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Gewissensentscheidung ImpfpflichtDie neue Gretchenfrage im Bundestag

Wie hältst du’s mit der Impfpflicht? Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren wollen quer durch die Fraktionen um Unterstützung werben.

Im Bundestag zeichnen sich drei Gruppen in der Debatte um die Impfpflicht ab Foto: dpa

Berlin taz | Weil der Bundestag ohne Fraktionszwang über eine Impfpflicht entscheiden soll, polarisiert das Thema quer durch die Fraktionen. Unter den Par­la­men­ta­rie­r:in­nen zeichnen sich derzeit drei Lager ab: Die einen, bislang vor allem FPD-Abgeordnete, sind gegen eine Pflicht. Eine zweite Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann wirbt für eine Impfpflicht für Menschen ab 50 Jahren. Und eine dritte Gruppe hält an einer allgemeinen Impfpflicht für alle Bür­ge­r:in­nen über 18 Jahren fest.

Einen ausformulierten Antrag hat bisher nur die erste Gruppe um Wolfgang Kubicki (FDP) vorgelegt, doch auch die anderen Gruppen bereiten nun Anträge vor. Zur Gruppe der Befürworter einer allgemeinen Impfpflicht gehören etwa der grüne Gesundheitsexperte Janosch Dahmen und Dagmar Schmidt aus dem SPD-Fraktionsvorstand. „Ziel muss es sein, endlich vor die nächste Welle zu kommen und von einer pandemischen in eine endemische Lage“, sagte Schmidt der taz. Sie halte eine allgemeine Impfpflicht für einen wesentlichen Bestandteil dieser Strategie.

Dass diese Pflicht erst ab Herbst gelten könnte und für die Bekämpfung der aktuellen Omikronwelle keine Rolle mehr spielt, ist den Befürwortern durchaus bewusst. Doch Dahmen, selbst Arzt, hält eine Impfpflicht dennoch für sinnvoll: „Wir kommen nur mit einer hinreichend hohen Immunisierung aus der Pandemie“, sagt er. Eine Impfpflicht könne analog zur aktuellen Impfempfehlung der Stiko gelten, skizziert Dahmen eine mögliche Ausgestaltung.

Doch wer weiß schon, welche Empfehlung die Stiko im Herbst geben wird? Die Gegner einer Impfpflicht halten solche Unwägbarkeiten für problematisch. „Der Bundestag kann eine allgemeine Impfpflicht nicht beschließen, solange er nicht einmal die Häufigkeit der mit der Pflicht verbundenen Schutzimpfungen kennt“, heißt es in ihrem Antrag. Sie hegen auch rechtliche Bedenken: „Insbesondere steigt der Begründungsaufwand für eine solche Pflicht, je öfter die verpflichtende Impfung wiederholt werden muss.“

Lauterbrach: Drei Spritzen reichen

Doch hier ist Dagmar Schmidt optimistisch. Sie halte eine Impfpflicht für rechtlich gut begründbar: „Verfassungsrechtler haben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir als Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsspielraum haben.“ Man müsse also sorgfältig vorgehen, konkrete Ziele benennen und klarmachen, dass eine allgemeine Impfpflicht diesen Zielen diene und mildere Mittel nicht in Sicht seien.

Dass diese derzeit nicht in Sicht sind, darin sind sich Schmidt und Dahmen einig. Der Grüne kann sich aber durchaus vorstellen, die ab Mitte März geltende Impfpflicht für Krankenhäuser und Pflegeheime auszuweiten, nämlich auf Bereiche, „wo Menschen für andere Menschen Verantwortung tragen, aber Masken und Abstand nicht immer sichergestellt werden können – also beispielsweise Polizei, Feuerwehr und Justizvollzug“, so Dahmen.

Das sei aber keine Alternative zur allgemeinen Impfpflicht, sondern könne als Abstufung auch parallel gelten. Danach gäbe es also zwei Pflichten, die unterschiedlich kontrolliert und geahndet würden. Einer Krankenschwester, die dem Arbeitgeber nicht den geforderten Impfnachweis vorlegt, droht ein Beschäftigungsverbot. Bei Verstoß gegen die allgemeine Impfpflicht wäre dagegen ein Bußgeld fällig.

Unklar bleibt, wie die allgemeine Impfpflicht kontrolliert werden soll. Denn ein allgemeines Impfregister, in dem der Impfstatus aller Bür­ge­r:in­nen erfasst wird, gibt es in Deutschland nicht. Dass es nun im Zuge mit der Impfpflicht eingeführt wird, ist unwahrscheinlich. Viel zu bürokratisch und zeitaufwändig wäre das, sind sich auch die Be­für­wor­te­r:in­nen einer Impfpflicht einig. Dahmen plädiert dafür, zu prüfen, inwieweit es auch ohne ginge.

Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), großer Fan der allgemeinen Impfpflicht, will auf ein Impfregister verzichten. Am Sonntag zerstreute er zudem Bedenken, dass endlos Auffrischungen nötig wären: Seiner Ansicht nach müsste eine Impfpflicht drei Impfdosen umfassen – nach dem Booster sei man voraussichtlich ausreichend gegen weitere Varianten geschützt, so Lauterbach.

Im Parlament will die Gruppe „Impfpflicht für alle“ quer durch alle demokratischen Fraktion um Mehrheiten werben. Einen Antrag wollen sie aber erst nach der Ende Januar geplanten Orientierungsdebatte vorlegen: „Da muss dann Farbe bekannt werden“, so Schmidt. Abgestimmt über eine Impfpflicht wird wohl frühestens Ende März.

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4 Kommentare

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  • Das Problem ist doch das nicht mehr vorhandene Vertrauen in Regierungshandeln, wenn Politiker immer nur noch auf Zuruf handeln, aus Angst vor Kubickis demagogischer Unterstützung von Einzelgängern und Ignoranten wissenschaftliche Einwände ignorieren und sich nur noch vor ausgewähltem Publikum in Talk Shows sehen lassen, die von den meisten Menschen eher ignoriert werden. Aus Angst, die Grünen könnten ihnen ihr den letzten Freiheitstraum, ihr Auto unter dem Hintern wegnehmen (was sie ja insgeheim wissen angesichts der Klimakatastrophe, aber -'rette sich wer kann'- , wo sie nicht die ersten und einzigen bleiben wollen) fallen sie auf die Ellenbogenartisten der FDP rein, zumal auch alle anderen Parteien das Thema Klima und Überleben in der Pandemie lieber nicht auf der Tagesordnungb halten mögen (Ratlosigkeit, kurzfristiges Überlebensdenken?). Wenn es Demonstrationen unter dem Thema: Sorgt bitte dafür, dass möglichst schnell alle geimpft werden können, wäre das ein Teil der notwendigen Selbsthilfe der Bevölkerung. So demonstrieren oder spazieren die einen und die anderen tun das Gegenteil: Sie bleiben zu Hause, schützen sich und hoffen, dass dieserAlptraum bald vorbei ist, aber auch ohne die Ansagen von Parteipolitikern, sondern denjenigen von Drosten & Co.

  • Bankrotterklärung des Staates ?

    Zur Impfpflichtdebatte die Strafrechtlerin Prof. F. Rostalski, Mitglied des Ethikrates:



    „Wir sehen uns gegenwärtig mit einem hohen Maß an Ungewissheit konfrontiert. Nicht zuletzt angesichts der Omikron-Variante wissen wir nicht, wie wirksam unsere Impfstoffe noch sind und ob wir damit langfristig gegen die Pandemie ankommen. Es ist noch nicht einmal klar, wie häufig beziehungsweise in welchen Abständen eine Impfung zu erfolgen hätte, um das Gesundheitssystem zu entlasten. In anderen Ländern wird offen über eine Immunisierung durch Masseninfizierung gesprochen – warum nicht in Deutschland?

    Auch die Bedeutung von Medikamenten, die nunmehr auch in Deutschland zugelassen sind, muss in die Abwägung einbezogen werden. Dabei dürfen wir nicht vergessen, wie massiv der Grundrechtseingriff durch eine Impfpflicht ist. Sie greift nicht nur in die Körperintegrität ein, sondern betrifft auch die Würde des Einzelnen, wenn die Impfung gegen seinen Willen erfolgt. Angesichts der bestehenden, erheblichen Ungewissheit überwiegen aus meiner Sicht ganz klar die Freiheitsinteressen des Einzelnen...

    Der Impfung wird durchaus die Funktion eines Selbstschutzes gegenüber Ansteckungen und nicht nur vor schweren Verläufen zugesprochen. Zudem geht man davon aus, daß Geimpfte weniger zum Infektionsgeschehen beitragen, weil sie nur kürzere Zeit Viren an andere abgeben können und dies möglicherweise in verminderter Form. Durch Omikron ist dies jedoch ins Wanken geraten. Hier haben Studien ergeben, dass sich Omikron-Viren dem Immunschutz durch eine doppelte Impfung weitgehend entziehen. Dies alles hat Folgen für die Impfpflicht...

    Eine permanente Ausschließung einzelner Gesellschaftsmitglieder – derzeit immerhin 13 Millionen Deutsche – aus dem öffentlichen Leben entspricht nicht den Vorstellungen, die zumindest ich als Juristin mit einem freiheitlichen Rechtsstaat verbinde. Ich sähe darin vielmehr eine staatliche Bankrotterklärung.“ (Berliner Zeitung, 7.1.22)

    • @Reinhardt Gutsche:

      Frauke Ristalski wurde auf Betreiben von Merkel/Spahn in den Ethikrat befördert.

      Zu ihren Ausführungen ist Folgendes zu sagen:

      1. Dass in Deutshcland "nicht" über eine Durchseuchungspflicht gesprochen wird, ist eine Lüge. Es wird seit aanderthalb Jahren drüber diskutiert, nur endet diese Diskussion relativ schnell, wenn Fachleute darauf hinweisen, dass in diesem Fall mit 10-20 Millionen Langzeitinvaliden zu rechnen ist.

      2. Die "Länder", in denen nach Frau Rostalskis Wunsch gehandelt wird, sind zB Belarus, Polen, Brexit-England, und die klerikalfaschistischen failed states des Trumpismus.

      3. Frau Rostalski hat eine eigene Strafrechtsphkilosophie entwickelt, die maximal neoliberal und soziopathisch ausgerichtet ist, und konsequent angewendet die Existenz systemischer Straftaten, das allgemein akzeptierte Konzept von "Gerechtigkeit" als gesellschaftliche Grundlage, oder auch die in Artkel 1 und 2 GG genannten besonders schützenswerten Rechtsgüter komplett verneint.

      Dass eine bekennende Eugenikerin, die eine bizarre und aus der Wahnwelt einer Ayn Rand entspringende "Rechts"auffassung vertritt, den Unterschied zwischen Moral und Ethik nicht kennt, und der Meinung ist, die Rechtsprechung sei nicht normativ sondern epistemisch, in Deutshcland überhaupt in so eine Position gehievt werden kann, lässt tief blicken.

      Kommentar gekürzt. Bitte achten Sie auf unsere Netiquette.

      Die Moderation

      • @Ajuga:

        Impfpflichtgegnerschaft im Namen der Eugenik?

        Zitat @Ajuga: „Dass eine bekennende Eugenikerin, die eine bizarre und aus der Wahnwelt einer Ayn Rand entspringende "Rechts"auffassung vertritt,.."

        Nun verdienten doktrinale Wurzeln, wie sie hier Frau Prof. Rostalski zugeschrieben werden, in der Tat die geballte Faust der Kritik. Ob die Anwürfe allerdings zutreffen, bedarf genaueren Nachforschens und Quellenbelege, die man uns allerdings schuldig bleibt, insbesondere für die unterstellte Wahlverwandtschaft zu Ayan Rand und den Eugenikern. Wenn Ihre Anklageschrift gegen Frau Prof. Rostalski und deren Einwände gegen die Impfpflicht richtig zu verstehen ist, beruht sie v. a. auf genau dieser behauptetet eugenischen Affinität. Dies wäre nur nach einem entsprechendem Plädoyer der Verteidigung zu beurteilen. Aber schon vor dem stellt sich die Frage, was, au diable, sollten A. Merkel und J. Spahn dazu bewogen haben, eine Juristin mit einem solchen ideologischen Hintergrund in den Ethikrat zu hieven? Man kann ja der Regierung Merkel/Scholz eine Menge vorwerfen, aber wohl kaum eine heimliche Neigung zur Eugenik.

        Bizarrerweise korrespondieren dieserart Vorwürfe, Kritiker der Impfpflicht-Politik seien von der Eugenik inspiriert, mit sehr vergleichbaren in die umgekehrte Richtung, auf den Vater von B. Gates als bekennenden Eugeniker und früheren Direktor einer aus der „American Eugenics Society“ hervorgegangenen NGO zur Geburtenkontrolle verweisend. Wenn letzteres umstandslos in das Regal „Verschwörungstheorien“ abgelegt wird, dann sucht man angestrengt nach einem plausiblen Argument, dies nicht auch in Bezug auf die hier erhobenen Anschuldigungen gegen Frau Prof. Rostalski zu tun.

        Diese Replik reduziert sich mithin auf ein argumentum ad hominem, ein allseits bevorzugtes Diskursverfahren in dieser Debatte um Sinn und Unsinn der Anti-Corona-Politik. Warten wir nun also auf ein sachbezogenes Gegenargument.