Gewalteskalation in Nahost: Raketen zu Pessach und im Ramadan

In Israel eskaliert die Gewalt mit militanten Palästinensern. Beginn war am Tempelberg, doch könnte sich die umstrittene Justizreform noch auswirken.

Behelmte israelische Polizisten in Kampfanzügen entfernen auf einer Straße in Schlomi Reste eine abgefangenen Rakete, die aus dem Libanon abgefeuert worden war

Israelische Polizisten entfernen in Schlomi Reste eine abgefangenen Rakete aus dem Libanon Foto: Ariel Schalit/ap

TEL AVIV taz | Seit Freitagmorgen herrschte eine brüchige Ruhe in Israel und den besetzten Gebieten. Für einige Stunden ruhten die Waffen, nachdem die Situation zuvor an verschiedenen Fronten eskaliert war: Raketen der Hamas flogen aus dem Südlibanon und Gaza auf Israel, dessen Luftwaffe flog Vergeltungsschläge. Dazu kamen Zusammenstöße zwischen Polizei, rechtsgerichteten jüdischen Israelis und Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen an verschiedenen Orten Israels.

Alle Augen sind dabei auf den Tempelberg in Jerusalems Altstadt gerichtet. Dort begann die Eskalation. In den Nächten auf Dienstag und Mittwoch hatte Israels Polizei dort die Al-Aksa-Moschee gestürmt und unter Anwendung von Gewalt zahlreiche Palästinenser festgenommen, die sich dort nach Krawallen verschanzt hatten.

Der Tempelberg ist für Juden, Jüdinnen und Chris­t*i­n­nen seit jeher, für Mus­li­m*in­nene in jüngerer Zeit einer der zentralen heiligen Orte. Pa­läs­ti­nen­se­r*innen fürchten, dass Israel den sogenannten Status Quo verändern wolle. Er besagt, dass Juden und Jüdinnen den Tempelberg zu bestimmten Zeiten betreten, aber nicht beten dürfen.

Pessach, Ramadan und Ostern fallen zusammen

Israels rechtsradikaler Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, hielt sich zwar zuletzt mit entsprechenden Ankündigungen zurück. Doch gilt er als Verfechter einer Änderung des Status Quo, um den Ort für Jüdinnen und Juden zugänglicher zu machen. Dass derzeit die religiösen Feste Pessach, Ramadan und Ostern zusammenfallen, macht die Lage noch explosiver.

Für Aviv Tatarsky von der Nichtregierungsorganisation Ir Amim ist klar, dass die weitere Entwicklung nun vor allem vom Vorgehen der israelischen Polizei abhängt. Hält sie sich zurück, glaubt er, könnte die Situation sich beruhigen.

Doch mit Sorge erwartet er eine Pessachzeremonie am Sonntag, zu der Tausende von Jüdinnen und Juden an die Klagemauer ziehen. Führt die Polizei in der Nacht auf Sonntag deswegen eine Razzia wie am Dienstag und Mittwoch durch, könnte das den Konflikt wieder anheizen.

Bei der Eskalation wurde zumindest noch niemand im Gazastreifen und im Libanon getötet. Keine der Parteien dürfte derzeit an einem Krieg interessiert sein. Von der Reaktion der israelischen Regierung auf einen Anschlag im nördlichen Westjordanland, bei dem am Freitagmittag zwei israelische Siedlerinnen erschossen wurden, dürfte einiges abhängen.

Viele Koalitionspartner von Regierungschef Benjamin Netanjahu fordern ein hartes Durchgreifen. Anschläge gegen Israelis haben sich in den letzten Monaten gehäuft.

Innenpolitisch herrscht Chaos

Die Eskalation an den unterschiedlichen Fronten kommt zu einer Zeit des innenpolitischen Chaos. „Mr. Security“ nannten die Israelis einst Netanjahu, weil es unter seiner Ägide vergleichsweise ruhig blieb. Heute kann davon keine Rede sein.

Zwar halten noch immer viele zu ihm, doch wenden sich auch immer mehr von ihm ab. „Das ist die Sicherheit, die wir von ihm kriegen“, sagt ein Verkäufer in einem Kiosk in Tel Aviv und zeigt auf die Bilder von Raketenangriffen aus dem Libanon, die über auf Fernseher über ihm zu sehen sind.

Viele Israelis sind überzeugt, dass die derzeitige innenpolitische Krise über die umstrittene Justizreform Israels Abschreckungskraft schwächt. Davon ist auch Michael Milshtein überzeugt, Leiter des Forums Palästinensische Studien an der Tel Aviv Universität. In seinen Augen versuchen die „Feinde Israels“ zu prüfen, wie weit sie nun gehen können. „Die Raketen aus dem Libanon waren eine solche Prüfung.“

Auch ein Autobombenangriff im nördlichen Israel vor zwei Wochen, der der Hisbollah, dem libanesischen Arm des Iran zugeschrieben wird, war in seinen Augen ein solcher Versuch, die derzeitige Stärke Israels zu testen.

Die Opposition sortiert sich angesichts der drohenden Eskalation neu. Auch Oppositionsführer Yair Lapid sagte, dass „das unverantwortliche Verhalten der derzeitigen Regierung“ die Abschreckung „ernsthaft beschädigt“ habe. Er betonte jedoch den Zusammenhalt der Israelis in Sicherheitsfragen: „Die Opposition wird der Regierung volle Rückendeckung für ein hartes Vorgehen der IDF und der Sicherheitskräfte geben.“

Die Reservisten, die wegen der Justizreform ihren Dienst verweigerten, dürften dies im Fall einer militärischen Eskalation wohl beenden.

Welche Folgen eine Eskalation für die Justizreform hat, ist schwer abzusehen. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass Netanjahu die akute Sicherheitsfrage nutzt, um sie als Argument gegenüber seinen Ko­ali­ti­ons­part­ne­r*in­nen anzubringen und aus der umstrittenen Justizreform auszusteigen. Denn mit der Reform hat er sich innen- wie außenpolitisch an vielen Fronten ins Abseits manövriert.

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