen möchte. Wenn sie nicht aufsteht, wenn die Lehrerin nach „starken Jungs“ fragt, weil das weird wäre. Selbst wenn es einen Tag im Jahr gäbe, an dem sie auch mal das Tragen übernehmen dürfte.

Der Girls’ Day kann natürlich dafür sorgen, dass man zum Beispiel eine coole Informatikerin kennenlernt, die zum role model wird, weil man sieht, als Frau geht das auch. Er kann kleine Veränderungen, stückweise Verbesserungen in der Statistik hervorbringen. Doch der ganz große Aufbruch der Rollenstereotype wird so nie passieren. Er wird im schlimmsten Fall sogar verstärkt durch den Fokus auf typisch männlich und typisch weiblich. Durch das mangelnde Hinterfragen nach den tieferliegenden Gründen. Und einfach nicht schon viel früher dafür gesorgt wurde, dass alle – auch die nicht so starken Jungs und Mädchen – dieselben Startbedingungen haben.

Dann würde die Lehrerin vom Anfang wirklich nach starken Händen fragen und niemand würde stark mehr mit dem „starken Geschlecht“ in Verbindung bringen. Sondern es würden einfach die Schü­le­r:in­nen aufstehen, die motiviert sind und sich stark genug fühlen. Und nach demselben Muster würden sie dann auch ihre Berufswahl treffen – nach Motivation, Interesse und Fähigkeiten. Und ohne den richtenden und im Vorhinein schon einordnenden Blick ihrer Umwelt. Im Moment noch ein sehr utopisches Ziel.

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