Gewaltdebatte um Chemnitz: Schluss mit den Scheindiskursen
Auch ohne Chatprotokolle ist klar, in Chemnitz haben Rechtsextreme die Eskalation gesucht. Die Diskussion um den Begriff Hetzjagd lenkt davon ab.
E s eine müßige Debatte, eine ärgerliche. Ein Jahr nach den rechten Ausschreitungen von Chemnitz wird wieder diskutiert, ob es damals „Hetzjagden“ gab. Ein LKA-Bericht ist aufgetaucht, der Chats auswertete, in denen Rechtsextreme hofften, in Chemnitz „Kanacken boxen“ zu können, Migranten zu „erwischen“, an einer „Jagd“ teilzunehmen.
Gab es also doch Hetzjagden – obwohl Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen dies bis heute bestreiten? Es ist doch längst klar: Es gab Jagden auf Migranten, Schläge, Tritte, Hass. Man muss die Betroffenen nur fragen. Einem Afghanen wurde auf den Kopf eingeschlagen, seine Wange eingeschnitten, einem Iraner eine Glasflasche an den Kopf geschleudert, ein anderer in seinem Restaurant so zusammengeschlagen, dass er acht Tage im Krankenhaus lag. Die Liste ließe sich fortsetzen: 138 rechte Straftaten zählte die Polizei rund um die Demos.
Ob diese nun Ergebnis von Hetzjagden waren oder von Jagdszenen oder von Hassausbrüchen – das ist doch nicht die entscheidende Frage. Es war brutale Gewalt, die durch nichts zu rechtfertigen ist. Und diese Gewalt war genau so gewollt, wie nicht erst die aufgetauchten Chats zeigen. Voller Hass gingen die Rechten auf die Straße, suchten die Eskalation. Einer der Anheizer, der „Pro Chemnitz“-Chef, nannte die Angriffe auf Migranten schamlos „Selbstverteidigung“ – und diese seien „nur ein kleiner Vorgeschmack“.
Wenn für den Ex-Geheimdienstchef in dieser Lage das Wichtigste ist, zu behaupten, dass es keine Hetzjagden gab, dann ist das nicht bloße Wortklauberei, sondern ein dreistes Ablenkungsmanöver, eine Verharmlosung. Und dass Maaßen bis heute darauf beharrt, inzwischen mit Verweis auf dubioseste Quellen, unterstreicht einmal mehr, dass er völlig zu recht gefeuert wurde.
Für Chemnitz ist diese am Kern vorbei geführte Dauerdebatte fatal. Statt Scheindiskursen braucht es klare Benennung und Verurteilung der Gewalt. Solange es aber bei Rabulistik bleibt, kommt Chemnitz nicht zur Ruhe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Leistungsloses Einkommen
Warum Erben lieber über „Neid“ reden als über Gerechtigkeit
Anwälte vor Prozess gegen Daniela Klette
„Hier wird eine RAF 2.0 konstruiert“
Israels Krieg im Gazastreifen
Hunderte Tote nach zwei Tagen israelischen Bombardements
Tödliche Schüsse der Polizei
Musste Najib Boubaker sterben?
Tod und Terror im Nahen Osten
Schweigen ist nicht neutral
Israelischer Bruch der Waffenruhe
Im Gazastreifen öffnen sich die Tore zur Hölle