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Giffey stellt BKA-Zahlen vor„Unerträglicher Zustand“

Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner umgebracht. Organisationen fordern einen Anspruch auf einen Frauenhausplatz.

Franziska Giffey, Bundesfamilienministerin Foto: Michael kappeler/dpa

Berlin taz | Jeden dritten Tag wurde in Deutschland 2018 eine Frau durch ihren Mann, Freund oder Ex-Partner umgebracht. Einmal pro Stunde wurde eine Frau in ihrer Beziehung körperlich schwer verletzt. Das geht aus Zahlen des Bundeskriminalamts hervor, die Frauenministerin Franziska Giffey (SPD) am Montag, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, in Berlin vorstellte. Im Vergleich zum Vorjahr sind die Zahlen ähnlich hoch, in einigen Bereichen sogar leicht gestiegen. „Das ist ein unerträglicher Zustand“, sagt Giffey.

Insgesamt wurden 140.755 Menschen Opfer von versuchter oder vollendeter Gewalt, darunter Mord und Totschlag, Körperverletzung, Vergewaltigung und Stalking. Mehr als 80 Prozent der Betroffenen sind Frauen, bei Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt sind die Opfer sogar zu 98 Prozent weiblich. Die Dunkelziffer, sagte Giffey, sei zudem weit höher: „Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen.“

Giffey startete am Montag deshalb die Initiative „Stärker als Gewalt“, die Angebote und Informationen bündelt, um von Gewalt betroffenen Menschen zu unterstützen und Gewalt zu beenden. 13 Organisationen haben sich dafür zusammengeschlossen, unter ihnen der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe, die Zentrale Informationsstelle Autonomer Frauenhäuser und das Bundesforum Männer. Im Internet und mit Aktionen in verschiedenen Städten wendet sich die Initiative an betroffene Frauen und Männer, aber auch an deren Umfeld: „Man kann nicht sagen, Gewalt ist irgendwo dahinten. Sie ist direkt bei uns“, sagte Giffey.

Der Initiative zur Seite stehen verschiedene Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung die sogenannte Istanbul-Konvention umsetzen will, ein verpflichtendes Abkommen des Europarats zur Bekämpfung von Gewalt gegen Mädchen und Frauen. Seit 2018 kommt zum Beispiel ein Runder Tisch aus Bund, Ländern und Kommunen zusammen, der das Hilfenetz verbessern will.

Ausbau der Frauenhausplätze

Ab 2020 stellt das Bundesfamilienministerium zudem vier Jahre lang 30 Millionen Euro jährlich für den Ausbau von Beratungsstellen und Frauenhäusern bereit. „Wir haben 7.000 Plätze in Frauenhäusern, wir bräuchten etwa 20.000“, sagte Giffey. Ein Rechtsanspruch auf einen Platz im Frauenhaus sei dabei zwar wünschenswert, allerdings „eine Zukunftsaufgabe, die im Moment noch nicht erfüllt werden kann“.

Unterdessen wandten sich zahlreiche Organisationen gegen Gewalt an Frauen. „Frauenhass ist kein ‚Kollateralschaden‘ einer noch nicht ganz umgesetzten Gleichstellung und schon gar kein ‚privates‘ Problem“, so die Geschäftsführerin des Deutschen Frauenrats, Anja Nordmann. „Er ist das patriarchale Fundament unsere Gesellschaft. Er ist der Nährboden für die autoritäre, antidemokratische Selbstermächtigung von Männern, die wir aktuell weltweit erleben. Der Staat ist in der Pflicht, uns vor dieser Gefahr zu schützen.“

Der Frauenrat fordert einen nationalen Aktionsplan, der die Istanbulkonvention systematisch umsetzt. Zudem müsse die Kategorie „Geschlecht“ in die polizeiliche Kriminalstatistik zu Hasskriminalität für politisch motivierte Straftaten aufgenommen werden.

Die Comedienne Caroline Kebekus und UN Women Deutschland riefen zur Unterzeichnung einer Onlinepetition gegen häusliche Gewalt auf, die sich an die Bundesregierung richtet und fordert, Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. Die Zahlen zur Gewalt gegen Frauen seien „schockierend“, so Kebekus: „Frauen und Kinder sind in Lebensgefahr, weil mehrere tausend Plätze in deutschen Frauenhäusern fehlen.“ Wie die frauenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen von Grünen und Linken im Bundestag, Ulle Schauws und Cornelia Möhring, fordert auch Kebekus ein Recht auf einen Platz im Frauenhaus.

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4 Kommentare

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  • "Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner umgebracht."

    Eine Aussage dieses Typs ist nicht seriös, denn sie ist völlig abhängig von der Bezugsgröße (Gesamtpopulation), auf die die Taten bezogen werden.

    Es ist einfach so: Je größer eine Gesellschaft, um so häufiger passiert (eigentlich) Seltenes.

    Bei gleichbleibender Mord-/Totschlagsrate (= gleichbleibender 'Problematik') kommen wir zu völlig anderen Aussagen des o.g. Typs ('alle x Tage'), wenn wir die Bezugsgröße ändern.

    Aussagen dieses Typs lassen sich leicht manipulativ einsetzen, wir sollten sie vermeiden; sie sind einer sachlichen Diskussion abträglich - und die ist nötig.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Der - erwartete - dritte Artikel zum Thema innerhalb von 24 Stunden.

    Wann erscheint ein einziger zum Thema 'Gewalt an Männern in Beziehungen'? Da lobe ich mir die Differenziertheit der EMMA.

    "Jede dritte Frau in Deutschland ist mindestens einmal in ihrem Leben von Gewalt betroffen." Ach.

    Ich kenne Männer, die mindestens dreimal in ihrem Leben von Gewalt betroffen sind. Ohne, dass sich jemand dafür interessieren würde.

    Deutschland: selbst bei Opfern wird noch in erste und zweite Klasse separiert.

    Ein Land mit Menschen, die nichts aus der Geschichte ihres Landes gelernt haben - und davon noch die Hälfte vergessen.

    Heinrich Heine lässt grüßen.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Lieber Herr Leiberg,



      ich denke dem "mindestens" in "jede dritte Frau […]" gebührt mehr Aufmerksamkeit. Ihre persönlichen Erfahrungen in allen Ehren, aber führen sie doch dann lieber eine handfeste UND vergleichbare Statistik an, ob jeder dritte Mann mindestens dreimal im Leben von Gewalt betroffen ist. Dies würde ich sogar für möglich halten. Aber auch dann wären Männer nicht die wichtigeren Opfer, weil sie öfter von Gewalt betroffen sind. Nur weil ein Thema medial besprochen wird, bedeutet dies doch nicht, dass man Opfer in erste und zweite Klasse einteilt. Das scheinen Sie mir eher zu forcieren. Wenn man auf die Täterseite schaut, so sind das in beiden Fällen, Gewalt gegen Frauen als auch Gewalt gegen Männer, in der großen Mehrheit Männer. Wenn man ernsthaft an männlichen und weiblichen Opfern und deren Schutz interessiert ist, ist das ein Fakt der nicht ignoriert werden kann.

  • Diese erschreckenden "Zahlen" sind Ausdruck eines gesellschaftlichen Zustandes, deren Verrohung im Allgemein zugenommen hat. Häusliche Gewalt gab es schon immer, allerdings scheinen die Ursachen dafür, von der Politik, nur auf der privaten/zwischenmenschlichen Ebene gesucht zu werden.



    Mit ein paar Millionen Euro für den "Reparaturbetrieb" werden weder die Attacken weniger, noch die Schmerzen leichter zu ertragen sein. Sie mögen zwar den Opfern helfen, aber sie ändern nichts an den Ursachen, die vermutlich zu dieser Verrohung geführt haben.



    In den privaten vier Wänden entlädt sich der Frust, den wirtschaftlichen und sozialen Anforderungen der Ellenbogengesellschaft nicht zu genügen; der permanenten Konkurrenzsituation (beruflich und privat) und den offen sichtbaren Vergleichsmöglichkeiten in den sozialen Medien nicht gewachsen zu sein; der Überforderung des Einzelnen, etwas "besonders" sein zu müssen, um Beachtung, Respekt, Zustimmung und Zuneigung finden zu können; dem zu Tage treten, der Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung;...

    Sind alles keine Entschuldigungen, sondern möglicherweise einige Ursachen, die ihren Ursprung in einer den Einzelnen überfordernden und Verlustängste fördernden neoliberalen Politik für rücksichtslose Einzelkämpfer hat.

    PS: Auf dem Markt der Möglichkeiten (Partnerbörsen) verliebt sich nicht nur alle paar Sekunden ein "Kunde", sondern wächst auch die Dynamik der Beliebigkeit, Austauschbarkeit und Verlustängste.