Giorgia Meloni trifft Olaf Scholz: Rechte Agenda unterm Radar
Italiens Ministerpräsidentin reist nach Berlin, um den Bundeskanzler zu treffen. In ihren ersten 100 Tagen im Amt regierte sie verdächtig geräuschlos.
Dass es so lange dauerte, ist kein Zufall. Melonis Wahlsieg im September hatte in Berlin alles andere als Begeisterung ausgelöst – schließlich übernahm da eine Postfaschistin an der Spitze einer radikal rechten Koalition die Macht in Rom.
Würde sie Italien polarisieren und die EU paralysieren? Diese Frage trieb im letzten Herbst das Gros der europäischen Medien um. Eine vorläufige Antwort hat Meloni in den ersten 100 Tagen ihrer Amtszeit gegeben: Sie ist konsequent unter dem Radar unterwegs und tut fast alles, um international nicht negativ aufzufallen. So will sie den Verdacht zerstreuen, sie könne eine Gefahr für die Demokratie in Italien und für den Zusammenhalt in Europa darstellen.
Vorneweg verabschiedete ihre Koalition am Jahresende einen Staatshaushalt für 2023, der sich akkurat an die Vorgaben der EU-Kommission hält und der mit einer Neuverschuldung von 4,5 Prozent des BIP die Linie der Vorgängerregierung Draghi weiterführt. Nur rund 35 Milliarden Euro hat die Regierung für ihre Vorhaben zur Verfügung, doch davon sind schon 21 Milliarden für Maßnahmen gegen die explodierenden Energiekosten abgebucht.
Damit bleiben nur bescheidene Summen, um etwa eine Steueramnestie für Selbstständige, eine Erhöhung des Kindergelds für kinderreiche Familien oder einen früheren Renteneintritt für Beschäftigte mit langen Beitragszeiten zu verabschieden.
Rechte Herzensangelegenheiten
Selbst bei einer Gratismaßnahme ruderte die Regierung zurück, um die EU-Kommission nicht zu verärgern. Ursprünglich war vorgesehen, dass Gewerbetreibende in Zukunft bei Beträgen unter 60 Euro nicht mehr bargeldlose Kartenzahlungen akzeptieren müssen – Cash ist den Selbstständigen in Italien seit jeher lieber, weil so Steuern leichter hinterzogen werden können. Doch die Verpflichtung zur Akzeptanz gehörte zu den Zusagen, die die Vorgängerregierungen der EU gemacht hatten, um im Gegenzug die Fonds aus dem Programm Next Generation EU (für Italien bis 2026 stolze 191,5 Milliarden Euro) zu erhalten – und am Ende ruderte Meloni kleinlaut zurück.
Rechte Herzensanliegen realisierte sie dennoch. So schafft sie vom August 2023 an die Grundsicherung für alle arbeitsfähigen Empfänger*innen ab. Sie sollen sich gefälligst einen Job suchen, auch wenn es den nicht gibt.
Auch in der Flüchtlingspolitik zog die Regierung Meloni neue Register. Gerade erst im Amt versuchte sie es mit der alten Nummer, die der Lega-Chef Matteo Salvini in seiner Zeit als Innenminister in den Jahren 2018–19 geboten hatte – mit der Politik der „geschlossenen Häfen“. Im November 2022 verweigerte sie tagelang NGO-Schiffen die Einfahrt in italienische Häfen. Als dann die unter französischer Flagge fahrende „Ocean Viking“ Marseille ansteuerte, feierte die Regierung in Rom die Tatsache, dass sich „in Europa der Wind gedreht“ habe. Das führte zu einer veritablen diplomatischen Krise mit der französischen Regierung.
Kaum Negativschlagzeilen
Seither setzt Meloni auch bei der Flüchtlingspolitik darauf, unter dem Radar zu bleiben. Mittlerweile weist das Innenministerium den NGO-Schiffen sofort Häfen zu, allerdings weit im Norden Italiens – und verbietet ihnen zugleich, mehr als eine Rettungsaktion durchzuführen, ehe sie den zugewiesenen Hafen anlaufen. Die Folge: Die Schiffe sind gezwungen, sich tagelang von den Rettungszonen zu entfernen und dabei horrende Treibstoffkosten in Kauf zu nehmen. Für die Regierung aber bleiben Negativschlagzeilen seither aus.
Negativschlagzeilen vermied die Rechtsregierung auch im Ukrainekrieg. Obwohl mit Silvio Berlusconi und Matteo Salvini zwei Putin-Freunde zur Koalition gehören, hielt die Regierungschefin – auch hier in Kontinuität zu Draghi – Italien auf Kurs und blieb bei der entschlossenen Unterstützung der Ukraine auch mit Waffenlieferungen. Und selbst Viktor Orbán kann sich auf Meloni nicht mehr verlassen: Als die EU im letzten Dezember die Ausschüttung von 6,3 Milliarden Euro an Ungarn wegen Rechtsstaatsbedenken blockierte, trug Italien geräuschlos die Sanktion gegen Budapest mit.
Am Ende dürfte dies die beste Nachricht für die Regierung Meloni sein: dass sie in den letzten Wochen aus den Schlagzeilen der internationalen Presse weitgehend verschwunden ist, während in Italien nach allen Umfragen der Wählerkonsens für die Postfaschistin ungebrochen ist. Entsprechend entspannt kann sich Meloni bei Kanzler Scholz präsentieren.
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