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Gewalt in FlüchtlingsunterkünftenMit Empathie gegen männliche Gewalt

Das „Gentle“-Projekt will häuslicher Gewalt in Flüchtlingsunterkünften entgegenwirken. Der Fokus liegt dabei auf Täterarbeit und Prävention.

Katja Kipping und Mina Orang hoffen, dass das Gentle Project auch unter Schwarz-Rot fortgesetzt wird Foto: Jens Kalaene/dpa

Berlin taz | Mehr als 32.000 Menschen leben in Berlin in Flüchtlingsunterkünften. Menschen, die nicht nur auf der Flucht oder im Herkunftsland traumatische Erfahrungen und Gewalt erlebt haben, sondern auch in Berlin auf viele Schwierigkeiten treffen: Beengte Wohnverhältnisse, Probleme mit den Ämtern und bei der Wohnungssuche, Sorge um Angehörige, Diskriminierung und vieles mehr.

Konflikte zwischen den Bewohner*innen, aber auch innerhalb von Familien, bleiben da nicht aus. „Wo Menschen auf engem Raum zusammenleben, können Aggressionen entstehen“, sagt Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) am Montag bei der Vorstellung des „Gentle-Projekts“, das häuslicher Gewalt in Flüchtlingsunterkünften entgegenwirken soll.

In den meisten Fällen sind die Aggressoren Männer. 87 Hausverbote wurden im vergangenen Jahr von Flüchtlingsheimen ausgesprochen, also sieben bis acht pro Monat. In diesem Jahr waren es bislang 25. Doch nicht immer reicht es aus, Opfer und Täter räumlich zu trennen: So gab es im vergangenen Jahr in Berliner Flüchtlingsunterkünften zwei Femizide: Ein Mann tötete seine Frau in Lichtenberg, in Pankow wurde eine sechsfache Mutter von ihrem Ehemann getötet. In letzterem Fall hatte der Täter wegen mehrfacher Bedrohungen Hausverbot.

Gebracht hat das nichts. Um Femizide und häusliche Gewalt künftig zu verhindern, setzt Kipping auf Prävention: „Wir brauchen mehr Angebote für Väter-Arbeit, für Männer-Arbeit“, sagt die Linke-Politikerin. Damit diese „anders als mit Gewalt reagieren“. Um die Be­woh­ne­r*in­nen in den Sammelunterkünften zu befähigen, Konflikte gewaltfrei zu lösen, startete im September 2022 auf Pilotbasis das „Gentle-Projekt“. Vier geschulte Be­ra­te­r*in­nen der International Psychological Organisation (Ipso) setzen sich dabei in Gesprächsgruppen mit den Ursachen der Gewalt auseinander und zeigen Alternativen auf.

Ursachen von Gewalt identifizieren

„Männliche Gewalt muss aufgefangen werden“, sagt der Psychologe Lothar Dunkel. Ipso versucht das mit Berater*innen, die dieselbe Sprache sprechen und aus demselben Kulturkreis kommen, wie die (potenziellen) Gewalttäter. Das soll Vertrauen schaffen und damit die Basis dafür, was Ipso „Value-Based-Counceling“ nennt: Auf Grundlage ihrer Werte und erfahrenen Wertekonflikten sollen die Teilnehmer die Ursachen von Gewalt identifizieren.

„Es geht viel um Vertrauen und kulturelle Sensibilität“, sagt Ahmad Chahabi, selbst einst Geflüchteter und heute Berater bei Ipso. Bei Männern sei die Schwäche und Hilflosigkeit, die viele Geflüchtete nach ihrer Ankunft erfahren, oft schambehaftet und werde mit Gewalt kompensiert. In einer geschützen und urteilsfreien Atmosphäre könnten sie lernen, sich zu öffnen und mit Konflikt- und Stresssituationen anders umzugehen.

Auch wenn der Fokus des psychosozialen Projekts auf den Männern liegt, richtet es sich auch an Frauen. „Männer lernen, ihre tradierten Rollenbilder zu hinterfragen. Frauen erfahren, welche Rechte und Handlungsmöglichkeiten sie haben“, erklärt Kipping. Im vergangenen halben Jahr habe man 176 Personen erreichen können, darunter 91 Frauen und 85 Männer, davon 34 mit gewalttätigem Verhalten.

Acht Sitzungen in Gruppen mit sechs bis acht Personen umfasst das Programm für die Männer, bei Frauen ist es die Hälfte. Bei Bedarf können zusätzlich Einzelgespräche in Anspruch genommen werden.

Die Zukunft des Projekts ist ungewiss

Die Reaktion auf das Programm sei „unglaublich positiv“ sagt Sozialsenatorin Kipping. „Alle waren sehr offen, sich zu ändern und dazuzulernen“, sagt auch Projektleiterin Mina Orang. Viele Teil­neh­me­r*in­nen würden das Projekt nicht nur anderen Be­woh­ne­r*in­nen weiterempfehlen, sondern auch den Wunsch äußern, es in den Unterkünften verpflichtend zu machen.

Ob es dazu kommt, hängt vom neuen Senat ab. Für dieses Jahr wird das Gentle-Projekt noch mit 125.000 Euro gefördert. In einer schrittweisen Ausweitung sollen die bisher angebotenen Sprachen Dari, Farsi und Arabisch auf Ukrainisch und Russisch ausgeweitet werden. Die Be­ra­te­r*in­nen von ipso stehen dafür schon in den Startlöchern.

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4 Kommentare

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  • Die hohe Zahl der Hausverbote und die Femizide erschrecken. Ist ein potentieller gewalttätiger Flüchtling, der ein Hausverbot erhält, nicht eine Gefahr für andere Flüchtlinge in der neuen Unterkunft? Die präventiven Kurse müssten daher Pflicht für Gewalttätige in Füchtlingsunterkünften sein. Dies würde auch Anwohnern von Flüchtlingsunterkünften Ängste nehmen.

    • @Lindenberg:

      Warum nur für Geflüchtete? Warum keine verpflichtenden Kurse für alle gewalttätigen Männer. Sie stützen mit ihrem Kommentar nur ein rassistisches Narrativ. Die strukturellen Probleme - räumliche Enge, Frustration durch ewige Verfahren und die Verdammnis zum nichts-tun, die sollte man beseitigen. Das wäre echte Gewalt Prävention. Ebenso wie in der Gesamtgesellschaft Armut, damit einhergehende Abhängigkeiten etc. Dem Patriarchat den ökonomischen Boden entziehen quasi.

      • @RosaLux:

        Kurz nachgedacht. Ich gebe Ihnen Recht, dass war zu kurz gesprungen. Ihre Kritik ist berechtigt. Ihre Verbesserungsvorschläge teile ich.

      • @RosaLux:

        Kurz nachgedacht: Ich gebe Ihnen Recht. Das war zu kurz gesprungen. Also: präventive Kurse für alle gewalttätigen Männer. Dass die räumliche und soziale Situation in den Flüchtlingsheimen verbessert werden muss, wäre auch gut. Armut und Patriarchat zu bekämpfen ist auch gut.