Gigafactory von Tesla in Brandenburg: Der Elektro-Schocker
Bei Berlin plant der US-Milliardär Elon Musk eine Fabrik für E-Autos. Sieben Thesen, warum das klappt. Oder auch nicht.
Der Chef des Elektroautoherstellers Tesla, Elon Musk, hat am Rande einer Preisverleihung am Dienstagabend bekannt gegeben, im brandenburgischen Grünheide eine Fabrik zu errichten – eine „Gigafactory“, wie es im Jargon des US-Unternehmens heißt. Bis zu 7.000 Menschen sollen hier sowohl Autos als auch Batterien bauen. Die Fabrik wird die vierte ihrer Art sein; zwei Werke betreibt das Unternehmen bereits in den USA, ein drittes entsteht derzeit in der Nähe von Schanghai. Der Weltmarktführer der Elektromobilität beschäftigt weltweit etwa 50.000 Menschen und ist auf Expansionskurs. 2019 sollen mehr als 360.000 Fahrzeuge verkauft werden.
In Grünheide will das Unternehmen zunächst das Modell 3 produzieren, das momentan wichtigste Modell, das für etwa 45.000 Euro zu haben ist. Auch den aktuellen Megatrend will man bedienen, mit dem Bau des Kompakt-SUV Model Y. Laut Plan soll die Fabrik bereits Ende 2021 an den Start gehen. Dazu plant Tesla ein Entwicklungszentrum in Berlin, für das das Gelände des Flughafens Tegel im Gespräch ist. Auch hier sollen Hunderte, womöglich Tausende Arbeitsplätze entstehen.
These 1: Die Provinz ist maximal unvorbereitet
Anruf in der Gemeindeverwaltung Grünheide, in dem Ort, wo bis 2021 das erste Werk von Automobilhersteller Tesla in Deutschland gebaut werden soll. Nach dem zehnten Klingeln (Sprechzeiten sind natürlich nicht heute, sondern lediglich Dienstag 9 bis 12 und 13 bis 18 Uhr, Donnerstag 9 bis 12 und 13 bis 15 Uhr und Freitag 9 bis 12 Uhr): Die barsche Stimme einer gehetzt wirkenden Frau ohne Namen. Nein, der Bürgermeister sei nicht zu sprechen. Nicht da. Nicht im Haus. Unbekannt verreist? Rufen Sie im Wirtschaftsministerium in Potsdam an! Man wolle von vor Ort berichten? Na, wenn es sein muss. Vielleicht die Bauamtsleiterin. Aber später bitte. So in einer halben Stunde vielleicht.
Die Bauamtsleiterin geht weder in einer halben Stunde noch in einer noch in zwei noch in drei Stunden ans Telefon. In einer Gemeinde gibt es Gemeindevertreter, aber nur zwei von ihnen geben auf der Website ihre Telefonnummer preis. Die erste ist tot. Unter der zweiten meldet sich jemand, der leider noch nicht weiß, dass Tesla in seinen Ort kommen will. Ob er Lust hat, sich zu treffen, wenn er mehr weiß? Na klar!
Grünheide bei Erkner liegt im Landkreis Oder-Spree im Südosten von Berlin, der Ort umrahmt idyllisch zwei der vier Seen auf dem Gemeindegebiet. Bislang lebte Grünheide vom Tourismus und einer kleiner wirkenden Rehaklinik, es gibt Bootsverleih und -werft, zahlreiche Pensionen, Cafés und Restaurants. Insgesamt leben in der leicht wachsenden Gemeinde knapp 9.000 Menschen, eine Regionalbahn von und nach Berlin fährt im Stundentakt, Netto, Edeka, Kindergärten, Schulen, alles da.
Vor Kurzem ging der Ort wegen einer Veränderung der Baumschutzsatzung durch die Lokalpresse. Jetzt heißt es plötzlich, er soll Silicon Valley werden.
These 2: Es fehlen Auto-Schrauber mit Digital-Expertise
Damit Tesla seinen elektronischen „Kompakt-SUV“ namens „Y“ bauen kann, braucht der US-Autobauer vor allem eine Ressource: Menschen. Das dürfte in Berlin gar nicht so leicht sein. Denn die müssen wiederum etwas gelernt haben, im besten Falle sogar sehr spezielle Dinge: Das Unternehmen werde vor allem IT- und SoftwarespezialistInnen brauchen, sagt Christian Almsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, der taz. Ob der regionale Arbeitsmarkt das hergibt? Almsinck ist optimistisch, schließlich sei da in den Hochschulen in den letzten Jahren viel passiert, Lehrstühle seien ausgebaut worden.
Allerdings werden auch viele ArbeiterInnen in der Produktion gebraucht werden – und da, das hat zuletzt der Ausbildungsreport des Gewerkschaftsbunds klargemacht, gibt es in Deutschland gerade im Bereich der Digitalisierung extremen Nachholbedarf in den Ausbildungsbetrieben. Nur rund 60 Prozent der angehenden Kfz-Mechatroniker gaben an, sie würden „gezielt für die Nutzung digitaler Technologien qualifiziert“. IG-Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen Olivier Höbel ist dennoch optimistisch, Brandenburg habe „eine lange Tradition industrieller Arbeit“.
Aus der Wirtschaftsverwaltung von Senatorin Ramona Pop (Grüne) heißt es, Berlin-Brandenburg habe sich „zu einem bedeutenden Automotive-Standort entwickelt“. Die Zahl der Zulieferer wachse beständig: Rund 21.000 Mitarbeiter seien in über 200 Unternehmen beschäftigt, ungefähr die Hälfte davon in Berlin. Tesla braucht bei rund 7.000 voraussichtlich benötigten Jobs in der „Giga-Fabrik“ also ein Drittel der schon jetzt in der Branche Beschäftigten noch mal obendrauf – das ist nicht wenig.
These 3: Bald gibt es endlich Internet in Brandenburg
Hallo? Hallo! Kein Anschluss, Abbruch von Handygesprächen, die Webseite will einfach nicht laden: Mobil- und Funkverbindungen in Brandenburg sind – mit der gebotenen Rücksicht ausgedrückt – Glückssache. Es kommt natürlich immer darauf an, wo man sich befindet. Aber selbst in größeren Städtchen wie Fürstenwalde ist es mit dem Anschluss ein Graus. Mal klappt's, mal wieder doch nicht. Wenige Kilometer weiter ist es dann ganz vorbei mit der Netzverbindung. Online Formulare für Behörden ausfüllen: schwierig. Ersatzteile für die Waschmaschine bestellen: anstrengend. In der Not den Arzt anrufen: kommt darauf an, auf welchem Hügel man steht.
Nun kommt also Elon Musk – und alles wird gut. Keine Funklöcher mehr, kein Stochern im digitalen Nebel. Denn was wäre der Visionär aus den USA ohne Online-Verbindung in die große, weite Welt. Die braucht er zweifelsohne. Schließlich will er ordentlich Geschäfte machen und das bestimmt nicht nur im Brandenburger Umland. Die Giga-Factory ist nun mal kein Tante-Emma-Laden, sondern High-Tech, digitale Innovation und so. Die Zukunft wird in Brandenburg gebaut. Endlich.
These 4: Tesla muss seine Autos woanders verkaufen
Der Individualverkehr ist ein Relikt des 20. Jahrhunderts, moderne Städte überwinden ihn. Das Auto und der Platz, der ihm eingeräumt wird, ist in Berlin auf dem Rückzug. Parkplätze werden zu Stellplätzen für (Lasten-)Räder und E-Scooter, aus Autospuren werden Fahrradstreifen. Im Wrangelkiez entsteht der erste Superblock, ein Kiez frei vom motorisierten Durchgangsverkehr. Gleichzeitig wird der Kreis jener, die vergünstigt öffentliche Verkehrsmittel nutzen können, stetig größer, die Debatte über einen generellen kostenlosen ÖPNV wird nicht abreißen.
Elektroautos sind keine Lösung für eine vom Autoverkehr strapazierte Stadt, in der, das kommt hinzu, Autos den Großteil der Zeit ungenutzt herumstehen. Ein paar hundert Ladesäulen gibt es bislang in Berlin, der Ausbau läuft vor allem schleppend. Wichtige Grundsatzfragen zum weiteren Ausbau sind nicht abschließend geklärt: zum Beispiel, wer hat Vorrang, öffentliche oder private Ladepunkte und wie kann eine einheitliche Infrastruktur, die für alle Nutzer zugänglich ist, geschaffen werden. Nutzer brauchen eine Ladekarte, App oder RFID-Chip, bis zu zehn unterschiedliche Varianten gibt es bundesweit, verwirrende Tarifstrukturen kommen hinzu. Nichts spricht dafür, dass die Stadt auf neue Teslas vorbereitet ist.
These 5: „Berlin has some of the best art in the world“
Seit Jahren schlawenzel ich durch diese Stadt und frage mich, wo das alles nur hinführen soll. Überall malen sie und sprayen und machen Musik und haben 27 Opernhäuser und Hunderte Theater, jede und jeder schreibt einen Roman oder feilt an einem Was-auch-immer-Projekt. Wovon zum Henker leben die Leute alle? Wer zahlt hier die Steuern? Warum hat Berlin überhaupt ein messbares BIP?
Nun bekommt alles Sinn. Es ging die ganze Zeit schon um knallharte Wirtschaftspolitik. Die Klubs, die Kunschd, alles ein Argument im War for Talents der Unternehmen, die in die Stadt strömen. Hat leider keiner gemerkt, außer Elon Musk, dem Genie. Der baut ja nicht nur eine Gigafactory in Brandenburg, sondern will auch in Berlin forschen und entwickeln lassen, und seine Begründung ging in der ganzen Euphorie völlig unter: „Berlin has some of the best art in the world.“ Berlin hat weltbeste Kunst, und deshalb hat es eben Sinn, hier hirnen zu lassen. Wegen der Inspiration. Offenbar war Musk nie im Winter hier, sonst wüsste er, dass da alle Depressionen haben. Demnächst also treiben sich auf diesen unendlich vielen Vernissagen nicht nur mittellose Bierschmarotzer rum. Vielleicht sitzen ein paar Tesla-Leute im Eck und erfinden gerade das lenkradlose Auto. Oder das Beamen.
These 6: Bitte wohnen Sie weiter
Google Campus? Die digitalen Hipster tragen zur Aufwertung bei und erhöhen das Mietniveau. Verhindert. Amazon Tower? 3.000 Mitarbeiter bedrohen die umliegenden Kieze. Der Protest steht noch vor Baubeginn in den Startlöchern. Tesla: Bis zu 10.000 verhältnismäßig gut bezahlte Arbeitsplätze. Der Mietmarkt zittert.
In gut 20 Minuten fährt die Regionalbahn vom Ostkreuz nach Grünheide. Die Konkurrenz um freie – bald presisgedeckelte – Wohnungen in den Innenstadtbezirken dürfte noch einmal zunehmen. Während die Regierungschefs Michael Müller und Dietmar Woidtke die Entscheidung des Konzerns ehrfürchtig feiern, sollten sie sich lieber gleich um die sozialen Folgen kümmern. Oder den Konzern in die Pflicht nehmen: Für neue Arbeitersiedlungen findet sich in Grünheide bestimmt noch ein Platz.
These 7: Brandenburg bleibt stabil
Ja, Elon Musk mag ein Gewinnertyp sein. Und ja, Elon Musk ist dazu noch ein schillernder Milliardär, der mit eigenwilligen Mitteln wohl auch Erfolge hatte. Er hat mal einen Tesla ins All geschossen und unvergessen ist natürlich auch sein Aprilscherz, an dem er einfach mal so twitterte, dass seine Firma Tesla pleite sei – ein Witz auf Kosten der Aktionäre: Der Kurs brach unverzüglich ein. Aber was nutzt Spontaneität, Witz und Größenwahn, wenn man schnell eine Baugenehmigung vom Landkreis Oder-Spree braucht?
Und wenn Sie noch fünf Argumente brauchen, warum Elon Musks Hyper-Super-Giga-Mega-Tesla-Fabrik an der tristen Brandenburger Realität scheitern wird – hier bitte, in Stichworten: Cargolifter (die weltgrößte Zeppelinhalle, ging nie in Betrieb), Lausitzring (gescheiterte Formel-1-Stecke), Chipfabrik (nie fertiggestellt), Kaserne Wünsdorf (sinnlos saniert). Und natürlich das beste Argument von allen: Elon Musk will seine Fantasie-Fabrik neben einem funktionierenden Flughafen eröffnen. Und das soll sein: genau, der BER.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands